Handwerksbetriebe klagen ihr Leid
Bundestagsabgeordnete Ronja Kemmer erkundigt sich beim Oberdischinger Mittelstand nach der Situation
● OBERDISCHINGEN - Wie geht es dem Mittelstand im 15. Monat der Coronakrise? Zu Bäckerei Volz und Elektro Hess in Oberdischingen brachte die Bundestagsabgeordnete Ronja Kemmer (CDU) diese Frage mit.
„Es darf keine zweite Pandemie kommen“, sagt Elektromeister Holger Hess. Die Rücklagen sind aufgebraucht. Lohnfortzahlungen für Mitarbeiter, die als Kontaktpersonen in Quarantäne mussten, dann sich aber alle durch PCR-Tests als Covid19-negativ herausstellten, kosteten eine fünfstellige Summe. „Wir waren im aktuellen Jahr nur etwa fünf bis sechs Wochen vollzählig“, erklärt Hess. Und jetzt treten erhebliche Lieferschwierigkeiten auf und bringen Kostenvoranschläge und Auftragsabwicklung durcheinander. „Die Kabel kommen, aber wann ist die Frage, und der Kupferpreis ist binnen drei Wochen um das Anderthalbfache gestiegen.“
Inzwischen sei eine Person wöchentlich einen Arbeitstag lang mit den Umdisponierungen beschäftigt. An sechs Häusern ist Elektro Hess derzeit im Einsatz. Die Lieferschwierigkeiten betreffen alle Gewerke. Dem Trockenbauer fehlten die Platten. „Wir planen vor und zurück“, beklagt Hess. Frühere Planungen mit Just-in-time-Lieferungen seien heutzutage sozusagen tödlich. Einen kleinen Lagervorrat zumindest versucht er anzulegen.
Hess hat das Unternehmen 2012 von seinem Vater Wolfgang übernommen. Gründer war Großvater Georg Hess, der 1949 seinen Meistertitel erwarb. Elektromeister Holger Hess beschäftigt einen weiteren Meister, einen Gesellen, einen Azubi und eine Bürokraft. Der Vater hilft bei Bedarf mit. Fähige Mitarbeiter zu finden, sei schwer, weil Gesellen oft Routine in monotonen Tätigkeiten erlangt haben, nicht aber die Bandbreite der Arbeiten gewöhnt sind, die bei Elektro Hess nötig ist.
Um nicht von Covid-Infektionen überrascht zu werden, fing das Unternehmen an, alle Mitarbeiter einmal in der Woche selbst zu testen. Holger Hess hat die Infektion symptomlos durchlaufen, was bei einem Arztbesuch zufällig festgestellt wurde. Weil er im Pflegeheim einen Auftrag ausführen wollte, ließ er sich sicherheitshalber testen und bekam das überraschende Ergebnis. Er war somit als einziger im Betrieb wegen einer Infektion in in Quarantäne, habe aber niemanden angesteckt. Während das Testen nun Pflicht ist, sagt Hess andererseits, „impfen ist freiwillig, das ist
Privatsache“.
Bürgermeister Fritz Nägele begleitete die Bundestagsabgeordnete und würdigte den Elektrobetrieb am Ort. Erst am Morgen war das Unternehmen zu einem Notfall ins Rathaus gerufen worden und ersetzte prompt ein gekapptes Kabel. Auch bei der Digitalisierung der Grundschule wirkt das Elektrounternehmen mit. 50/50, schätzt Holger Hess, übernehme sein Betrieb Aufträge in Neubauten oder Instandhaltungen und Kundendienste. Einsatzgebiet sei zwischen Ehingen und Ulm. Bei PV-Anlagen auch darüber hinaus.
Jürgen Volz ist Bäcker in vierter Generation. 1911 kaufte sein Urgroßvater das Grundstück, wo zuvor schon eine Bäckerei bestanden hatte. Neben dem Verkauf auf dem Wochenmarkt
gibt es auch zwei Filialen in Ringingen und Ersingen. Allerdings wird die Verkaufsstelle in Ersingen zum 15. Juni geschlossen. Die Kundschaft fehlt. Die Ersinger kaufen beim Einkauf im Supermarkt ihr Brot gleich mit. Deshalb sieht der Bäckermeister für seine Branche und seinen Standort auf lange Sicht schwarz. Die Mitarbeiterin aus Ersingen wird in Oberdischingen weiterbeschäftigt. Das Inhaberehepaar beschäftigt zwölf Teil- beziehungsweise Vollzeitmitarbeiter. Sie suchen derzeit einen Bäcker.
Für Ersingen wird mit dem Ende des Filialbetriebs ein Lieferservice angeboten. Kunden können ihre Wünsche nennen, um am Folgetag mit den frischesten Backwaren beliefert zu werden. Einen Lieferservice hat die Bäckerei Volz bereits mit Beginn der Coronapandemie angeboten, weil Stammkunden in Quarantäne kamen. Beschäftigte im Homeoffice machen sich auch bemerkbar, allerdings nicht gleichmäßig, sondern in Wellen. Mal ist das Brot am Nachmittag fast aus, mal bleiben 15 Laibe übrig, berichtet Jürgen Volz. Vor Corona fanden viele Pilger den Weg in die Bäckerei und hielten sich dort länger auf. Jetzt gibt Corinna Volz den Tipp, zum Verweilen das Café an der Kirche anzusteuern.
Als sicheres Standbein erweist sich in der Bäckerei bereits seit 25 Jahren die integrierte Postfiliale. Kurz nach 6 Uhr können schon Sendungen abgegeben werden, was gleich zum Einkaufen von Backwaren einlädt. Der Name Volz steht für eine Vielfalt an Seelen und an Laugengebäck. Laugenspatz, Laugenmaus, Laugenbrille, Laugenwecken und natürlich Brezel, zählt Jürgen Volz auf. Morgens um 1 Uhr beginnt der Arbeitstag des Bäckers. In zwei Etappen über den Tag verteilt, holt er sich den Schlaf wieder herein. Die Arbeitszeiten am Wochenende schrecken manchen Arbeitsuchenden.
Doch der Beruf hat Vorteile, betont Corinna Volz. Ihr Mann sei ganz nah dran am Familienleben und erlebe seine Kinder beim Frühstück, Mittagessen und schaue auch mal über die Hausaufgaben. Als Wunsch an die Politik gibt Jürgen Volz der Bundestagsabgeordneten, die den Schilderungen über beide Handwerksbetriebe aufmerksam folgte, den Bürokratieabbau mit auf den Weg.