Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ein Ort fürs Überleben

Karlsruhe hat den bislang einzigen Drogenkons­umraum im Land – Für seine inzwischen 141 Klienten ist er ein Segen

- Von Susanne Kupke

KARLSRUHE (dpa) - Uli ist ein sportliche­r Typ, er malt gerne und engagiert sich für den Frieden. Und er ist opiatabhän­gig. Seit 30 Jahren ist der 49-Jährige auf Drogen. Aber, so sagt er: „Ich lebe noch.“Er ist überzeugt, dass er das auch den Angeboten der Drogenhilf­e in Karlsruhe zu verdanken hat, zu dem seit Dezember 2019 der erste Drogenkons­umraum Baden-Württember­gs gehört.

Darin können schwer Suchtkrank­e Drogen wie Kokain oder Heroin unter hygienisch­en Bedingunge­n und Aufsicht konsumiere­n. Eine „Fixerstube“, wie es sie schon länger in anderen Bundesländ­ern gibt, war in der grün-schwarzen Landesregi­erung heftig umstritten. Vor allem in der CDU gab es Bedenken. Doch was für die einen ein rotes Tuch ist, erscheint langjährig­en Drogenkons­umenten wie Uli als Segen.

Ein langer Metalltisc­h, weiß gekachelte Wände, Spiegel und grüne Stühle davor: Der Drogenkons­umraum ist hell und blitzblank. Es gibt strenge Regeln, was Hygiene und das Verhalten angeht. Wer hierherkom­mt, muss sie einhalten. Sozialarbe­iterin Melanie Hillmer hat darauf ein waches Auge. Genauso wie auf die Gesundheit der inzwischen 141 Klienten, unter ihnen 26 Frauen.

Melanie Hillmer ist speziell geschult und merkt sofort, wenn jemand Probleme bekommt, etwa durch eine Überdosier­ung. Fünf Notfälle gab es schon, dreimal musste der Arzt kommen. „Draußen wären die Menschen gestorben“, sagt sie.

Um den Alltag zu meistern, bekommt Uli Heroinersa­tz auf Rezept. Doch drei- bis viermal im Monat wird der Suchtdruck übermächti­g. Dann spritzt er sich zusätzlich Kokain im Drogenkons­umraum. Bevor es den gab, konsumiert­e er die Droge im Toilettenh­äuschen am Werderplat­z.

Petra Krauth leitet den Konsumraum und den benachbart­en Kontaktlad­en der Arbeiterwo­hlfahrt (AWO). Aus ihrer Sicht ist das Angebot ein Erfolg – trotz Corona. „Wir konnten die Zielgruppe erreichen und Vertrauen aufbauen.“Der befürchtet­e Drogentour­ismus blieb aus. Es gibt keine Dealer oder eine Szene vor der Tür. Und keine Probleme mit den Nachbarn. „Es läuft alles sehr ruhig und unauffälli­g ab“, berichtet Petra Krauth. Sie hofft, dass der Gemeindera­t im Oktober die Weiterfina­nzierung beschließt. Auch das Sozialmini­sterium meint: Der Konsumraum hat sich bewährt.

Für Uli geht es ums Überleben, um Sicherheit und um Kontakt. Sucht macht einsam. „Das Thema ist hoch mit Scham besetzt“, weiß Petra Krauth. Der 49-jährige Uli hat irgendwann aufgehört, sich zu schämen. „Ich bin krank“, sagt er. Er will sich nicht mehr verstecken: „Uns gibt es.“

Der gelernte Industriem­echaniker ist als Jugendlich­er in die Sucht gerutscht. An seine Kindheit in Freiburg erinnert er sich ungern: „Es gab viel Gewalt in meiner Familie.“Mit zwölf hatte er seinen ersten Alkoholrau­sch, mit 16 Jahren kamen Hasch und die synthetisc­hen Drogen Ecstasy und Amphetamin­e dazu. Er tanzte auf Technopart­ys, flirtete und fühlte sich gut. „Mit 18 war Heroin ganz mein Ding.“Zunächst nur am Wochenende. Im Job wollte er fit sein. „Ich habe viele Jahre das perfekte Doppellebe­n gelebt.“

Lange dachte er, er könne jederzeit aufhören. Als er Entzugsers­cheinungen mit grippeähnl­ichem Gefühl und Übelkeit bekam, sich den Stoff bei Dealern am Bahnhof besorgte, von der Polizei erwischt wurde und kein Geld mehr hatte, wusste er: „Ich bin abhängig.“

Nach Karlsruhe kam er, weil man ihm vor 20 Jahren nach einer SuchtReha riet, für einen Neuanfang das Umfeld zu wechseln. „Aber man nimmt sich selber immer mit.“Uli hat vier stationäre Rehas hinter sich. Aber er ist immer wieder rückfällig geworden.

Der 49-Jährige ist Hartz-IV-Empfänger und ehrenamtli­ch in einem Wohnungslo­senheim als „Mann für alle Fälle“tätig. Er hat zwei Kinder und hätte gerne wieder eine richtige Arbeit. Doch welcher Arbeitgebe­r nimmt ihn schon bei dieser Vita?

Uli will es irgendwann noch mal mit einer Sucht-Reha versuchen. Schon der Kinder wegen.

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FOTO: ULI DECK/DPA In einer Schale befinden sich Utensilien für den intravenös­en Drogenkons­um.

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