Zähne zusammenbeißen und Gas geben
Andreas Scheuer will auch nach der Wahl Verkehrsminister bleiben – Beim politischen Gegner löst diese Ankündigung Entsetzen aus
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VOGT - Wie kommt man bloß auf so einen Namen? Das ist die erste Frage des Bundesverkehrsministers. Andreas Scheuer ist zu Besuch im oberschwäbischen Vogt, beim Mountainbike-Hersteller Propain Bicycles. „Pro Pain“, also „für den Schmerz“, das bedeute: „Man soll die Zähne zusammenbeißen und Gas geben“, erklärt Firmengründer Robert Krauss dem CSU-Politiker das Credo der Mountainbike-Enthusiasten. Es könnte auch Scheuers Motto sein.
In der Union macht sich Nervosität breit angesichts von Umfragen, die die SPD wenige Wochen vor der Bundestagswahl gleichauf oder sogar leicht vorne sehen. Scheuer aber steigt gut gelaunt aus seiner elektrischen Audi-Limousine. Ein Termin in einem aufstrebenden Betrieb, in einer Wachstumsbranche, das kann er jetzt gut gebrauchen. Noch nie habe der Bund so viel Geld für den Fahrradverkehr bereitgestellt, berichtet der CSU-Mann den Branchenund Medienvertretern.
Scheuers Problem ist, dass die Menschen mit seiner Person nicht unbedingt als Erstes die Förderung des Fahrradverkehrs verbinden. Der Ravensburger Bundestagsabgeordnete Axel Müller, der den Minister in seinen Wahlkreis eingeladen hat, weiß das. „Sein mediales Erscheinungsbild fällt deutlich ab zu dem, was er tatsächlich macht“, sagt der CDU-Mann. „Ich kann mich über seinen Einsatz für diesen Wahlkreis wahrlich nicht beschweren.“Als Beispiele nennt Müller die Förderung des Radschnellweges von Baindt nach Friedrichshafen und die beiden Breitbandgipfel im Landkreis Ravensburg; zum zweiten Gipfel 2019 sei Scheuer sogar persönlich gekommen.
Für die breitere Öffentlichkeit allerdings ist Scheuer der Mann, der die Pkw-Maut in den Sand gesetzt hat. Dabei hat er das Problem von seinem Vorgänger Alexander Dobrindt geerbt. Und vom damaligen CSU-Chef Horst Seehofer, der im Bundestagswahlkampf 2013 mit der „Ausländer-Maut“punkten wollte. Die Idee, Straßengebühren nur von Ausländern zu verlangen, scheiterte am Gleichbehandlungsgrundatz für alle EU-Bürger. Scheuers Anteil an dem Desaster ist, dass er vorschnell Verträge mit Betreiberfirmen schloss, während am Europäischen Gerichtshof noch eine Klage gegen die Maut lief. Der wurde später stattgegeben, und Scheuer stand düpiert da. Wegen seines Vorpreschens sieht sich die Bundesregierung jetzt mit Schadenersatzforderungen in Höhe von mehr als einer halben Milliarde Euro konfrontiert. Das muss ein einzelner Minister erst einmal schaffen.
Scheuer selbst ist von seiner eigenen Leistungsbilanz dennoch überzeugt. „Natürlich hat die Pkw-Maut vieles überlagert“, sagt er, um dann seine Sicht der Dinge darzustellen: „Ich habe den Koalitionsvertrag übererfüllt. Es steht
88 zu eins. Ich habe 88 Verordnungen und Gesetze ins
Ziel gebracht, ich habe nichts mehr offen auf meinem Zettel. Die gescheiterte Pkw-Maut hat natürlich weh getan. Aber der Verkehrsminister ist generell nicht im Ranking unter den Top 3 zu finden.“
Von den Top 3 der beliebtesten Minister ist Scheuer tatsächlich weit entfernt. Im „Regierungsmonitor“des Magazins „Spiegel“liegt er wie festgetackert auf dem letzten Platz, noch hinter Wissenschaftsministerin Anja Karliczek von der CDU. Die kennt aber kaum jemand. Scheuer dagegen kennen die Leute, und das ist in diesem Fall kein Pluspunkt. Die Zahl der Befragten, die mit seiner Arbeit „sehr unzufrieden“sind, liegt konstant bei knapp 80 Prozent. „Sehr zufrieden“waren zuletzt vier Prozent. Trotzdem möchte Scheuer nach der Wahl gern als Verkehrsminister weitermachen.
Die Kluft zwischen Selbst- und Fremdbild des Niederbayern lässt politische Gegner fassungslos zurück. Der Karlsruher FDP-Politiker Christian Jung hat Scheuer im Maut-Untersuchungsausschuss erlebt und findet, er hätte spätestens vor einem Jahr zurücktreten müssen. Als Minister sei er nur bedingt geeignet. „Durch die permanente PR von ihm und seinem Umfeld in eigener Sache, glaubt er aber, Großes zu leisten.“Der Grünen-Verkehrspolitiker Matthias Gastel berichtet, er sei „entsetzt“gewesen als Scheuer ankündigte, im Amt bleiben zu wollen: „Da ist schon eine gestörte Selbstwahrnehmung erkennbar. Er hat weder im Parlament noch in der Bevölkerung nennenswerte Unterstützung.“Und Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch hat die Frage, ob die Linkspartei überhaupt regierungsfähig sei, einmal gekontert mit der Bemerkung, bei Andreas Scheuer frage ja auch niemand nach der Regierungsfähigkeit.
Man kann davon ausgehen, dass die vier Prozent derjenigen, die mit Scheuer „sehr zufrieden“sind, zu einem nicht unerheblichen Teil in Bayern leben. Denn es hat ja einen Grund, dass die CSU das Verkehrsministerium seit mehr als einem Jahrzehnt nicht aus der Hand gibt. Schließlich handelt es sich um das Fachressort mit dem größten Investivhaushalt aller Bundesministerien. Was es bedeutet, dass dort ein CSUMann die Fäden zieht, hat sich nach Ansicht des Grünen-Politikers Gastel gerade erst Ende vergangener Woche wieder gezeigt. Da veröffentlichte das Verkehrsministerium eine Liste von Bahn-Infrastrukturprojekten, die für das Erreichen des
„Deutschlandtakts“noch notwendig sind. Gastel stellte dabei eine „typische Scheuer-Konstante“fest: „30 Prozent der Investitionsmittel sollen nach Bayern fließen.“Für Baden-Württemberg seien gerade mal vier Prozent vorgesehen.
Viel Geld für Investitionen zur Verfügung zu haben, das bedeutet auch: Viele angenehme Termine, bei denen Applaus und schöne Fotos sicher sind. So wie am Dienstagmorgen in Friedrichshafen. Am Tag nach dem Besuch bei den MountainbikeHerstellern in Oberschwaben durchschneidet der Verkehrsminister ein Band, das bei Friedrichshafen über die B 31-neu gespannt ist. Auf gut sieben Kilometern Länge fließt der Verkehr jetzt an Friedrichshafen vorbei, nicht mehr durch Stadt und Vororte. Anwohner haben lange darauf gewartet. Und Scheuer hat noch eine gute Botschaft im Gepäck. Zwischen Immenstaad und Meersburg soll die Trasse nach Scheuers Vorstellung ebenfalls vierspurig werden. Damit grenzt sich der CSU-Minister von seinem grünen Landeskollegen Winfried Hermann ab. Der will nur drei Spuren.
Für Scheuer ist der Auftritt in Friedrichshafen der zweite Straßenbau-Termin innerhalb von zwei Tagen, erst am Vortag war er beim Spatenstich für den achtspurigen Ausbau des Münchner Rings A 99 dabei. „Das erwartet man von einem Verkehrsminister“, sagt Scheuer. Eigentlich aber treiben ihn andere Themen an, wie er im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“deutlich macht: 75 Prozent seiner Arbeitszeit, schätzt der Minister, wendet er auf für Projekte rund um den Wandel der Mobilität. Er kann über synthetische Kraftstoffe referieren und über verkehrsträgerübergreifendes Denken. Gerade hat er ein „Zentrum Mobilität der Zukunft“eröffnet. „Ein Netzwerk, um fachbereichsübergreifend Allianzen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft zu bilden“, erzählt Scheuer. „Ganz spannend!“500 Millionen Euro soll der Bund dafür geben. Hauptstandort des neuen Zentrums ist München, in Scheuers bayerischer Heimat.
Ein Video von der Freigabe der B 31 bei Friedrichshafen sehen Sie unter: