EU-Grenzschützer können Aufgaben nicht wie geplant wahrnehmen
Der Europäische Rechnungshof bescheinigt der Agentur Frontex wenig Effizienz und chaotische Finanzen – Defizite bei Personal und Technik
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BRÜSSEL - Sie soll die Außengrenzen der EU kontrollieren, doch es mangelt bei Technik und Personal: Erneut steht die EU-Grenzschutzagentur Frontex massiv in der Kritik - auch, weil sie offenbar Geld verschleudert.
So deutlich werden die europäischen Rechnungsprüfer selten. „Da waren die Augen größer als der Magen“, umriss Berichterstatter Leo Brincat die Entwicklung, die die in Warschau angesiedelte EU-Grenzschutzagentur Frontex seit 2016 genommen hat. Interne Prüf- und Kontrollmechanismen sind wohl entweder nicht vorhanden oder wirkungslos, denn der Rechnungshof stellt der Agentur ein vernichtendes Zeugnis aus: Offensichtlich rechnete niemand nach, was Operationen am Ende tatsächlich kosteten und niemand prüfte, ob die eingesetzten Mittel zum gewünschten Ergebnis führten.
Die Rechnungsprüfer befragten Mitarbeiter der italienischen und der polnischen Küstenwache über die Zusammenarbeit mit der Agentur und verschickten an die übrigen Mitgliedsstaaten
Fragebogen. Die Auswertung ergab, dass der Informationsfluss zwischen nationalen Behörden und der EU-Agentur in Fragen der illegalen Migration holprig und unzureichend ist. Beim zweiten Mandat, dem Kampf gegen grenzüberschreitende Kriminalität, gibt es überhaupt keinen Datenfluss.
Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Mitgliedsstaaten teilen ihre Erkenntnisse offensichtlich längst nicht so bereitwillig, wie sie es einander versprachen. Beim Zugang zu EU-Datenbanken scheint es Zugriffsprobleme aufgrund von Datenschutzbeschränkungen zu geben. Dabei sind etwa im Schengen-Informationssystem wichtige Angaben enthalten – etwa, ob innerhalb der EU eine Fahndung gegen jemanden läuft. Auch fehlt es auf nationaler und auf EUEbene an qualifiziertem Personal.
Bei der jetzigen Arbeitsweise sei die Agentur nicht in der Lage, die Schengen-Außengrenzen so zu schützen, wie es ihrem Mandat entspreche, ergibt die Prüfung des Rechnungshofs. Die vermuteten illegalen Rückschiebungen durch Frontex-Beamte,
die in den letzten Monaten für Schlagzeilen gesorgt haben, spielen in dem Bericht zwar keine Rolle. Dazu soll es Mitte September einen gesonderten Bericht des Hofs geben.
2004 wurde Frontex mit zunächst 35 Mitarbeitern gegründet, deren Aufgabe darin bestand, an besonders belasteten Außengrenzen von Fall zu Fall die nationalen Grenzbeamten zu unterstützen. Seither wurde das
Mandat viermal verändert, zuletzt 2019, was jedes Mal mit einer Erweiterung des Aufgabenbereichs und der Aufstockung des Personals verbunden war. Arbeiteten 2017 noch 139 feste Mitarbeiter, sowie 262 Zeitbedienstete und 113 nationale Experten für die Agentur, soll das feste Personal dieses Jahr auf 1000 Mitarbeiter steigen, die von 5500 externen Fachleuten unterstützt werden.
2027 soll die Zielgröße von 10 000 fest angestellten und entsandten Mitarbeitern erreicht sein. Ähnlich rasant ist das Budget gestiegen. Von sechsMillionen Euro 2005 auf 460 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Ab 2027, wenn die Belegschaft komplett ist, sollen es 900 Millionen Euro sein. Offensichtlich wurde aber zu keinem Zeitpunkt eine ordentliche Kosten-Nutzen-Analyse erstellt. Die Mittel und das Personal wurden quasi blindlings aufgestockt, ohne Erkenntnisse darüber, welche Ressourcen die neuen Aufgaben tatsächlich erfordern würden.
Die deutsche Europaabgeordnete Lena Düpont, die dem Frontex-Untersuchungsausschuss angehört, sieht bei der Verbesserung der Situation auch die Mitgliedsstaaten in der Pflicht. „Die meisten Fehler sind der Agentur bewusst. Ein Großteil hängt aber daran, dass die Mitgliedsstaaten nicht ordentlich zuliefern“, sagte die CDU-Abgeordnete der „Schwäbischen Zeitung“. Man müsse stets bedenken, wie fundamental sich die Aufgaben in den letzten ein bis zwei Jahren geändert hätten.
Fünf Empfehlungen leitet der Hof aus seinen mehr als 80 Seiten umfassenden Erkenntnissen ab. Der Rahmen für den Informationsaustausch und das Lagebild an den Außengrenzen müsse verbessert und weitere Informationsquellen erschlossen werden. Die interne Bewertung von Schwachstellen müsse weiterentwickelt und die operativen Einsätze optimiert werden. Schließlich sei dafür zu sorgen, dass die aus dem neuen Mandat erwachsenden Herausforderungen bewältigt werden könnten.
Das klingt gut, wird aber ohne aktive Mithilfe der Mitgliedsstaaten nicht zu erreichen sein. Der Schutz der Außengrenzen krankt vor allem daran, dass sich die Regierungen bis heute nicht auf eine gemeinsame Linie verständigen können.
Alles, was innenpolitisch für schlechte Presse sorgen könnte oder außenpolitisch umstritten ist, wird der EU-Grenzschutzagentur zugeschoben. Die muss sich letztlich vor allem einen Vorwurf gefallen lassen: Nicht energisch genug gegen eine unlösbare Aufgabe protestiert zu haben.