Im Stundentakt in jedes Dorf
Was die grün-schwarzen Pläne für eine Mobilitätsgarantie im ländlichen Raum bedeuten
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SEEKIRCH - Jedes Dorf in BadenWürttemberg soll stündlich mit Bus oder Bahn erreichbar sein, von fünf Uhr morgens bis Mitternacht. Grüne und CDU wollen dieses Ziel bis 2026 umsetzen. Das wird ein Kraftakt. Denn die Realität ist häufig eine andere, gerade auf dem Land.
Wenn Stefan Koch sich über den Stand der Verkehrswende informieren möchte, muss er nur aus dem Fenster schauen. Dann blickt der parteilose Bürgermeister von Seekirch am Federsee auf die Bushaltestelle „Seekirch Rose“. Den Zusatz „Rose“hätte man streichen können, es ist die einzige Haltestelle in der 300-Einwohner-Gemeinde. Je Fahrtrichtung halten hier werktags sieben Busse der Linie 281. In beide Richtungen geht es nach Bad Buchau, denn die Linie 281 fährt einmal rund um den Federsee. Wer in die Kreisstadt Biberach möchte, muss im Nachbardorf Tiefenbach umsteigen.
„Es ist höchst selten, dass da mal ein Erwachsener an der Bushaltestelle steht“, sagt Koch. Die Busse werden praktisch nur von Schülern genutzt. Entsprechend sieht der Fahrplan aus: Zwischen 8 Uhr und Mittags gibt es keine einzige Verbindung. Die letzte Möglichkeit, ohne eigenes Auto nach Seekirch zurückzukommen, ist um 18.15 Uhr. „Wir sind es seit Jahrzehnten gewohnt, mit dem Auto zu fahren, auch zur Arbeitsstelle“, sagt Koch.
Diese Gewohnheit wollen vor allem die Grünen ändern. „Verkehr verursacht 30 Prozent der CO2-Emissionen, und dieser Anteil ist trotz des technischen Fortschritts nicht gesunken“, betont Andreas Schwarz, Fraktionsvorsitzender der LandtagsGrünen. Neben dem Umstieg auf emissionsfreie Antriebe bei Autos und dem Ausbau von Radwegen sei ein besserer öffentlicher Nahverkehr der dritte entscheidende Punkt, um dies zu ändern. Deswegen hat seine Partei die Mobilitätsgarantie im Koalitionsvertrag durchgesetzt.
600 Millionen Euro soll das kosten – pro Jahr. Viele Projekte der neuen Regierung stehen unter Haushaltsvorbehalt. Der landesweite Stundentakt aber soll kommen, bekräftigt Schwarz. Auch in Dörfern wie Seekirch, auch früh am morgen und spät am Abend. Für einen guten Nahverkehr sei Flexibilität unbedingt erforderlich, argumentiert der Grünen-Fraktionschef. „Wenn es bei der Arbeit länger dauert und man spät nicht mehr nach Hause kommen kann, dann ist der ÖPNV nicht attraktiv. Daher wollen wir die Mobilitätsgarantie, um verlässliche Verbindungen sicherzustellen.“
Keine Frage: Bürgermeister Koch würde sich über eine bessere Anbindung
seines Dorfes freuen. „Es wäre ein Anreiz gesetzt, einige würden wohl schon über einen Wechsel zum Bus nachdenken. Aber das braucht seine Zeit.“Tatsächlich war seine Kommune schon beim Landkreis vorstellig geworden. Der Wunsch war aber nicht ein Bus am späten Abend, sondern eine Verbindung in ein anderes Dorf, die Seekirch geschickter an den Bus nach Biberach angeschlossen hätte. Dafür gab es dann aber kein Geld, sagt Koch.
„Ich weiß, dass das im ländlichen Raum ganz schwierig umsetzbar ist“, sagt Thomas Dörflinger über die Mobilitätsgarantie. Der CDU-Verkehrsexperte und Landtagsabgeordnete für den Kreis Biberach setzt auf steigenden Zuspruch: „Wenn das Angebot verlässlicher ist, dann sollte auch die Nachfrage wachsen.“Die CDU trägt das Herzensanliegen der Grünen mit. Seiner Partei, so Dörflinger, sei aber wichtig, „die Mobilitätsgarantie im Dialog mit den kommunalen Partnern umzusetzen. Man muss auf die Gegebenheiten vor Ort Rücksicht nehmen.“
Ein zentrales Element für die Abdeckung der Randzeiten sollen Rufbusse werden. Die kommen nur dann, wenn ein Fahrgast sich vorab angemeldet hat, telefonisch zum Beispiel oder per App. Wobei es dafür, wie Stefan Koch anmerkt, erst einmal ein funktionierendes Handynetz braucht. „Die Mobilfunkabdeckung in Seekirch ist mäßig“, konstatiert der Bürgermeister.
Davon abgesehen, ist die Nachfrage nach Rufbussen bislang überschaubar. Das bestätigt der Bad Buchauer Busunternehmer Helmut Diesch, der die Federsee-Linie betreibt und auch andere Verbindungen in Oberschwaben – unter anderem von Aulendorf über Bad Schussenried nach Riedlingen. Die Teilstrecke Aulendorf-Bad Schussenried wird in Randzeiten seit fünf Jahren als Rufbus angeboten. „Am Anfang gab es da mal eine Fahrt am Wochenende“, berichtet Diesch. „Inzwischen wird das so gut wie nicht mehr angenommen.“Wenn künftig Orte wie Seekirch noch spät am Abend erreichbar sein sollen, müssen Diesch und seine Kollegen deutlich mehr Kleinbusse auf Abruf bereitstehen haben. So richtig vorstellen könne er sich das noch nicht, sagt der Unternehmer. „Aber machbar ist das sicher. Wenn das Landratsamt das bestellt, dann leiste ich das eben.“
Grünen-Fraktionschef Schwarz verweist auf erfolgreiche Rufbusangebote im Kreis Rottweil oder im Schweizer Kanton Graubünden. Es gehe darum, effiziente Systeme aufzubauen. „Es werden nicht um 23 Uhr in Biberach 30 Busse am Busbahnhof
stehen, die in die verschiedenen Richtungen losfahren.“
Zu den Skeptikern des RufbusModells gehört Alexander Eisenkopf, Professor für Verkehrspolitik an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen. „Die Idee ist ja charmant“, sagt der Ökonom. „Aber abgesehen von den hohen Kosten stellt sich auch die Frage, ob es überhaupt effizient für den Klimaschutz ist, am Abend einzelne Personen mit einem Kleinbus durch die Gegend zu fahren.“
Die Koalitionspolitiker Schwarz und Dörflinger betonen hingegen, die Abdeckung von Randzeiten sei notwendig, damit mögliche Fahrgäste überhaupt in Erwägung ziehen, das Auto stehen zu lassen. „Wir wollen das Signal geben: Ihr könnt es von 5 bis 24 Uhr auch ohne Auto schaffen“, sagt Dörflinger.
Seekirchs Bürgermeister Koch glaubt trotzdem nicht, dass in seinem Ort Interesse an einem solchen Angebot besteht: „Bis Mitternacht Busse fahren zu lassen macht absolut keinen Sinn.“Aus seiner Sicht sollte das Land nicht pauschal die Mobilitätsgarantie von 5 bis 24 Uhr verordnen. Mit dem Geld, das das Land den Kreisen für den ÖPNV gibt, sollten die Kreise das Angebot gemäß den örtlichen Bedürfnissen ausbauen können, findet Koch. „Den Kreisen muss man mehr Freiheit geben.“