Trügerische Landidylle
Im Weiler Willenhofen tobt seit Jahren ein Kleinkrieg um Ziegen, Grenzen und Machtansprüche – Gibt es jetzt eine Lösung?
● OGGELSBEUREN - Willenhofen mit seinen rund 20 Einwohnern könnte ein Paradies sein für gestresste Großstädter, die hier ihre innere Ruhe finden wollen. Der Weiler schmiegt sich an einen Hang, ein Wäldchen schirmt ihn im Süden vom Hauptort Attenweiler ab. Im Norden dagegen reicht die Aussicht über Wiesen bis zu den Ausläufern der Schwäbischen Alb. Doch die Landidylle trügt. Seit bald zehn Jahren tobt hier ein Kleinkrieg, in dem es bislang keine Versöhnung gab. Könnte sich das jetzt ändern?
Als die Ärztin Corinna Knoop das erste Mal durch den Ort fuhr, verliebte auch sie sich in Willenhofen. „Es hat hier einfach alles gepasst“, erzählt sie, „nur die Leute haben wir uns nicht angeschaut.“2009 kaufte sie ein Anwesen samt umliegender Wiesen am Ortsrand. „Wir wollten hier etwas Schönes aufbauen.“Was danach folgte, bezeichnet sie heute als „Martyrium“. Das ist aber nur eine Version einer verworrenen Geschichte.
Corinna Knoop hat sich selbst dazu entschieden, diese Geschichte öffentlich zu machen. Ihre Version der Wahrheit erzählen. Endlich darüber reden. Und sie kann reden. Eloquent, pointiert und wortreich. Über das, was ihr in Willenhofen bislang widerfahren sei. Nachdem sie das Anwesen in Willenhofen gekauft hatte, habe sie sich bei den Nachbarn vorgestellt. Damals sei sie „herzlich, aber nicht überschwänglich“begrüßt worden. Ein Jahr später brannte in ihrer Einfahrt ein Auto. Die Feuerwehr Rupertshofen, die damals angerückt sei, habe sogleich einen Marderschaden erkannt. Ermittelt worden aber sei nie.
Was dann folgte, das fügt sich für Corinna Knoop heute in eine logische Verkettung fataler Ereignisse ein. Zwei Buben aus dem Ort hätten Jahre später den Brand des Autos wieder erwähnt mit den Worten „wir haben dein Auto nicht angezündet.“Obwohl es keinen Zusammenhang gegeben habe. Ein Indiz für eine Brandstiftung? „Habe ich etwa zwei Jahre lang in einer komplett falschen Wahrnehmung gelebt?“, fragte sich Knoop.
2013 spitzte sich die Geschichte zu, als Knoop 15 Kaschmirziegen anschaffte. „Ganz liebenswürdige Viecher, aber auch schwer zu halten.“Die Ziegen vermehrt sich schnell. Aus 15 wurden bald mehr als 70 Tiere. Verkaufen wollte sie aber keine der Ziegen. „Ich will, dass sie ein gutes Leben führen können, aber das heißt auch, dass sie hier sicher sind.“Nur teilten offenbar nur wenige Nachbarn die Begeisterung für die Tiere, nachdem die Herde mehrmals durch oder unter den Zaun geschlüpft war und auf den Nachbargrundstücken Blumenbeete und Gärten verwüstet hatte. Immer wieder verfingen sich die Tiere auch im Zaun, vereinzelt lagen auch mal tote auf der Wiese, wie Fotos belegen. Bei der Menge an Tieren könne dies vorkommen, erklärt Knoop.
Hinzu kam, dass sie als neue Bewohnerin mit den Gepflogenheiten im Ort offenbar nicht einverstanden war. Mal seien Bewohner zu schnell an ihrem Grundstück vorbei gefahren. Mal habe sie beobachtet, wie Nachbarn Grünabfälle im Garten verbrannt haben. Mal habe sie einen Mitarbeiter der Kfz-Firma Maier zur Rede stellen wollen. Wenige Wochen später gab es dann einen neuen Vorfall, der Knoops Weltbild erschütterte. Im Morgengrauen fand sie einen toten Ziegenbock mit abgetrenntem Ohr.
Eine Untersuchung am staatlichen tierärztlichen Amt in Aulendorf kam zu dem Ergebnis, dass das Tier eines natürlichen Todes verstorben sei, das Ohr aber nachträglich mit einem scharfen Messer abgetrennt worden war. Fraßspuren von Raubtieren habe es keine gegeben. Knoop war außer sich und wertete dies als ein Zeichen gegen ihre Person. „Ich habe in einem Internetforum gelesen, dass das bedeutet, jemand ist sogar zum Mord bereit.“Dafür konnte es aus ihrer Sicht nur einen Grund geben: Die Bewohner des Ortes mochten keine Zugezogenen. Und erst recht keine, die wie sie rumänischer Abstammung sind.
In den folgenden Monaten kamen zwei weitere Tiere auf ungewöhnliche Weise zu Schaden. Einen Ziegenbock habe sie gefesselt an einem Trekker aufgefunden, später sei derselbe Bock in einen Wasserschacht gefallen, auf den eine schwere Betonplatte gelegt worden sei. Mindestens ein weiteres
Tier habe sich im Zaun stranguliert. Für Knoop ist die Sachlage klar: Die Bewohner des Ortes wollen ihr eine Lektion erteilen, sie von hier vertreiben. Doch Knoop sagt trotzig: „Sie werden mich hier nicht los.“Das ist nur eine Version der Geschichte. Doch ist sie auch die richtige?
Das Kreisveterinäramt in Biberach führt inzwischen einen ganzen Ordner mit Aktenvermerken zu der Ziegenhaltung von Corinna Knoop. Ein Teil der Dokumente liegt der „Schwäbischen Zeitung“vor, weil Knoop sie selbst öffentlich gemacht hat. Auf Nachfrage will sich das Veterinäramt nicht zu den Vorfällen äußern. Aus den Dokumenten aber geht hervor, dass es keine Belege dafür gibt, dass die Tiere tatsächlich aufgrund von Fremdeinwirkung zu Schaden gekommen sind.
Bei dem Fall des gefesselten Bocks etwa schreibt das Amt: „Verletzungsgefahr in Gebäudeteilen mit Gerümpel war nicht überall ausgeschlossen. Und weiter: „Es ist möglich, dass die Befreiungsversuche des Tieres die Konstruktion fest gezogen haben.“Das Amt stellt indes fest, dass es bereits mehrere Anzeigen vonseiten der Anwohner gegeben habe zur Ziegenhaltung. Diese fokussierten sich „vor allem auf das ständige Ausbrechen und Verfangen der Tiere im Zaun“.
Walter Maier ist in Willenhofen aufgewachsen, er betreibt hier eine Kfz-Werkstatt, hat zudem eine kleine Landwirtschaft und beschäftigt etwa zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch Maier hat sich selbst dazu entschieden „auszupacken“, weil er die Behauptungen von Corinna Knoop nicht mehr ertragen könne. Maier erzählt eine ganz andere Version der Geschichte.
Bevor Corinna Knoop nach Willenhofen gezogen sei, sei „jeder mit jedem ausgekommen“. Die Stimmung unter den Nachbarn sei „friedlich“gewesen. „Niemand hier hat Streit gesucht.“Als sich dann die neue Dorfbewohnerin vorgestellt habe, hätten die Bewohner sich gefreut. „Wir haben sogar noch geholfen, die Wasserleitungen zu legen, und ein Auto repariert.“Doch bald schon habe sich sein Bild von der neuen Bewohnerin gewandelt. Knoop habe angefangen, wegen Nichtigkeiten den Bewohnern von Willenhofen „Klagen an den Hals zu hängen“. Unzählige Male sei er selbst von ihr angezeigt oder mit Anwaltsschreiben bedacht worden, berichtet Maier. Einmal, weil ein Bagger Öl verloren, einmal, weil ein Tieflader falsch geparkt habe, einmal, weil er angeblich einen Pferdestall ohne Genehmigung errichtet habe.
Wie ihm gehe es vielen im Ort. „Fast jeder hier hat schon ein böses Briefle von ihr bekommen.“Immer wieder rücke auch die Polizei aus. Das bestätigen ein Polizeisprecher und auch die Anwohner auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Nur: Keiner der übrigen Willenhofener möchte seinen Namen öffentlich lesen. Manche sagen, sie seien müde von den Machtspielen und den ständigen Unterlassungserklärungen, die ihnen Corinna Knoop zusenden lässt. Manche berichten auch von einem „aggressiven Auftreten“einer „Frau mit zwei Gesichtern“. Sie alle aber erzählen aber immer wieder von den Problemen mit den Ziegen.
Hinzu kommt, dass Corinna Knoop ihren Erstwohnsitz in Langenau hat und als Ärztin oft telefonisch schwer zu erreichen sei, wenn sich zum Beispiel wieder einmal Tiere im Zaun verfangen oder tot auf der Weide liegen. Walter Maier aber ist sich sicher: „Noch nie hat jemand von uns Willenhofenern den Zaun manipuliert.“Damit würden sich die Bewohner nur ins eigene Fleisch schneiden, weil sonst wenig später wieder die Ziegen in den Gärten stünden. Er selbst habe bereits Tiere gefunden, die sich im Zaun verfangen hatten. „Ich selbst würde nie einer Ziege was zuleide tun.“Als Landwirt falle es ihm heute noch schwer, wenn er eines seiner Rinder zum Schlachten bringen muss. Er habe vielmehr den Eindruck, Corinna Knoop versuche eigene Versäumnisse den Willenhofenern „in die Schuhe zu schieben“. Ein anderer Bewohner behauptet, Knoop „stilisiere sich als Opfer“.
Vor allem Maier persönlich wird von Corinna Knoop immer wieder beschuldigt, für die Schäden an ihren Ziegen verantwortlich zu sein. Knoop glaubt, dass der Grund dafür ein Ereignis ist, das bereits mehr als zehn Jahre zurückliegt. Bevor Knoop 2009 das Anwesen in Willenhofen gekauft hat, habe auch Maier daran Interesse gezeigt. Den Zuschlag erhielt aber ein Makler, der das ganze nach kurzer Zeit weiterverkaufte. An Corinna Knoop. Weil Maier bei der Versteigerung leer ausgegangen sei, hege er heute noch böse Absichten, davon ist Knoop überzeugt.
Nur gibt es auch von dieser Geschichte zwei Versionen. Maier berichtet, er habe das Geld damals nicht gehabt, um bei der Versteigerung bis zum Ende mitzugehen, weil er kurz zuvor neu gebaut hatte. Die Idee sei damals gewesen, auf dem Grundstück am Hang ein neues Wohnhaus zu bauen. Bei genauerer Betrachtung aber habe auch das Landratsamt erklärt, dass ein Neubau am Hang kaum Aussichten auf eine Genehmigung habe. „Mein Interesse ist daraufhin erloschen“, erklärt Maier. Für ihn habe das Thema nie wieder eine Rolle gespielt. Genauso wenig die Nationalität oder die Herkunft der neuen Bewohnerin, Corinna Knoop.
Gestört habe ihn aber durchaus das forsche Auftreten von Corinna Knoop. „Wir wollen nur unsere Ruhe haben. Aber wer hier herzieht, sollte auch auf andere Rücksicht nehmen.“Seit er sich erinnern kann, werde zum Beispiel ein Weg von den Willenhofenern genutzt. Als Zufahrtsmöglichkeit zu Grundstücken und als Weg hinaus auf die umliegenden Felder. Diesen Weg aber habe Knoop mit einem Zaun versperrt, weil er offenbar zum Großteil auf ihrem Grundstück liegt. „Ich will nicht, dass der Weg einfach aufgegeben wird“, sagt Maier.
Als Mitglied im Oggelsbeurer Ortschaftsrat fordert er auch, dass die Gemeinde das Grundstück für den Feldweg kaufen solle, um ihn wieder für alle zu öffnen. Das Problem aber sei, dass die Willenhofener in diesem Konflikt als „die blöden Bauern hingestellt würden“, während Corinna Knoop als die intelligente und wohlhabende Ärztin gelte.
Inzwischen hat Corinna Knoop einen stärkeren Wildtierzaun errichtet, der verhindern soll, dass weiterhin Tiere ausbüchsen. Der Attenweiler Gemeinderat hat in öffentlicher Sitzung dem Bauantrag zugestimmt. Ein Gemeinderat sprach davon, dass er hoffe, dass nun „Ruhe“einkehre in Willenhofen. Maier aber ließ nicht locker und monierte, dass sich Corinna Knoop nicht an die Grundstücksgrenzen halte, sondern mit dem Zaun auch Gemeindegrundstücke tangiere.
Wo in Willenhofen die Grundstücksgrenzen verlaufen, scheint an vielen Stellen unklar. Die Nachbarn und Corinna Knoop beschuldigen sich gegenseitig, Grundstücksgrenzen zu verletzen oder Büsche und Bäume nicht ordnungsgemäß zurückzuschneiden. Beinahe an jeder Hofeinfahrt hängt zudem ein Schild mit der Aufschrift „videoüberwacht“. Corinna Knoop beschreibt die Stimmung inzwischen als „feindselig“. Wenn sie von ihren Nachbarn erzählt, dann meist mit dem Zusatz: „Da sind wir juristisch dran.“
„Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie vor Gericht gezogen“, entgegnet eine Nachbarin. „Wir Willlenhofener sind gewiss kein streitlustiges Volk. Aber wer verteidigt jetzt noch unsere Rechte?“Von juristischen Streitigkeiten mit Corinna Knoop berichten auch mehrere kleinere Handwerksbetriebe. Einer kann belegen, dass er Brennholz im Wert von mehr als 1000 Euro geliefert hat, aber bis heute kein Geld für die Ware erhalten habe. Die Unterlagen liegen der „Schwäbischen Zeitung“vor. Wegen des geringen Streitwerts legte es der Betrieb nicht auf ein Verfahren an.
Ein anderer Handwerker musste sich gar vor dem Oberlandesgericht für eine angeblich falsche Reparatur verteidigen. Corinna Knoop und der Beklagte konnten sich schließlich auf einen Vergleich einigen. Auch weil der Beklagte sich offenbar weitere kostspielige Prozesstage ersparen wollte.
An einem sonnigen Sommermittag steht der Attenweiler Bürgermeister Roland Grootherder in Willenhofen und ist mit seinem Latein am Ende. Grootherder ist als neu gewählter Schultes relativ unverdächtig, in irgendeiner Form befangen zu sein. Doch der Konflikt hier sei verfahren. Er als Bürgermeister könne nicht mehr beurteilen, wer wirklich im Recht sei. „Ich wünsche mir nur, dass hier endlich Ruhe einkehrt.“Dafür greift er jetzt zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Der gesamte Ort soll neu vermessen werden, Grundstücksgrenzen gerade gezogen werden. „Damit ich endlich weiß, was hier Sache ist.“Im Nachgang wolle er dann mit jedem Eigentümer sprechen.
Ein Gespräch allerdings gab es bereits im Herbst vergangenen Jahres. Damals habe Knoop unter anderem in Aussicht gestellt, ihren Weg wieder für die Willenhofener zu öffnen. Für einen Tag schien der Kleinkrieg tatsächlich befriedet. Am folgenden Morgen aber sei wieder eine Ziege tot auf der Weide aufgefunden worden. Für Knoop gab es damit keinen Zweifel, was von der neuen Waffenruhe zu halten sei.
„Wir Willenhofener sind gewiss kein streitlustiges Volk. Aber wer verteidigt jetzt noch unsere Rechte?“Bewohnerin von Willenhofen, die anonym bleiben möchte