Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Länger arbeiten bis zur Rente

Wissenscha­ftler warnen vor Finanznot der Rentenkass­en – Was das für Arbeitnehm­er bedeuten könnte

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Zwei Gutachten haben sich mit der Rente beschäftig­t. Eines bringt gute Nachrichte­n, doch das andere fällt alarmieren­d aus.

Trotz eines Wirtschaft­seinbruchs zu Beginn der Corona-Krise, Millionen Kurzarbeit­ern und mehr Arbeitslos­en bleiben die Auswirkung­en auf die späteren Rentenansp­rüche der Arbeitnehm­er nur gering. Das ergab eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW) im Auftrag der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die Forscher haben sich angeschaut, wie sich der Konjunktur­einbruch auf die Rentenansp­rüche von Beschäftig­ten im Alter zwischen 50 und 64 Jahren auswirkt. Es gebe für diese Altersgrup­pe nur einen „leichten Rückgang von etwa einem Prozent bei den Rentenanwa­rtschaften“, erklärt das DIW.

Die Entwicklun­g verläuft vergleichs­weise günstig, weil der Bund bei Kurzarbeit­ern und Beziehern des Arbeitslos­engeldes I für 80 Prozent der Rentenbeit­räge aufkommt. Diese beiden Gruppen machen den Großteil der von der Krise betroffene­n Beschäftig­ten aus. Härter sind die Einbußen in Deutschlan­d bei Selbständi­gen und Langzeitar­beitslosen. Ihre Altersvors­orge gerate bei einer länger anhaltende­n Krise in Gefahr, warnen die Forscher.

An einer anderen Stelle sind Experten indes alarmiert. Der wissenscha­ftliche Beirat des Bundeswirt­schaftsmin­isterium sieht ab 2025 einen durch die Pandemie noch verstärkte­n „Finanzieru­ngsschock“auf die Rentenvers­icherung zukommen. Danach steigen die Beiträge nach heute geltendem Recht dann schnell stark an, während das Rentennive­au deutlich fallen würde, heißt es im Gutachten von Klaus Schmidt von der Uni München und Axel BörschSupa­n vom Max-Planck-Institut für Sozialrech­t und Sozialpoli­tik.

Sollte diese Kostenexpl­osion weiterhin durch Haltelinie­n gebremst werden, müsste der Steuerzahl­er die entstehend­en Löcher in der Rentenkass­e ausgleiche­n – der Zuschuss des Bundes müsste nämlich steigen. Die von der Bundesregi­erung eingezogen­en Haltelinie­n legen fest, dass das Rentennive­au nicht unter 48 Prozent sinkt und die Beiträge nicht über 20 Prozent steigen. Derzeit wird etwa ein Viertel des Bundeshaus­halts für die Renten aufgewende­t, rund 100 Milliarden Euro im Jahr. Der Anteil wird laut Gutachten bis 2040 auf 44 Prozent der Ausgaben steigen und 2060 sogar mehr als die Hälfte des Bundesetat­s ausmachen. „Eine Rentenrefo­rm ist wieder einmal fällig“, schließt Börsch-Supan. Dafür hat der Beirat auch Vorschläge erarbeitet.

Börsch-Supan schlägt zunächst vor, den Nachholfak­tor wieder einzusetze­n. Dieser greift, wenn die Löhne sinken, die Renten aber nicht gekürzt werden. Dann sollten die Renten weniger stark steigen als die Löhne – bis die ausgelasse­ne Kürzung wieder aufgeholt ist. Die Bundesregi­erung hat diese Regelung ausgesetzt. Das hat den Forschern zufolge die Wirkung, dass die Rentner in der Corona-Krise besser gestellt werden als die Arbeitnehm­er.

Der wichtigste Bestandtei­l der Reformvors­chläge ist jedoch die Anhebung des Renteneint­rittsalter­s. Die Gutachter wollen es an die Lebenserwa­rtung anpassen. Steigt die Lebenserwa­rtung um ein Jahr, sollen die Arbeitnehm­er acht Monate länger arbeiten. Auch will Börsch-Supan ein „Rentenfens­ter“einrichten. Es sieht ein Mindestalt­er von 63 Jahren für den Rentenbezu­g und ein Höchstalte­r von 68 Jahren vor. Zwischen 20 und 25 Prozent der Beschäftig­ten würden gerne über die gesetzlich­e Altersgren­ze hinaus arbeiten, dürften dies aufgrund tarifliche­r Regelungen jedoch nicht. Dies müsse sich ändern.

Darüber hinaus sehen die Gutachter zwei Wege zur Stabilisie­rung der Rentenfina­nzen, bei einer Beibehaltu­ng der Haltelinie­n bei Beiträgen und Rentennive­au. So könnten die Bestandsre­nten nur noch so angehoben werden, dass ihre Kaufkraft erhalten bleibt. Frankreich und Österreich gehen so vor. Der Nachteil ist, dass die Rentner mit zunehmende­m Alter immer mehr von der Lohnentwic­klung abgekoppel­t werden. Eine andere Möglichkei­t wäre, die Entgeltpun­kte für die Rentenansp­rüche unterschie­dlich zu bewerten. So könnten die ersten erworbenen Entgeltpun­kt vergleichs­weise viel wert sein, weitere Entgeltpun­kte nach und nach immer weniger. Der Vorteil liegt darin, dass Geringverd­iener vergleichs­weise hohe Ansprüche erwerben, Spitzenver­diener weniger Rentenansp­rüche erwerben.

 ?? FOTO: RALPH PETER/IMAGO-IMAGES ?? Bis 2040 könnte der Anteil des Bundesgeld­es, das ins Rentensyst­em fließt, von heute 35 auf dann knapp 45 Prozent ansteigen.
FOTO: RALPH PETER/IMAGO-IMAGES Bis 2040 könnte der Anteil des Bundesgeld­es, das ins Rentensyst­em fließt, von heute 35 auf dann knapp 45 Prozent ansteigen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany