Ein Vorname als eine Art Friedensangebot
Das Baby Lilibet Diana von Meghan und Harry beschäftigt die Briten – Sein Rufname knüpft an die Queen an
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LONDON - Mit Vornamen ist das ja generell so eine Sache. Ganz egal, wie distanziert die Familie sonst sein mag – mitreden möchten Onkels und Tanten, geschweige denn Großeltern natürlich doch immer ganz gern, von Freundinnen und Freunden ganz zu schweigen. Wie vermeiden frischgebackene Eltern, dass entweder Großmutter A oder Großvater B beleidigt ist? Im Fall des jüngsten Sprösslings Mountbatten-Windsor, der vergangenen Freitag (Ortszeit) in Kalifornien geborenen Tochter von Meghan Markle und Prinz Harry, hätten solcherlei Erwägungen eigentlich für Doria gesprochen, den Vornamen von Meghans Mutter, deren einsame Grazie beim live übertragenen Traugottesdienst auf Schloss Windsor ein Millionenpublikum beeindruckte. Denn die andere Großmutter kann schon deshalb nichts übelnehmen, weil sie längst verstorben ist. Genau dies wird letztlich den Ausschlag gegeben haben für Diana, Harrys geliebte Mutter, die in drei Wochen ihren 60. Geburtstag feiern würde, wäre sie nicht im Alter von 36 Jahren bei einem Autounfall tödlich verunglückt.
Übertrumpft aber wird die Tote noch von einer Lebenden: Königin Elizabeth II., die scheinbar ewige Monarchin des Vereinigten Königreiches. Die erhielt ihren Rufnamen 1926 ganz traditionell von ihrer Mutter, die beiden anderen Vornamen Alexandra und Mary von ihren Großmüttern. „Elizabeth“ist natürlich nicht ganz leicht für eine Kleinkindzunge, weshalb die Prinzessin ihren Großvater Georg V. mit der Verballhornung „Lilibet“entzückte. Der Monarch sprach die Enkelin so an, der Spitzname blieb ihr erhalten, bis heute. Nicht zuletzt nannte der vor zwei Monaten verstorbene Prinzgemahl Philip seine Frau so, in 73 langen Ehejahren.
Selbstverständlich zeigte sich die königliche Urgroßmutter „entzückt“über ihr elftes Urenkelkind Lilibet „Lili“Diana. Davon abgesehen, dass neugeborene Kinder natürlich immer entzückend sind, bleibt es ja bis heute eine gute Nachricht, wenn eine knapp 40-Jährige Frau auch ihre zweite Entbindung unbeschadet übersteht.
Oder mischte sich auch etwas wie Erleichterung in die ganz selbstverständliche Freude über die Geburt eines gesunden Kindes? Eine Kennerin der royalen Szene, „Sunday Times“Redakteurin Roya Nikkhah, jedenfalls hält den Namen für eine Art Friedensangebot aus Kalifornien an die
Chefin des Hauses Windsor. „Ich glaube, es stellt einen diplomatischen Ölzweig dar.“Wohl kaum hätte das abtrünnige Prinzenpaar den intimen Spitznamen der Monarchin gewählt, ohne zuvor deren Genehmigung eingeholt zu haben.
Das ist eine sehr viel freundlichere Interpretation der Namenswahl als jene britischer Royal Watchers, die am Montag heftig mit den Augen rollten: Das kalifornische Paar, so lautete deren Einschätzung, habe sich ein Jahr nach der Abkehr vom angeblich so gefühlskalten und rassistischen Königshaus noch immer nicht so recht abgenabelt.
Glaubt man der liebenswürdigen Version, müsste es eigentlich demnächst zur transatlantischen Versöhnung kommen. Dafür sprach zuletzt wenig. Dass Prinz Harry in einem seiner unzähligen Podcast-Auftritte wieder einmal vom „Schmerz und Leid“seiner royalen Kindheit sprach, vor der er seine Kinder beschützen müsse, beantworteten sein Vater Charles und sein Bruder William mit eisigem Schweigen.
Dafür jedenfalls, dass die Briten angeblich die Nase gestrichen voll haben von den neuesten Wendungen des früher einmal prinzlichen Lebens, ergehen sich ihre Zeitungen immer noch in beträchtlichen Betrachtungen über Meghan, Harry und deren Nachwuchs. Der königstreue „Telegraph“brachte es am Montag immerhin auf drei Artikel, in der „Times“des Monarchie-skeptischen Medienzaren Rupert Murdoch fanden zwei Stücke Platz. Selbst der eher republikanisch denkende „Guardian“mochte der Leserschaft wichtige Mitteilungen zum Neugeborenen nicht vorenthalten.
Die Lektüre erbrachte eifrigen Lesern die wichtige Erkenntnis, Geburten im Königshaus würden immer wieder die Thronfolge verändern. Wer hätte das gedacht! Lilibet nimmt nun Platz Acht ein und hat damit ihren Großonkel Andrew und dessen
Nachkommen noch weiter von der Möglichkeit entfernt, dereinst dem Vereinigten Königreich vorzustehen. Angesichts der andauernden Vorwürfe gegen den 61-Jährigen, der durch seine Freundschaft zum verstorbenen Sexualverbrecher Jeffrey Epstein ins Zwielicht geraten ist, dürfte das den Verantwortlichen ganz recht sein.
Bestätigen ließ sich auch die Tatsache, dass das kalifornische Baby die geliebte Prinzessin ihrer Kleinfamilie sein mag, einen entsprechenden Titel aber nicht tragen darf. Das wäre frühestens dann möglich, wenn ihre Namensgeberin dereinst ihr langes Leben beschließt: Der neue König Charles könnte dann, so sieht es das vor mehr als 100 Jahren erstellte royale Handbuch vor, die derzeit jüngste Generation mit dem Titel „Königliche Hoheit“beglücken. Weil der Langzeit-Thronfolger aber seit Langem einer Verschlankung der Monarchie das Wort redet, dürfte das kein Thema sein. Macht ja nichts. Das Baby sei, so die Erklärung der Eltern auf der Website Archewell, schon jetzt „mehr als wir uns je vorstellen konnten“. Was will Lilibet mehr?