Zwischen Resignation und letzter Kraftanstrengung
Die CSU will mit ihrem Parteitag eine Trendumkehr erreichen – Doch die Zustimmung in den Umfragen bröckelt
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BERLIN - Es gibt Momente, in denen wünscht man sich, nicht recht zu behalten. Wenn Prognosen eintreten, die schlimmer sind als die Erkenntnis, danebenzuliegen. Dieses Gefühl lastet auf vielen CSU-Abgeordneten, die sich eigentlich voller Energie in die letzten zwei Wochen Wahlkampf stürzen sollten. Doch wie überzeugend kämpft es sich, wenn jede neue Umfrage schlechter ist als die vorherige? Wenn der Kanzlerkandidat, für den sie sich ins Zeug legen sollen, nicht derjenige ist, den sich die meisten im Süden – und viele auch im Südwesten – gewünscht haben. Eine schwierige Situation.
Die CSU-Führung reagiert auf den drohenden Machtverlust mit einer Mischung aus Realitätssinn, Kampfeswillen und Hoffnung. Jetzt gelte es den Trend zu brechen, sagte CSU-Chef Markus Söder in einem Deutschlandfunk-Interview vor dem Parteitag in Nürnberg. „Ich glaube schon, dass es gute Chancen dafür gibt.“Gleichzeitig begründete er aber, warum es für die CSU kein Thema sei, die Fünf-Prozent-Hürde zu reißen: mit den „meisten Direktmandaten“werde die Partei dennoch „relativ stark“in den Bundestag einziehen. Das klingt nicht so, als wäre er von einem passablen Wahlergebnis noch überzeugt.
Mit Blick auf die aktuellen Werte wäre es aber auch fast blauäugig, von etwas Besserem als einem Absturz auszugehen. In einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap im Auftrag des Bayerischen Rundfunks kommen die Christsozialen auf 28 Prozent. Damit liegen sie acht Prozentpunkte hinter ihrem Ergebnis von Anfang Juli. Sollte sich an diesen Zustimmungswerten bis zum 26. September nichts ändern, würde die CSU ihr schlechtestes Bundestagswahlergebnis in Bayern einfahren – und läge bundesweit unter fünf Prozent. Bei der Bundestagswahl 2017 war die Partei auf 38,8 Prozent in Bayern gekommen, und selbst das war bereits ein historischer Tiefstand nach 1949. Unter 30 Prozent – eigentlich undenkbar für eine Partei, die noch 2002 knapp 59 Prozent der Stimmen im Freistaat für sich verbuchen konnte.
Dass diese Zahlen den CSU-Abgeordneten, die um ihren Wiedereinzug
ins Parlament kämpfen, aufs Gemüt schlägt, ist nachvollziehbar. Viele von ihnen sind jetzt doppelt enttäuscht. Im April mussten sie hinnehmen, dass die große Schwester CDU ihren „Kanzlerkandidat der Herzen“, Markus Söder, nicht haben wollte, jetzt kämpfen sie für einen Unionskanzlerkandidaten, den sie nicht haben wollten – und der offensichtlich auch in der Bevölkerung nicht gut ankommt. Nicht die Inhalte seien es, die beim Wähler nicht zündeten, sondern schlicht der Kandidat fürs Kanzleramt.
Die Zahlen bestätigen diese Einschätzung. „Die Zustimmung zu Armin Laschet sackte nochmals signifikant ab, teilt Nico A. Siegel, der Geschäftsführer von Infratest dimap, auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mit. Nur 17 Prozent der Befragten in Bayern seien mit seiner Arbeit aktuell zufrieden – „gerade einmal drei Prozentpunkte mehr als Dietmar Bartsch von den Linken“. Die Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock wurde von 25 Prozent der Befragten positiv bewertet. Söder liegt bei den persönlichen Zufriedenheitswerten mit 63 Prozent vor dem SPDKanzlerkandidaten Olaf Scholz, der aber auch auf 57 Prozent kommt. „Der Abwärtstrend der Union macht auch vor den Christsozialen im Freistaat aktuell nicht halt“, fasst Siegel die Situation zusammen.
„Die CSU ist wie ihre Schwesterpartei zwei Wochen vor der Bundestagswahl in gefährlichem Fahrwasser.“
Doch wie konnte es soweit kommen? Was ist die Ursache dafür, dass die in Bayern lange Zeit fast existenzgefährdete SPD auf einmal punktet – vorausgesetzt die Umfragen stimmen. Die Sozialdemokraten legten in demselben Zeitraum, in dem die Christsozialen acht Prozentpunkte verloren, um neun Punkte auf 18 Prozent zu. Die Werte von FDP und Freien Wählern blieben dagegen, ebenso wie die von AfD und Linken, nahezu unverändert. Auch die Grünen verloren nur zwei Punkte auf 16 Prozent.
Die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch, erklärt die schlechten Umfragewerte der Union mit mehreren Faktoren – nicht nur mit dem Laschet-Effekt. „Dazu kommt auch der Nach-Merkel-Effekt“,
sagt die Politikwissenschaftlerin der „Schwäbischen Zeitung“. Die Bundeskanzlerin habe in ihrer Amtszeit Wählerinnen und Wähler gebunden, die zuvor nicht unbedingt zum Stammklientel der Union gehörten. „Das war Merkel zu verdanken und der sogenannten Sozialdemokratisierung der Union“, so Münch. Diese Wähler wanderten jetzt zum Teil wieder zurück, auch zur Sozialdemokratie. „Die Wählerschaft hat eine zweite oder sogar eine dritte Präferenz“, sagt sie. Deshalb würden sich die Wähler umentscheiden, wenn ihnen Kandidat oder Programm nicht passten.
Die Unionsspitze setzt nun darauf, dass sich diejenigen, die sich bereits in den vergangenen Wochen zugunsten der SPD umentschieden haben, sozusagen ein weiteres Mal umentscheiden – und am 26. September doch ihr Kreuz bei der Union machen. Wie sie das erreichen will, wurde in den vergangenen Tagen zunehmend klar: mit dem Hinweis, dass eine Stimme für die Sozialdemokratie ein Koalition mit Grünen und Linken zur Folge haben könnte. „Wenn eine Stimme zur Mehrheit reicht, dann gibt es eine LinksaußenRegierung“, sagte Söder im Deutschlandfunk auf die Frage, ob die Union als Nummer zwei in eine neue Große Koalition gehen würde. Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur legte er nach. „Im Sommer hätte ich ein Linksbündnis für unwahrscheinlich gehalten, aber jetzt ist klar: Rot, Grün und Linkspartei wollen miteinander“, so der bayerische Ministerpräsident.
Auf die abschreckende Wirkung eines Bündnisses mit den Linken setzen auch die Wahlkämpfer der CSU, beispielsweise der Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis München-Süd, Michael Kuffer. „Wir hoffen, dass die Leute auf den letzten Metern noch einmal darüber nachdenken, was auf dem Spiel steht“, sagt der 49-Jährige. Sein Eindruck ist: Beim Wähler sei noch nicht angekommen, dass Scholz tatsächlich eine solche Koalition eingehen wird, wenn es rechnerisch dafür reicht. „In Bayern will doch keiner ernsthaft Rot-Rot-Grün“, ist er überzeugt. Sollte diese Strategie nicht aufgehen, könnte die Bundestagswahl für die CSU-Kandidaten zum Debakel werden. Wer sein Direktmandat verliert, muss sich voraussichtlich beruflich umorientieren. Selbst ein Listenplatz hat für Unionspolitiker in Bayern – wie in Baden-Württemberg – kaum eine absichernde Wirkung. Auch für sie steht also viel auf dem Spiel.
Das Wochenende könnte für die CSU zum Wochenende der Entscheidung werden – mit Blick auf den Parteitag und das zweite Triell der Spitzenkandidaten am Sonntagabend bei ARD und ZDF. Dass Söder an diesem Freitag als Parteichef wiedergewählt wird, ist in Anbetracht der Lage kaum eine Notiz wert. Die Unionsmitglieder sind fokussiert auf die Frage, ob es noch eine Bewegung zu ihren Gunsten geben kann. Ursula Münch schließt das nicht gänzlich aus. Wenn es der Union gelänge, für sich als Garant gegen eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei zu werben, könnte das ein wenig verfangen.