„Auf ganzer Linie gescheitert“
Wer wird evakuiert?
„Wir nehmen alles mit, was vom Platz her in unsere Flugzeuge passt", sagt Kramp-Karrenbauer. Aber im Moment können offenbar nur Menschen mit internationalen Pässen den Flughafen erreichen. Wie Generalinspekteur Eberhard Zorn berichtet, haben die Taliban Kabul weitgehend unter Kontrolle und lassen nur ausländische Staatsangehörige zum Flughafen. Das bedeutet, dass Ortskräfte, Menschenrechtler, Frauen und andere Afghanen, denen die Bundesregierung auch Hilfe zugesagt hatte, derzeit keine Chance haben. Das gilt erst recht für Gefährdete, die sich außerhalb der Hauptstadt zum Beispiel im Norden des Landes befinden, wo die Bundeswehr bis vor wenigen Wochen stationiert war.
Warum die A400M?
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Die noch relativ neuen Transportflieger der Bundeswehr können offiziell knapp 130 Menschen mit an Bord nehmen. Die Maschinen können in großer Höhe und vollgeladen über 3000 Kilometer weit fliegen. Sie sind eingeschränkt gegen Beschuss geschützt, unter anderem können sie infrarotgesteuerte Luftabwehrraketen mit dem Abfeuern von Täuschungskörpern ablenken.
BERLIN - Die Idee des „Nation Building“hat sich überlebt, sagt der Konfliktforscher Thorsten Bonacker von der Philipps-Universität Marburg (Foto: privat) im Gespräch mit Stefan Kegel.
Afghanistan ist der jüngste Versuch gewesen, ein Land mittels „Nation Building“in einen Staat westlicher Prägung zu verwandeln. Wie bewerten Sie ihn angesichts des Durchmarschs der Taliban?
Er ist auf ganzer Linie gescheitert. Das ist sehr tragisch, besonders, wenn man sich anschaut, was in den vergangenen 20 Jahren in Afghanistan investiert worden ist und welche Fortschritte erzielt worden sind. Wir sehen das große Scheitern eines sehr ambitionierten Vorhabens.
War die Idee des Neuaufbaus des afghanischen Staates falsch?
Es ist sowieso schon extrem schwierig, auf ein besonderes Land wie Afghanistan – aufgrund seiner geografischen und kulturellen Gegebenheiten und ohne eine Tradition staatlicher Zentralisierung – von außen Einfluss zu nehmen. Noch schwieriger wird es, wenn es bewaffneten Widerstand gibt, der ja in den vergangenen Jahren noch zugenommen hat. Außerdem ist es nie gelungen, eine Verwaltung aufzubauen, die sich über das ganze Land erstreckt hätte, was aber eine wichtige Voraussetzung ist, ein Land zu einen. Diese Regierung hat nie eine hohe Legitimität genossen. Es gab ein hohes Ausmaß an Korruption, eine Bevorzugung eigener Gruppen und wenig Gemeinwohlorientierung. Hinzu kommt, dass man vor dem Abzug keine Friedenslösung erreicht hat. Das ist der politisch größte Fehler der Amerikaner und aller Verbündeten.
Der Versuch der Amerikaner, nach einem Krieg in einem Land von außen eine neue staatliche Struktur zu errichten, hat vor 75 Jahren in Westdeutschland ganz gut funktioniert. Fallen Ihnen seitdem weitere erfolgreiche Beispiele ein? Das deutsche Beispiel hat sich unter sehr besonderen historischen Bedingungen vollzogen. Und Deutschland hatte ganz andere ökonomische Bedingungen als viele andere Länder, über die wir heute reden, die zum Beispiel von kolonialer Fremdherrschaft oder einer langen Geschichte der Gewalt betroffen waren. Wenn man Stabilität und eine Abkehr von der Gewalt zum Maßstab nimmt, fallen mir Beispiele wie Kosovo, Namibia, Sierra Leone oder Osttimor ein. Nicht zufällig sind das allerdings deutlich kleinere Länder als Afghanistan. Größe spielt hier durchaus eine Rolle.
Hat sich die Idee des Nation Building denn überlebt?
Die Euphorie aus den 1990er-Jahren gibt es nicht mehr, als viele dachten, man könne Staaten von außen demokratisieren. Heute liegt der Schwerpunkt der Außenpolitik eher auf Stabilisierung.
Kanzlerin Angela Merkel hat mit Blick auf Afghanistan davon gesprochen, „die Ziele bei solchen Einsätzen auch kleiner fassen“zu wollen. Wie könnte das aussehen? Damit solche externen Missionen in einen nachhaltigen Frieden münden, ist es zunächst einmal wichtig, die Kriegsparteien zu entwaffnen und ein Gewaltmonopol des Staates zu errichten, das von allen akzeptiert wird. Das hat es in Afghanistan zu keinem Zeitpunkt gegeben. Außerdem muss es einen Friedensschluss und eine politische Integration geben, die sicherstellt, dass keine Gruppen von politischen Prozessen ausgeschlossen werden. Letztlich müssen alle Bevölkerungsteile von wirtschaftlicher Entwicklung profitieren können. Der Staat muss, auch mit internationaler Hilfe, allen Gruppen Zugang zu öffentlichen Gütern wie Bildung und Gesundheit garantieren.
Wie kann geholfen werden? „Hilfen für die direkten Nachbarländer vor Ort, also vor allem für Pakistan und Iran, sind jetzt ein essenzielles Puzzleteil der Lösung“, betont Rietig. „Deutschland, Europa und auch die USA sollten gemeinsam Gespräche mit diesen Ländern führen und Anreize geben, damit diese Nachbarländer die Menschen erst einmal versorgen, so gut es geht.“Auch Deutschland könne einen Beitrag leisten. Zum einen könne es besonders schutzbedürftige Afghanen und ihre Familien evakuieren, etwa Menschenrechtlerinnen. Zudem könnte eine zeitweise Lockerung des Familiennachzugs für Afghanen den Anreiz für irreguläre Migration senken, sagt sie. „Drittens sollte Deutschland für weitere mögliche Flüchtlingsströme in die Türkei planen“, betont Rietig. Zurzeit gilt die EU-Türkei-Erklärung von 2016 nicht für Afghanen. „Sie sollte ausgeweitet werden, so dass auch sie in der Türkei temporären Schutz bekommen können.“Bereits jetzt lebten mehr als hunderttausend Afghanen dort.
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