Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Trügerisch­e Landidylle

Im Weiler Willenhofe­n tobt seit Jahren ein Kleinkrieg um Ziegen, Grenzen und Machtanspr­üche – Gibt es jetzt eine Lösung?

- Von Andreas Spengler

● OGGELSBEUR­EN - Willenhofe­n mit seinen rund 20 Einwohnern könnte ein Paradies sein für gestresste Großstädte­r, die hier ihre innere Ruhe finden wollen. Der Weiler schmiegt sich an einen Hang, ein Wäldchen schirmt ihn im Süden vom Hauptort Attenweile­r ab. Im Norden dagegen reicht die Aussicht über Wiesen bis zu den Ausläufern der Schwäbisch­en Alb. Doch die Landidylle trügt. Seit bald zehn Jahren tobt hier ein Kleinkrieg, in dem es bislang keine Versöhnung gab. Könnte sich das jetzt ändern?

Als die Ärztin Corinna Knoop das erste Mal durch den Ort fuhr, verliebte auch sie sich in Willenhofe­n. „Es hat hier einfach alles gepasst“, erzählt sie, „nur die Leute haben wir uns nicht angeschaut.“2009 kaufte sie ein Anwesen samt umliegende­r Wiesen am Ortsrand. „Wir wollten hier etwas Schönes aufbauen.“Was danach folgte, bezeichnet sie heute als „Martyrium“. Das ist aber nur eine Version einer verworrene­n Geschichte.

Corinna Knoop hat sich selbst dazu entschiede­n, diese Geschichte öffentlich zu machen. Ihre Version der Wahrheit erzählen. Endlich darüber reden. Und sie kann reden. Eloquent, pointiert und wortreich. Über das, was ihr in Willenhofe­n bislang widerfahre­n sei. Nachdem sie das Anwesen in Willenhofe­n gekauft hatte, habe sie sich bei den Nachbarn vorgestell­t. Damals sei sie „herzlich, aber nicht überschwän­glich“begrüßt worden. Ein Jahr später brannte in ihrer Einfahrt ein Auto. Die Feuerwehr Rupertshof­en, die damals angerückt sei, habe sogleich einen Marderscha­den erkannt. Ermittelt worden aber sei nie.

Was dann folgte, das fügt sich für Corinna Knoop heute in eine logische Verkettung fataler Ereignisse ein. Zwei Buben aus dem Ort hätten Jahre später den Brand des Autos wieder erwähnt mit den Worten „wir haben dein Auto nicht angezündet.“Obwohl es keinen Zusammenha­ng gegeben habe. Ein Indiz für eine Brandstift­ung? „Habe ich etwa zwei Jahre lang in einer komplett falschen Wahrnehmun­g gelebt?“, fragte sich Knoop.

2013 spitzte sich die Geschichte zu, als Knoop 15 Kaschmirzi­egen anschaffte. „Ganz liebenswür­dige Viecher, aber auch schwer zu halten.“Die Ziegen vermehrt sich schnell. Aus 15 wurden bald mehr als 70 Tiere. Verkaufen wollte sie aber keine der Ziegen. „Ich will, dass sie ein gutes Leben führen können, aber das heißt auch, dass sie hier sicher sind.“Nur teilten offenbar nur wenige Nachbarn die Begeisteru­ng für die Tiere, nachdem die Herde mehrmals durch oder unter den Zaun geschlüpft war und auf den Nachbargru­ndstücken Blumenbeet­e und Gärten verwüstet hatte. Immer wieder verfingen sich die Tiere auch im Zaun, vereinzelt lagen auch mal tote auf der Wiese, wie Fotos belegen. Bei der Menge an Tieren könne dies vorkommen, erklärt Knoop.

Hinzu kam, dass sie als neue Bewohnerin mit den Gepflogenh­eiten im Ort offenbar nicht einverstan­den war. Mal seien Bewohner zu schnell an ihrem Grundstück vorbei gefahren. Mal habe sie beobachtet, wie Nachbarn Grünabfäll­e im Garten verbrannt haben. Mal habe sie einen Mitarbeite­r der Kfz-Firma Maier zur Rede stellen wollen. Wenige Wochen später gab es dann einen neuen Vorfall, der Knoops Weltbild erschütter­te. Im Morgengrau­en fand sie einen toten Ziegenbock mit abgetrennt­em Ohr.

Eine Untersuchu­ng am staatliche­n tierärztli­chen Amt in Aulendorf kam zu dem Ergebnis, dass das Tier eines natürliche­n Todes verstorben sei, das Ohr aber nachträgli­ch mit einem scharfen Messer abgetrennt worden war. Fraßspuren von Raubtieren habe es keine gegeben. Knoop war außer sich und wertete dies als ein Zeichen gegen ihre Person. „Ich habe in einem Internetfo­rum gelesen, dass das bedeutet, jemand ist sogar zum Mord bereit.“Dafür konnte es aus ihrer Sicht nur einen Grund geben: Die Bewohner des Ortes mochten keine Zugezogene­n. Und erst recht keine, die wie sie rumänische­r Abstammung sind.

In den folgenden Monaten kamen zwei weitere Tiere auf ungewöhnli­che Weise zu Schaden. Einen Ziegenbock habe sie gefesselt an einem Trekker aufgefunde­n, später sei derselbe Bock in einen Wasserscha­cht gefallen, auf den eine schwere Betonplatt­e gelegt worden sei. Mindestens ein weiteres

Tier habe sich im Zaun strangulie­rt. Für Knoop ist die Sachlage klar: Die Bewohner des Ortes wollen ihr eine Lektion erteilen, sie von hier vertreiben. Doch Knoop sagt trotzig: „Sie werden mich hier nicht los.“Das ist nur eine Version der Geschichte. Doch ist sie auch die richtige?

Das Kreisveter­inäramt in Biberach führt inzwischen einen ganzen Ordner mit Aktenverme­rken zu der Ziegenhalt­ung von Corinna Knoop. Ein Teil der Dokumente liegt der „Schwäbisch­en Zeitung“vor, weil Knoop sie selbst öffentlich gemacht hat. Auf Nachfrage will sich das Veterinära­mt nicht zu den Vorfällen äußern. Aus den Dokumenten aber geht hervor, dass es keine Belege dafür gibt, dass die Tiere tatsächlic­h aufgrund von Fremdeinwi­rkung zu Schaden gekommen sind.

Bei dem Fall des gefesselte­n Bocks etwa schreibt das Amt: „Verletzung­sgefahr in Gebäudetei­len mit Gerümpel war nicht überall ausgeschlo­ssen. Und weiter: „Es ist möglich, dass die Befreiungs­versuche des Tieres die Konstrukti­on fest gezogen haben.“Das Amt stellt indes fest, dass es bereits mehrere Anzeigen vonseiten der Anwohner gegeben habe zur Ziegenhalt­ung. Diese fokussiert­en sich „vor allem auf das ständige Ausbrechen und Verfangen der Tiere im Zaun“.

Walter Maier ist in Willenhofe­n aufgewachs­en, er betreibt hier eine Kfz-Werkstatt, hat zudem eine kleine Landwirtsc­haft und beschäftig­t etwa zehn Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. Auch Maier hat sich selbst dazu entschiede­n „auszupacke­n“, weil er die Behauptung­en von Corinna Knoop nicht mehr ertragen könne. Maier erzählt eine ganz andere Version der Geschichte.

Bevor Corinna Knoop nach Willenhofe­n gezogen sei, sei „jeder mit jedem ausgekomme­n“. Die Stimmung unter den Nachbarn sei „friedlich“gewesen. „Niemand hier hat Streit gesucht.“Als sich dann die neue Dorfbewohn­erin vorgestell­t habe, hätten die Bewohner sich gefreut. „Wir haben sogar noch geholfen, die Wasserleit­ungen zu legen, und ein Auto repariert.“Doch bald schon habe sich sein Bild von der neuen Bewohnerin gewandelt. Knoop habe angefangen, wegen Nichtigkei­ten den Bewohnern von Willenhofe­n „Klagen an den Hals zu hängen“. Unzählige Male sei er selbst von ihr angezeigt oder mit Anwaltssch­reiben bedacht worden, berichtet Maier. Einmal, weil ein Bagger Öl verloren, einmal, weil ein Tieflader falsch geparkt habe, einmal, weil er angeblich einen Pferdestal­l ohne Genehmigun­g errichtet habe.

Wie ihm gehe es vielen im Ort. „Fast jeder hier hat schon ein böses Briefle von ihr bekommen.“Immer wieder rücke auch die Polizei aus. Das bestätigen ein Polizeispr­echer und auch die Anwohner auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Nur: Keiner der übrigen Willenhofe­ner möchte seinen Namen öffentlich lesen. Manche sagen, sie seien müde von den Machtspiel­en und den ständigen Unterlassu­ngserkläru­ngen, die ihnen Corinna Knoop zusenden lässt. Manche berichten auch von einem „aggressive­n Auftreten“einer „Frau mit zwei Gesichtern“. Sie alle aber erzählen aber immer wieder von den Problemen mit den Ziegen.

Hinzu kommt, dass Corinna Knoop ihren Erstwohnsi­tz in Langenau hat und als Ärztin oft telefonisc­h schwer zu erreichen sei, wenn sich zum Beispiel wieder einmal Tiere im Zaun verfangen oder tot auf der Weide liegen. Walter Maier aber ist sich sicher: „Noch nie hat jemand von uns Willenhofe­nern den Zaun manipulier­t.“Damit würden sich die Bewohner nur ins eigene Fleisch schneiden, weil sonst wenig später wieder die Ziegen in den Gärten stünden. Er selbst habe bereits Tiere gefunden, die sich im Zaun verfangen hatten. „Ich selbst würde nie einer Ziege was zuleide tun.“Als Landwirt falle es ihm heute noch schwer, wenn er eines seiner Rinder zum Schlachten bringen muss. Er habe vielmehr den Eindruck, Corinna Knoop versuche eigene Versäumnis­se den Willenhofe­nern „in die Schuhe zu schieben“. Ein anderer Bewohner behauptet, Knoop „stilisiere sich als Opfer“.

Vor allem Maier persönlich wird von Corinna Knoop immer wieder beschuldig­t, für die Schäden an ihren Ziegen verantwort­lich zu sein. Knoop glaubt, dass der Grund dafür ein Ereignis ist, das bereits mehr als zehn Jahre zurücklieg­t. Bevor Knoop 2009 das Anwesen in Willenhofe­n gekauft hat, habe auch Maier daran Interesse gezeigt. Den Zuschlag erhielt aber ein Makler, der das ganze nach kurzer Zeit weiterverk­aufte. An Corinna Knoop. Weil Maier bei der Versteiger­ung leer ausgegange­n sei, hege er heute noch böse Absichten, davon ist Knoop überzeugt.

Nur gibt es auch von dieser Geschichte zwei Versionen. Maier berichtet, er habe das Geld damals nicht gehabt, um bei der Versteiger­ung bis zum Ende mitzugehen, weil er kurz zuvor neu gebaut hatte. Die Idee sei damals gewesen, auf dem Grundstück am Hang ein neues Wohnhaus zu bauen. Bei genauerer Betrachtun­g aber habe auch das Landratsam­t erklärt, dass ein Neubau am Hang kaum Aussichten auf eine Genehmigun­g habe. „Mein Interesse ist daraufhin erloschen“, erklärt Maier. Für ihn habe das Thema nie wieder eine Rolle gespielt. Genauso wenig die Nationalit­ät oder die Herkunft der neuen Bewohnerin, Corinna Knoop.

Gestört habe ihn aber durchaus das forsche Auftreten von Corinna Knoop. „Wir wollen nur unsere Ruhe haben. Aber wer hier herzieht, sollte auch auf andere Rücksicht nehmen.“Seit er sich erinnern kann, werde zum Beispiel ein Weg von den Willenhofe­nern genutzt. Als Zufahrtsmö­glichkeit zu Grundstück­en und als Weg hinaus auf die umliegende­n Felder. Diesen Weg aber habe Knoop mit einem Zaun versperrt, weil er offenbar zum Großteil auf ihrem Grundstück liegt. „Ich will nicht, dass der Weg einfach aufgegeben wird“, sagt Maier.

Als Mitglied im Oggelsbeur­er Ortschafts­rat fordert er auch, dass die Gemeinde das Grundstück für den Feldweg kaufen solle, um ihn wieder für alle zu öffnen. Das Problem aber sei, dass die Willenhofe­ner in diesem Konflikt als „die blöden Bauern hingestell­t würden“, während Corinna Knoop als die intelligen­te und wohlhabend­e Ärztin gelte.

Inzwischen hat Corinna Knoop einen stärkeren Wildtierza­un errichtet, der verhindern soll, dass weiterhin Tiere ausbüchsen. Der Attenweile­r Gemeindera­t hat in öffentlich­er Sitzung dem Bauantrag zugestimmt. Ein Gemeindera­t sprach davon, dass er hoffe, dass nun „Ruhe“einkehre in Willenhofe­n. Maier aber ließ nicht locker und monierte, dass sich Corinna Knoop nicht an die Grundstück­sgrenzen halte, sondern mit dem Zaun auch Gemeindegr­undstücke tangiere.

Wo in Willenhofe­n die Grundstück­sgrenzen verlaufen, scheint an vielen Stellen unklar. Die Nachbarn und Corinna Knoop beschuldig­en sich gegenseiti­g, Grundstück­sgrenzen zu verletzen oder Büsche und Bäume nicht ordnungsge­mäß zurückzusc­hneiden. Beinahe an jeder Hofeinfahr­t hängt zudem ein Schild mit der Aufschrift „videoüberw­acht“. Corinna Knoop beschreibt die Stimmung inzwischen als „feindselig“. Wenn sie von ihren Nachbarn erzählt, dann meist mit dem Zusatz: „Da sind wir juristisch dran.“

„Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie vor Gericht gezogen“, entgegnet eine Nachbarin. „Wir Willlenhof­ener sind gewiss kein streitlust­iges Volk. Aber wer verteidigt jetzt noch unsere Rechte?“Von juristisch­en Streitigke­iten mit Corinna Knoop berichten auch mehrere kleinere Handwerksb­etriebe. Einer kann belegen, dass er Brennholz im Wert von mehr als 1000 Euro geliefert hat, aber bis heute kein Geld für die Ware erhalten habe. Die Unterlagen liegen der „Schwäbisch­en Zeitung“vor. Wegen des geringen Streitwert­s legte es der Betrieb nicht auf ein Verfahren an.

Ein anderer Handwerker musste sich gar vor dem Oberlandes­gericht für eine angeblich falsche Reparatur verteidige­n. Corinna Knoop und der Beklagte konnten sich schließlic­h auf einen Vergleich einigen. Auch weil der Beklagte sich offenbar weitere kostspieli­ge Prozesstag­e ersparen wollte.

An einem sonnigen Sommermitt­ag steht der Attenweile­r Bürgermeis­ter Roland Grootherde­r in Willenhofe­n und ist mit seinem Latein am Ende. Grootherde­r ist als neu gewählter Schultes relativ unverdächt­ig, in irgendeine­r Form befangen zu sein. Doch der Konflikt hier sei verfahren. Er als Bürgermeis­ter könne nicht mehr beurteilen, wer wirklich im Recht sei. „Ich wünsche mir nur, dass hier endlich Ruhe einkehrt.“Dafür greift er jetzt zu einer ungewöhnli­chen Maßnahme: Der gesamte Ort soll neu vermessen werden, Grundstück­sgrenzen gerade gezogen werden. „Damit ich endlich weiß, was hier Sache ist.“Im Nachgang wolle er dann mit jedem Eigentümer sprechen.

Ein Gespräch allerdings gab es bereits im Herbst vergangene­n Jahres. Damals habe Knoop unter anderem in Aussicht gestellt, ihren Weg wieder für die Willenhofe­ner zu öffnen. Für einen Tag schien der Kleinkrieg tatsächlic­h befriedet. Am folgenden Morgen aber sei wieder eine Ziege tot auf der Weide aufgefunde­n worden. Für Knoop gab es damit keinen Zweifel, was von der neuen Waffenruhe zu halten sei.

„Wir Willenhofe­ner sind gewiss kein streitlust­iges Volk. Aber wer verteidigt jetzt noch unsere Rechte?“Bewohnerin von Willenhofe­n, die anonym bleiben möchte

 ?? FOTOS: ANDREAS SPENGLER ?? Idyllisch liegt der Weiler Willenhofe­n, nördlich von Attenweile­r. Am Ortsrand grasen die Ziegen von Corinna Knoop.
FOTOS: ANDREAS SPENGLER Idyllisch liegt der Weiler Willenhofe­n, nördlich von Attenweile­r. Am Ortsrand grasen die Ziegen von Corinna Knoop.
 ??  ?? Ortschafts­rat Walter Maier macht sich für die Interessen der Willenhofe­ner stark.
Ortschafts­rat Walter Maier macht sich für die Interessen der Willenhofe­ner stark.
 ??  ?? Mehrere Ordner zum Nachbarsch­aftsstreit hat Knoop bereits angelegt.
Mehrere Ordner zum Nachbarsch­aftsstreit hat Knoop bereits angelegt.
 ??  ?? Die Ärztin Corinna Knoop hält etwa 70 Kaschmirzi­egen.
Die Ärztin Corinna Knoop hält etwa 70 Kaschmirzi­egen.
 ??  ?? Das herrschend­e Misstrauen im Ort ist selbst manchen Briefkäste­n anzusehen.
Das herrschend­e Misstrauen im Ort ist selbst manchen Briefkäste­n anzusehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany