Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Von unbekannte­n Schätzen und Bausünden

Der pensionier­te Stadtgesta­lter Reinhold Ege geht mit einem ganz eigenen Blick durch Ehingen

- Von Barbara Körner

EHINGEN - Mit einer Vielzahl unbekannte­r Schätze aber auch Bausünden einer Stadt hat der pensionier­te Stadtgesta­lter Reinhold Ege bei einem virtuellen Stadtspazi­ergang die Freunde der Museumsges­ellschaft bekannt gemacht. Was sich so bei einem alltäglich­en Gang durch die Stadt nicht gleich erschließt, hat Ege mit der Kamera eingefange­n. Viel Schönes und auch weniger Schönes erkannten die rund 70 Besucher auf den Bildern, wussten aber meist sofort, wo das Motiv zu finden ist.

Wobei der Begriff Bausünde ganz unterschie­dlich definiert wird. Um es mit den Worten des umweltbewu­sste Prinz Charles zu sagen: „Die modernen Architekte­n haben unsere Städte nachhaltig­er zerstört als die Bomben des Zweiten Weltkriege­s.“Stararchit­ekt Le Corbusier dagegen wollte alle Kathedrale­n in Paris abreißen und auf deren Gelände Hochhäuser errichten. „Schön ist im Lehrplan der Architektu­r heute nicht mehr vorgesehen“, sagte Ege.

Er zeigte Bilder vom Gänsberg als der ältesten Gasse in Ehingen, zeigte den Grundriss eines dreieckige­n Hauses, und dass bei alten Fachwerkhä­usern der Fußboden bis nach ganz außen gezogen wird, damit Balken nach oben darauf Halt haben. Metall ist in den Häusern so gut wie nie verarbeite­t worden, es war viel zu teuer.

„Beispiele für gelungene Bebauung in der Altstadt gibt es viele, so ist hinter dem Landratsam­t eine schöne Freifläche entstanden, aber die Plattform aus Holz an der Schmiech ist ein ganz hässliches Beispiel“, fand Ege.

Das Fachwerkha­us in der Kasernenga­sse aus dem 15. Jahrhunder­t zeigte viele interessan­te Details. Bei einem Haus in der Schulgasse Ecke Sonnengass­e ist ein überdachte­r Gang zu sehen, der blind endet. Hier wurde die Toilette einfach abgeschnit­ten, als das Haus ein WC bekam.

Ege erzählte, dass das Bett der

Schmiech früher viel tiefer lag und höher gelegt werden musste, damit die Kästlesmüh­le Wasser bekam.

Unterhalb der Mühle standen viele Gerberhäus­er, die zum größten Teil sehr liebe- und stilvoll saniert wurden. Ringe zum Anbinden von Zugtieren findet man noch in der Mauer bei der Heckenmühl­e. Ege zeigte auf seinen Bildern, dass die Wärmestube mit nur einem winzigen oder gar keinem Fenster

oft der einzige geheizte Raum im Winter war. Ein ganz und gar unscheinba­res Haus in der Tuchergass­e bezeichnet­e Ege als kleines Juwel. Es stammt aus dem 14. Jahrhunder­t, vermutete er und bedauerte, dass das Denkmalamt daran kein Interesse hat. Das seitlich versetzte Dachfenste­r beweist, dass der Mittelbalk­en von der Dachspitze bis zum Boden reicht. Viele Bilder aus der Webergasse und Brandgasse würde man heute als Beispiele für sehr verdichtet­es Wohnen sehen, so Ege.

Abenteuerl­ich noch landwirtsc­haftlich geprägt sind die Rückansich­ten mancher Häuser in der Oberen Hauptstraß­e, zeigte Ege am Beispiel des früheren Grünen Baum. Die evangelisc­he Stadtkirch­e und das angrenzend­e Pfarrhaus sind wenige Beispiele für Klinkerbau­weise in der Stadt. Der gleiche Architekt hat auch den Ehinger Bahnhof gebaut.

Wie unterschie­dlich bei der Sanierung von beieinande­rstehenden Häusern vorgegange­n wurde, zeigen Bilder

aus der Zementwerk- und Pfisterstr­aße. Bei einem Haus fand Ege sie gelungen, bei dem daneben hässlich. „Türen sind die Visitenkar­ten des Hauses“, sagte der Stadtgesta­lter. Viele alte Wirtshaust­üren haben einen Platz in Privathäus­ern gefunden.

Wunderschö­n im reinen Jugendstil ist die Tür im Eingangsbe­reich eines Hauses in der Hindenburg­straße, nur die blaue Tonne davor störte Ege. In einem anderen Fall wurde bei der echten Jugendstil­tür mit einem Beschlag aus dem Baumarkt gespart. Dachfenste­rn hatte Ege viel Aufmerksam­keit gewidmet. Bei manchen sieht man noch den Hebehaken, an dem früher Lasten hochgezoge­n wurden. Ein Haus hat einen schieferve­rkleideten Giebel, sehr selten hier in der Gegend.

Der Baumeister Max Buck hat oft das Traufgesim­s um die Hausecke herum gelegt, das sei typisch für Ehingen, so Ege. Als Musterbeis­piel für eine gelungene Sanierung nannte er den Giebel der Marienapot­heke. „Da wurde mit viel Liebe zum Detail gearbeitet. Besonders gelungen ist das aufgemalte Fenster, ein „Augentäusc­her“, erklärte er. Diese aufgemalte­n Fenster kommen häufiger vor. Sie haben oft echte Fensterläd­en und im Fenster sitzt gern ein aufgemalte­r Vogel. Auch Türen sind manchmal aufgemalt, haben aber einen echten Griff. Früher im Winter übliche Vorfenster zur Wärmedämmu­ng zeigte Ege und immer wieder gut an den Baustil angepasste Sprossenfe­nster, bei denen die Sprossen heute innen liegen, und die daher einfach zu putzen sind.

Besonders schöne Wirtshauss­childer und die von Handwerksb­etrieben sahen die Besucher auf den Bildern, auch religiöse Malereien auf Häusern. Für den letzten Teil des über zweistündi­gen virtuellen Spaziergan­gs hatte Ege besonders schöne Wetterfahn­en und Blitzablei­ter gewählt. Die Freunde der Museumsges­ellschaft hatten ihm mit großer Spannung zugehört, der Vorsitzend­e Franz Bartmann dankte Ege und freute sich schon auf den nächsten Vortrag des Stadtgesta­lters.

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FOTO: KÖRNER Der Gänsberg ist die älteste Gasse in Ehingen
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FOTO: KÖRNER Für Ege ist das Haus ein kleines Juwel.
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FOTO: KÖRNER Reinhold Ege

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