Bauern müssen Pestiziddaten liefern
Nabu und Landeswasserversorgung fordern öffentliche Datenbank für schädliche Stoffe
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STUTTGART - Auf Streit folgt Kooperation: Zwei Jahre haben der Nabu Baden-Württemberg und die Landeswasserversorgung vor Gericht um Pestiziddaten gekämpft. Sie wollen vom Land wissen, welche Pflanzenschutzmittel Bauern in Schutzgebieten ausbringen – und wie viel davon. Die einen wollen das Wasser, die anderen Insekten schützen. Das steht ihnen zu, hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim entschieden. Bei der Umsetzung zeigen sich die ehemaligen Kontrahenten nun kompromissbereit.
Rückblick: Vehement hatte sich das Land dagegen gewehrt, Pestiziddaten öffentlich zu machen. Diese liegen dem Land nicht vor, lautete ein Argument des zuständigen Ministeriums für Ländlichen Raum (MLR). Die Daten seien von den Landwirten, die diese aufbewahren müssen, abzurufen, urteilte indes der VGH. Das Gericht positionierte sich auch klar zum Umweltinformationsrecht der EU, das jedem zustehe. Das Land hatte sich indes auf das Pflanzenschutzrecht des Bundes berufen, wonach es ein „berechtigtes Interesse“brauche. EU-Recht schlägt also Bundesrecht. Verfechter der Informationsfreiheit, etwa der Landesbeauftragte Stefan Brink, bezeichneten das Urteil daher auch als bahnbrechend. „Das ist eine tolle Entscheidung im Sinne der Transparenz und der Informationsfreiheit“– eine, die Maßstäbe setzen könne, hatte Brink der „Schwäbischen Zeitung“gesagt.
Seit Kurzem ist das Urteil rechtskräftig, die ehemaligen Streitparteien planen das weitere Vorgehen. Laut Gerichtsurteil hat der Nabu zwar Anspruch auf Pestiziddaten für alle Naturschutzgebiete im Land für die Jahre 2016 bis 2018. „Wir haben unseren Antrag jetzt stark reduziert von allen 1045 auf nur noch 60 Naturschutzgebiete, in denen auch schon wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt werden, für die Messdaten vorliegen“, erklärt Nabu-Landeschef Johannes Enssle. „Die Daten vom MLR würden hier tatsächlichen Mehrwert bieten.“Konkret könnte der Nabu also gemessene Daten zu Pestizidfunden in diesen Naturschutzgebieten, etwa in Gewässern, damit vergleichen, wie viel und wann Pflanzenschutzmittel von Bauern ausgebracht wurden. Jede dritte dieser 60 Zonen liegt im Verbreitungsgebiet der „Schwäbischen Zeitung“– etwa die Naturschutzgebiete Buchhalde-Oberes Donautal im Kreis Tuttlingen, Goldshöfer Sande im Ostalbkreis sowie Argen in den Kreisen Ravensburg und Bodensee.
Im Gegenzug fordert der Nabu Pestiziddaten für Flächen, die er gar nicht eingeklagt hatte – und soll diese laut eines Sprecher von Agrarminister Peter Hauk (CDU) auch bekommen. Er verweist dabei auf das sehr grundsätzliche Urteil des VGH zu Umweltinformationen. In drei Gewässern in den Kreisen Ortenau und Rastatt habe eine Untersuchung massive Grenzwertüberschreitungen festgestellt. „Wenn die Risikomodelle des Bundeslandwirtschaftsministeriums richtig wären, könnten solche Werte bei ordnungsgemäßer Ausbringung gar nicht auftreten“, so Enssle. „Wir gehen davon aus, dass die Modelle falsch sind.“Bis März fordert der Nabu Pestiziddaten für Äcker nahe dieser Gewässer.
Mehr Zeit, bis Ende 2022, gibt der Nabu dem Land zur Übermittlung der andern Daten. „Das ist ein sehr hoher Aufwand für die Behörden“, sagt er. Daher auch die Konzentration auf die 60 Gebiete. Denn wie die Bauern ihre Pestizidmengen aufzeichnen, obliegt allein ihnen. Das MLR werde die betroffenen Bauern anschreiben, erklärt Hauks Sprecher. Ähnlich will der Nabu laut Enssle nun in allen Flächenländern der Republik vorgehen.
Enssle und auch die Landeswasserversorgung, deren Gespräche mit dem Land derzeit noch in Planung sind, hoffen auf einen Digitalisierungsschub. „Unser Vorschlag ist, eine Datenbank aufzubauen, in die die Wasserversorgungsunternehmen und die Landwirte ihre Daten zusammenführen“, sagt Bernhard Röhrle, Sprecher der Landeswasserversorgung. Sein Zweckverband stelle seine Messdaten längst öffentlich zur Verfügung. „Dadurch wird es ja sehr banal zu schauen, was wird ausgebracht von den Landwirten und was landet im Grundwasser.“Da die Daten anonymisiert würden, sollte auch der Datenschutz kein Problem sein. Röhrles Fernziel: eine Datenbank, in der alle Informationen gesammelt werden – eingesetzte Pestizidund Düngemengen sowie Funde dieser Stoffe und weiterer wie Nitrat und Mikroplastik. Erst dann sei auch klar, ob die bisher gesammelten Daten überhaupt plausibel seien.
Ganz trivial ist das laut Ministeriumssprecher aber nicht. „Bei kleinen abgefragten Gebieten ist ein Rückschluss auf einzelne Landwirte nicht auszuschließen“, sagt er mit Blick auf den Datenschutz. Das treibt auch den Landesbauernverband um. „Für einzelne Betriebe kann das zum Problem werden“, sagt Hauptgeschäftsführer Marco Eberle. In vielen Naturschutzgebieten bestellten sehr wenige Bauern die Felder – das lasse Rückschlüsse trotz Anonymisierung zu. Enssle hält mit Verweis auf das Umweltinformationsrecht dagegen. Personenbezogene Daten seien zwar zu schützen, heißt es dort, doch könnten deshalb Informationen nicht zurückgehalten werden. Auch seien etwa Agrarsubventionen für jeden einzelnen Hof digital abrufbar – und danach krähe kein Hahn.
In der aufgeheizten Debatte um Pestizide, in der Bauern für das Artensterben verantwortlich gemacht werden, brauche es aber zwingend eine Interpretation solcher Daten, betont Eberle. Deshalb zeigt er sich auch in Bezug auf eine DatenbankLösung skeptisch. „Für eine solche Datenbank, die dazu noch öffentlich zugänglich sein soll, fehlt derzeit die bundesrechtliche Grundlage“, erklärt zudem der Sprecher von Minister Hauk. Um die Landwirte dazu zu zwingen, ihre Pestiziddaten digital statt handschriftlich zu erfassen, müsste ebenfalls zunächst das Bundesrecht geändert werden, sagt er.
Einen Überblick über alle
betroffenen Naturschutzgebiete – auch in Ihrer Nähe – gibt es hier: