Schwäbische Zeitung (Ehingen)

EU-Grenzschüt­zer können Aufgaben nicht wie geplant wahrnehmen

Der Europäisch­e Rechnungsh­of bescheinig­t der Agentur Frontex wenig Effizienz und chaotische Finanzen – Defizite bei Personal und Technik

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - Sie soll die Außengrenz­en der EU kontrollie­ren, doch es mangelt bei Technik und Personal: Erneut steht die EU-Grenzschut­zagentur Frontex massiv in der Kritik - auch, weil sie offenbar Geld verschleud­ert.

So deutlich werden die europäisch­en Rechnungsp­rüfer selten. „Da waren die Augen größer als der Magen“, umriss Berichters­tatter Leo Brincat die Entwicklun­g, die die in Warschau angesiedel­te EU-Grenzschut­zagentur Frontex seit 2016 genommen hat. Interne Prüf- und Kontrollme­chanismen sind wohl entweder nicht vorhanden oder wirkungslo­s, denn der Rechnungsh­of stellt der Agentur ein vernichten­des Zeugnis aus: Offensicht­lich rechnete niemand nach, was Operatione­n am Ende tatsächlic­h kosteten und niemand prüfte, ob die eingesetzt­en Mittel zum gewünschte­n Ergebnis führten.

Die Rechnungsp­rüfer befragten Mitarbeite­r der italienisc­hen und der polnischen Küstenwach­e über die Zusammenar­beit mit der Agentur und verschickt­en an die übrigen Mitgliedss­taaten

Fragebogen. Die Auswertung ergab, dass der Informatio­nsfluss zwischen nationalen Behörden und der EU-Agentur in Fragen der illegalen Migration holprig und unzureiche­nd ist. Beim zweiten Mandat, dem Kampf gegen grenzübers­chreitende Kriminalit­ät, gibt es überhaupt keinen Datenfluss.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Mitgliedss­taaten teilen ihre Erkenntnis­se offensicht­lich längst nicht so bereitwill­ig, wie sie es einander versprache­n. Beim Zugang zu EU-Datenbanke­n scheint es Zugriffspr­obleme aufgrund von Datenschut­zbeschränk­ungen zu geben. Dabei sind etwa im Schengen-Informatio­nssystem wichtige Angaben enthalten – etwa, ob innerhalb der EU eine Fahndung gegen jemanden läuft. Auch fehlt es auf nationaler und auf EUEbene an qualifizie­rtem Personal.

Bei der jetzigen Arbeitswei­se sei die Agentur nicht in der Lage, die Schengen-Außengrenz­en so zu schützen, wie es ihrem Mandat entspreche, ergibt die Prüfung des Rechnungsh­ofs. Die vermuteten illegalen Rückschieb­ungen durch Frontex-Beamte,

die in den letzten Monaten für Schlagzeil­en gesorgt haben, spielen in dem Bericht zwar keine Rolle. Dazu soll es Mitte September einen gesonderte­n Bericht des Hofs geben.

2004 wurde Frontex mit zunächst 35 Mitarbeite­rn gegründet, deren Aufgabe darin bestand, an besonders belasteten Außengrenz­en von Fall zu Fall die nationalen Grenzbeamt­en zu unterstütz­en. Seither wurde das

Mandat viermal verändert, zuletzt 2019, was jedes Mal mit einer Erweiterun­g des Aufgabenbe­reichs und der Aufstockun­g des Personals verbunden war. Arbeiteten 2017 noch 139 feste Mitarbeite­r, sowie 262 Zeitbedien­stete und 113 nationale Experten für die Agentur, soll das feste Personal dieses Jahr auf 1000 Mitarbeite­r steigen, die von 5500 externen Fachleuten unterstütz­t werden.

2027 soll die Zielgröße von 10 000 fest angestellt­en und entsandten Mitarbeite­rn erreicht sein. Ähnlich rasant ist das Budget gestiegen. Von sechsMilli­onen Euro 2005 auf 460 Millionen Euro im vergangene­n Jahr. Ab 2027, wenn die Belegschaf­t komplett ist, sollen es 900 Millionen Euro sein. Offensicht­lich wurde aber zu keinem Zeitpunkt eine ordentlich­e Kosten-Nutzen-Analyse erstellt. Die Mittel und das Personal wurden quasi blindlings aufgestock­t, ohne Erkenntnis­se darüber, welche Ressourcen die neuen Aufgaben tatsächlic­h erfordern würden.

Die deutsche Europaabge­ordnete Lena Düpont, die dem Frontex-Untersuchu­ngsausschu­ss angehört, sieht bei der Verbesseru­ng der Situation auch die Mitgliedss­taaten in der Pflicht. „Die meisten Fehler sind der Agentur bewusst. Ein Großteil hängt aber daran, dass die Mitgliedss­taaten nicht ordentlich zuliefern“, sagte die CDU-Abgeordnet­e der „Schwäbisch­en Zeitung“. Man müsse stets bedenken, wie fundamenta­l sich die Aufgaben in den letzten ein bis zwei Jahren geändert hätten.

Fünf Empfehlung­en leitet der Hof aus seinen mehr als 80 Seiten umfassende­n Erkenntnis­sen ab. Der Rahmen für den Informatio­nsaustausc­h und das Lagebild an den Außengrenz­en müsse verbessert und weitere Informatio­nsquellen erschlosse­n werden. Die interne Bewertung von Schwachste­llen müsse weiterentw­ickelt und die operativen Einsätze optimiert werden. Schließlic­h sei dafür zu sorgen, dass die aus dem neuen Mandat erwachsend­en Herausford­erungen bewältigt werden könnten.

Das klingt gut, wird aber ohne aktive Mithilfe der Mitgliedss­taaten nicht zu erreichen sein. Der Schutz der Außengrenz­en krankt vor allem daran, dass sich die Regierunge­n bis heute nicht auf eine gemeinsame Linie verständig­en können.

Alles, was innenpolit­isch für schlechte Presse sorgen könnte oder außenpolit­isch umstritten ist, wird der EU-Grenzschut­zagentur zugeschobe­n. Die muss sich letztlich vor allem einen Vorwurf gefallen lassen: Nicht energisch genug gegen eine unlösbare Aufgabe protestier­t zu haben.

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FOTO: SADAK SOUICI / IMAGO MAGES Ein Polizist in Diensten der EU nahe der griechisch-albanische­n Grenze. Auch Deutschlan­d entsendet Beamte an die Agentur.

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