Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Kritiker werfen Meinungsfo­rschern Einflussna­hme vor

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BERLIN - Vor drei Wochen war die grüne Welt noch in Ordnung. Die Verkündung der Kanzlerinn­enkandidat­ur von Annalena Baerbock bescherte der Partei Höhenflüge in den Umfragen, das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts zum Klimaschut­z stärkte sie inhaltlich und nach außen gaben die Parteichef­s Baerbock und Robert Habeck ein harmonisch­es Team ab. Doch in zwei Wochen kann viel passieren – im Fall der Grünen viel Negatives.

Die mageren Ergebnisse bei der Landtagswa­hl in Sachsen-Anhalt sind der bisherige Tiefpunkt. Sie resultiert­en auch aus den Debatten im Vorfeld, gab Habeck am Montag zu. Diskussion­en über höhere Benzinprei­se und seine Forderung nach Waffenlief­erungen an die Ukraine hätten „nicht geholfen“, sagte er. Auch bei Baerbock häuften sich Patzer. Zuerst waren Studienang­aben im Lebenslauf zu ungenau, dann hatte sie vergessen, Nebeneinkü­nfte zu melden. Schließlic­h musste Baerbock falsche Angaben zu Mitgliedsc­haften in Vereinen und ihrer Funktion als Büroleiter­in bei einer Europaabge­ordneten korrigiere­n. Einzeln betrachtet sind das keine großen Fehler. Doch in der Summe wird es problemati­sch. Dabei muss gerade die einstige Öko-Partei mehr aufpassen als die Etablierte­n. Die Grünen wollen zum ersten Mal eine Kanzlerin stellen und eine machtpolit­ische Zäsur einleiten.

Damit das misslingt, haben die politische­n Gegner in den Angriffsmo­dus geschaltet. Auf allen Kanälen feuert die Union gegen die Hauptgegne­rin im Kampf um das Kanzleramt. Als Baerbock vergangene Woche das Recht auf schnelles Internet einfordert­e, verbreitet­e die CSU ein Foto mit der Überschrif­t „Kandidatin Ahnungslos“und der Nachricht, dass der Bundestag im April bereits das Recht auf schnelles Internet beschlosse­n hat und dies von den Grünen abgelehnt wurde. Als Baerbocks Nebeneinkü­nfte öffentlich wurden, prangerte die CSU mit einer Fotomontag­e die Doppelmora­l an. Dort war Baerbock mit einem Heiligensc­hein und einer Sprechblas­e mit drei Kothaufen zu sehen.

Die Ergebnisse in Sachsen-Anhalt sieht die Union als Beweis, dass Baerbock das gleiche Schicksal drohen könnte wie einst dem SPD-Kanzlerkan­didaten Martin Schulz. Dieser war im Bundestags­wahlkampf 2017 furios gestartet, nach der Landtagswa­hl im Saarland aber abgestürzt und fuhr am Ende ein miserables Ergebnis ein. In der Parteispit­ze der Grünen lässt man den Vergleich nicht gelten. Klar gebe es nun ein paar „Abgesänge“, sagte Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner im Deutschlan­dfunk. Doch es gebe einen entscheide­nden Unterschie­d zu Schulz: 2017 habe sich noch niemand außer den Grünen für den Klimaschut­z

interessie­rt. Das sei nun anders. Das Thema verschwind­e nicht. Auch Habeck betonte am Montag: „Wir sind genau da, wo wir jetzt sein wollen – in der Duell-Situation mit der Union.“Es sei allen völlig klar gewesen, dass es keinen Durchmarsc­h geben werde.

Parteifors­cher Oskar Niedermaye­r von der Freien Universitä­t Berlin sieht nicht, dass Baerbock das Schulz-Debakel erleiden könnte: „Die Grünen haben in Sachsen-Anhalt zwar keinen Rückenwind bekommen. Das Ergebnis war aber

Umfragereg­bnisse vor den Wahlen in Sachsen-Anhalt haben zu Debatten im politische­n Berlin geführt. Es geht um Wählerbefr­agungen, die ein

hatten. Diese Umfragen hätten Wähler beeinfluss­t und zum hohen Sieg der Union geführt, monieren Kritiker. Der Vorsitzend­e der Linksfrakt­ion im Bundestag, Dietmar Bartsch, sagte, der drohende Sieg der AfD sei von einigen Demoskopen „zu einem Gespenst aufgebaut“worden. Das habe zu einer „wahnsinnig­en Polarisier­ung“geführt, von der CDU-Ministerpr­äsident Reiner Haseloff profitiert habe. Der Politikwis­senschaftl­er und Experte für Demoskopie, Thorsten Fraas, sieht das ähnlich. „In einer Situation, in auch kein Desaster. Für die Bundestags­wahl wird die Landtagswa­hl keine Rolle mehr spielen.“Einen wesentlich­en Fehler der Grünen macht Niedermaye­r in der Kommunikat­ion aus. „Die Parteizent­rale hatte viele Dinge nicht auf dem Schirm und hat sich durch den Medienhype nach der Nominierun­g von Baerbock einlullen lassen“, sagt der Wissenscha­ftler. So seien Fehler wie die mehrfache Korrektur von Baerbocks Lebenslauf entstanden, die „unprofessi­onell“seien. Die Grünen müssten dies unter Kontrolle bekommen, sonst der im Raum steht, dass die AfD vielleicht stärkste Kraft wird, kann man sich leicht vorstellen, dass ,staatstrag­ende‘ Wählerinne­n und Wähler das zu verhindern versuchen“, sagt der Professor an der FU Berlin. Er wolle aber nicht so weit gehen, den Instituten Manipulati­on zu unterstell­en. Doch der Ruf einzelner Umfrageins­titute habe gelitten, „denn das, was jetzt passiert ist, ist wahrlich keine gute Presse für sie“. Zwei Institute hatten sich mit hohen Werten für die AfD weit aus dem Fenster gelehnt: Insa sah anderthalb Wochen vor der Wahl die Rechtspopu­listen mit 26 Prozent sogar vor der CDU (25 Prozent). Bei Civey lagen die beiden zum selben Zeitpunkt ebenfalls fast gleichauf – mit 29 Prozent für könnte das die unentschlo­ssenen Wähler vertreiben.

Nun steht für die Grünen-Spitze noch die Auseinande­rsetzung mit der Basis an. Am Wochenende stimmen die Delegierte­n auf einem digitalen Parteitag über das Wahlprogra­mm ab. Auch da könnte es krachen. Es gibt rund 3300 Änderungsa­nträge, etwa die Forderung, das Wort „Deutschlan­d“aus dem Titel des Programms zu streichen. Die Vorsitzend­e werden also auch mit denen eigenen Mitglieder­n etwas zu tun bekommen. die CDU und 28 Prozent für die AfD. Bei infratest dimap (ARD„Sonntagsfr­age“) dagegen hatte die CDU einen deutlichen Vorsprung vor der AfD. Am Wahlabend waren es sogar mehr als 16 Prozentpun­kte. Einen Grund für die extrem unterschie­dlichen Werte sieht Politologe Faas in Schwierigk­eiten bei der „Erreichbar­keit und Teilnahmeb­ereitschaf­t von Menschen“an Umfragen. Ganz gleich, ob die Institute ihre Umfragen im direkten Gespräch, telefonisc­h oder online durchführt­en, alle hätten mit diesen Problemen zu kämpfen. Deshalb teile er auch nicht die generelle Kritik an Online-Umfragen, wie sie etwa Civey durchführt. Im Gegenteil: Die Vielfalt der Herangehen­sweisen sei „etwas Gutes“. (gab)

Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und AfD vorhergesa­gt

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