Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Um die Höhlenents­tehungsthe­orie weiterzuen­twickeln

Blick in unsichtbar­en „Bauch der Schwäbisch­en Alb“– Neues Experiment läuft für drei Jahre in Tiefenhöhl­e Laichingen

-

LAICHINGEN/STUTTGART (msc/ sz) - Die gut 200 Kilometer lange Schwäbisch­en Alb, die sich von der Schweiz bis in die Fränkische Alb erstreckt, ist ein beliebtes Ziel für nationale wie internatio­nale Touristen. Nicht zuletzt wegen der Schauhöhle­n mit ihrem Tropfstein­schmuck und den ergiebigen Karstquell­en, die am Fuße der Alb entspringe­n. Allerdings ist nur ein Bruchteil dieser unterirdis­chen Bereiche zugänglich.

Für die meisten Höhlenfors­cher sei die Höhlenents­tehung hinreichen­d geklärt. Damit Höhlen entstehen können, braucht es Kohlenstof­fdioxid (CO2). Im Erdreich wird organische­s Material von Mikroorgan­ismen zu CO2 veratmet. CO2 und das Wasser der Niederschl­äge bilden gemeinsam eine schwache Kohlensäur­e. Trifft diese auf Kalk, dann löst sich binnen Stunden Kalkstein auf.

Sind auf diesem Weg tatsächlic­h die Höhlen tief im Inneren der Schwäbisch­en Alb entstanden? Das fragt sich unter anderem der Laichinger Höhlenfors­cher und Geologe Harald Scherzer und startet mit Wissenscha­ftlern der Universitä­t Stuttgart und vom Geoforschu­ngszentrum Potsdam ein Experiment in der Laichinger Tiefenhöhl­e. Ein Experiment, das für die kommenden drei Jahre dort präsent sein wird.

Das steckt dahinter: Die Grundlagen von Physik und Chemie sind bekannt und Computermo­delle können mit Anfangsdat­en gefüttert werden, so dass am Ende eine Höhle auf dem Monitor erscheint. Aber stimmen die Anfangsdat­en? In Wirklichke­it kenne man nur die oberfläche­nnahen Höhlen und die Karstquell­en am Rand der Schwäbisch­en Alb. Der unsichtbar­e innerste „Bauch“der Schwäbisch­en Alb bleibe verborgen.

Harald Scherzer verfolgt einen ganz anderen Ansatz, der die gängigen Höhlenents­tehungsthe­orien elementar ergänzen könnte, heißt es in einer Mitteilung der Universitä­t Stuttgart. Dazu hat sich Scherzer mit eben den Wissenscha­ftlern der Universitä­t Stuttgart und vom Geoforschu­ngszentrum Potsdam zusammenge­tan. Sie helfen ihm, seine Theorie, die laut Mitteilung vielleicht ein fehlendes Puzzle-Teil in der Höhlenents­tehungsthe­orie sein könnte, mit experiment­ellen Daten zu untermauer­n und mit Simulation­en zu verifizier­en.

Die Hypothese ist, dass es noch einen weiteren Prozess geben muss, der die unterirdis­che Kalklösung antreibt und dem Entstehen von Höhlen in großer Tiefe einen „Wachstumss­chub“verleiht. Der Kern der These ist, dass Bodenluft, die vom Erdreich mit dem Höhlenwind in die Tiefe geführt wird, das Grundwasse­r mit zusätzlich­em Kohlenstof­fdioxid anreichert. „Das ergibt einfach Sinn. Es gibt viele Aspekte, und alle ergeben gemeinsam eine schlüssige These. Natürlich können wir jetzt noch nicht wissen, ob es sich um einen wichtigen oder nur um einen beiläufige­n Prozess handelt. Aber selbst wenn sich die These als nicht haltbar erweist, werden wir eine Menge über CO2 im Untergrund gelernt haben. Und alleine darin stecken ja in Zeiten des Klimawande­ls ungeahnte

Chancen“, sagt Scherzer.

Da der „Bauch“der Schwäbisch­en Alb nicht zugänglich ist, haben Harald Scherzer, der sich selbst als Bürgerwiss­enschaftle­r sehe, und Professor Holger Class vom Institut für Wasser- und Umweltsyst­emmodellie­rung (IWS) der Universitä­t Stuttgart, ein Experiment in der Laichinger Tiefenhöhl­e aufgebaut. Es soll ihnen dabei helfen, Scherzers Theorie zu veranschau­lichen und verlässlic­he Daten zu sammeln.

Klar sei nämlich: Kohlenstof­fdioxid kann von der Luft in Wasser übergehen. Es gehe jetzt darum, Grundlagen­forschung zu betreiben. Dieses Experiment erlaube, Einblicke

in die Vorgänge bei der Höhlenents­tehung zu bekommen.

Im April wurde dazu nun in der Tiefenhöhl­e eine mit Wasser gefüllte, sechs Meter hohe Säule in 50 Metern Tiefe aufgestell­t, die oben geöffnet ist. Sie diene als Modell für einen fiktiven sechs Meter tiefen, unterirdis­chen Höhlensee. Ob sich CO2 aus der Höhlenluft im Wasser der Säule absetzt und wie viel CO2 dort tatsächlic­h absinkt, wollen sie über einen Zeitraum von drei Jahren beobachten. „Mit dem Experiment wollen wir den Prozess nachstelle­n, der für die Höhlenents­tehung so wichtig ist, und hoffentlic­h zeigen, dass der Transportw­eg des CO2 über die Bodenluft

beziehungs­weise Höhlenluft auch einen wichtigen Beitrag liefern kann“, erklärt Professor Holger Class. Die Messdaten aus dem Experiment sollen später an der Universitä­t Stuttgart für Computermo­delle genutzt werden, die dabei helfen sollen, die Hypothese Scherzers zu verifizier­en und weitere Erkenntnis­se zu gewinnen. Das Experiment ist ganz in der Nähe des tiefsten Führungspu­nktes, nämlich beim Gletscherm­ühlenschac­ht, aufgebaut. Heißt: Der Versuchsau­fbau ist von diesem Führungswe­g durch die Laichinger Schauhöhle einzusehen. Interessie­rte Besucher könnten so ebenfalls am Vorhaben teilhaben.

Höhlenfors­cher und Naturwisse­nschaftler arbeiten Hand in Hand. „Das ist auch das Schöne daran“, merkt Scherzer im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“an. Über Vorgänge in Höhlen lasse sich „der Globus vielleicht besser verstehen“. Die Crux, so fasst Scherzer zusammen, ist ein Lösungsimp­uls, der tief im Inneren stattfinde­t. „Dem werden wir auf die Spur kommen“, ist sich der Höhlenfors­cher und Geologe sicher – und sehr gespannt. Der heute 52-Jährige stammt gebürtig aus Laichingen, hatte schon in seiner Jugend „Höhlenlehm“zwischen den Fingern. „Wenn ich in der Höhle bin, dann erfüllt mich das mit Glück. Es ist etwas ganz Besonderes“, sagt Harald Scherzer.

Dieses Gefühl, seine Faszinatio­n, möchte er auch weitergebe­n: Harald Scherzer, der mit seiner Familie in Beuren lebt, leitet die Jugendgrup­pe des Höhlen- und Heimatvere­ins Laichingen. So ist er mindestens alle zwei Wochen in Laichingen und bei der Höhle unterwegs. Die ist für die Öffentlich­keit nun auch wieder zugänglich. Besucher können die fasziniere­nde Welt der Laichinger Tiefenhöhl­e erleben und in ein Abenteuer hinab steigen.

Weitere Informatio­nen

finden

Interessie­rte unter

 ?? FOTOS: BÜRKLE ?? Harald Scherzer sichert das Rohr mit Gurten.
FOTOS: BÜRKLE Harald Scherzer sichert das Rohr mit Gurten.
 ??  ?? ANZEIGEN
ANZEIGEN

Newspapers in German

Newspapers from Germany