Ins Herz der Familie einschließen
Alisa Arutjunjan aus Dürmentingen gibt sucht- und psychisch kranken Menschen ein Zuhause
● DÜRMENTINGEN - „Sie ist aufgeblüht“, erzählt Alisa Arutjunjan lächelnd. „Irgendwann hat sie sich schöne Kleidung gekauft und ist regelmäßig zum Friseur gegangen.“Die alkoholkranke Frau, die vor einigen Jahren bei der Dürmentinger einzog, hatte gerade ihre Therapie in einer psychiatrischen Klinik beendet. Jahrelang lebte sie dann in einem der Zimmer in Arutjunjans Privathaus – wie ein Familienmitglied: Sie speiste mit am Tisch, saß auf der Couch vor dem Fernseher oder erzählte aus ihrem Leben. Dreieinhalb Jahre lebte sie mit Alisa Arutjunjan Seite an Seite, als sei sie eine Schwester oder Tochter. Dann war sie stabil genug, um wieder allein zu wohnen und arbeiten zu gehen.
„Manchmal können die psychischen Krankheiten schlimm sein, das Zusammenleben wird manchmal schwierig“, erklärt die 64-jährige Alisa Arutjunjan. Allerdings betrachtet sie die Hilfe für ihre Mitbewohnerinnen auf Zeit als einen großen ideellen Gewinn. Deshalb hat sie bereits seit 2004 immer wieder ganz unterschiedlichen Frauen ein Zuhause mit Hilfe des Vereins Bela gegeben. Genau das ist das Anliegen des gemeinnützigen Sozialunternehmens Bela, das seit 1987 Menschen mit psychischen Erkrankungen, Demenz oder Suchtproblemen an Familien oder Gastgeber vermittelt: Das sei gelebte Inklusion.
Die ehrenamtlich tätigen Familie geben den Erkrankten bis zu dreieinhalb Jahren ein neues Zuhause, damit sie sich wieder an ein ganz normales Leben gewöhnen. „Unter dem Dach von Bela gibt es derzeit 45 Gastfamilien, in denen 50 Bewohner leben“, erklärt Rebecca Häußler, Sozialarbeiterin bei Bela und Koordinatorin für das betreute Wohnen. Pro Haushalt könnten maximal zwei solcher Bewohner gleichzeitig leben. Sie seien derzeit zwischen 20 und 87 Jahre alt. „Wir vermitteln Gastgeber und Kranke nur dann, wenn beide gut zusammenpassen“, sagt sie. Dafür würden ausführliche Gespräche mit beiden Seiten geführt, bevor es zur Vermittlung käme. Denn Gastgeber seien schließlich eine wichtige Bezugsperson und nicht nur diejenigen, die Bett, Mahlzeiten und ein gemütliches Sofa bereitstellten. Für den ehrenamtlichen Job bekommt die Familie pro Bewohner eine monatliche Kostenpauschale von 1075 Euro.
Bevor Alisa Arutjunjans jetztige Mitbewohnerin im März einzogen war, gab es ebenfalls einen intensiven Austausch mit Bela. Nach nun rund sechs Monaten des Zusammenlebens sagt die Mitbewohnerin, die anonym bleiben will, sie fühle sich wohl. Auch Rebecca Häußler und Alisa Arutjunjan haben den Eindruck, sie habe sich gut entwickelt.
Rückblickend betrachtet die Dürmentingerin ihr Engagement im Rahmen von Bela als ideell bereichernd, aber auch als eine große Herausforderungen. Mitunter komme es zu schwierigen Situationen: Manche Klienten gingen plötzlich nicht mehr zur Arbeiten, äßen nichts mehr oder griffen wieder zu Suchtmitteln. „Eine Mitbewohnerin hat sich einmal bei meinem Sohn über mein Verhalten beschwert. Ich hatte der Dame gesagt, dass sie nicht überall ihre Sache liegen lassen könne und sich breitmache. Jeder hat sein eigenes Zimmer und es muss auch einige Regeln geben“, meint die Alisa Arutjunjan. sie betont, sie habe bislang niemanden gezwungen, irgend etwas im Haushalt zu machen. In schwierigen Situation bietet der Verein Bela Rat und setzt auf das gewohnte Regelwerk der Gastfamilien: „Familien sollen sich nicht verstellen“, meint Rebecca Häußler. „Es sollte ein Gedanke aus dem Herzen sein, wenn sich Gastgeber für einen solchen Gast entscheiden. Denn man lässt jemand Fremdes in die Familie.“Alisa Arutjunjan. „Ich hätte es auch ohne das Geld gemacht.“
Alisa Arutjunjans natürliche Offenheit und Gastfreundschaft führte sie 2004 eher zufällig zur Arbeit des Bela e.V. Nachdem ihr Mann 2002 einen Schlaganfall erlitten und sie ihn anschließend gepflegt hatte, fragten sich Alisa und ihre beiden Kinder nach dem Tod des Vaters: Wie soll es weitergehen mit dem großen Haus? Wie sollen wir den Kredit abzahlen?
„Eines Tages brachte meine Tochter eine Schulfreundin mit nach Hause, die sich bei uns weinend in die Küche setzte und von dem Streit mit ihrer Gastfamilie erzählte“, berichtet Alisa Arutjunjan. Das Mädchen war damals ebenfalls von Bela vermittelt worden. Alisa entschloss sich spontan, den Teenager fortan an ihrem Haus wohnen zu lassen. Seitdem hat die Dürmentingerin, inzwischen Rentnerin, immer wieder Menschen bei sich wohnen lassen, die sie anfangs so gut wie gar nicht kannte. „Ich kann das, dachte ich damals. Vor allem als ich an die Zeit dachte, in der mein Mann im Rollstuhl saß.“
Kontakt für bela e.V. Sennhofgasse 7, Telefon: 07351/374 18 31 Internet: www.bela-ev.com
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