Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Eine Tote erzählt aus ihrem Leben

Mitreißend­e Erstauffüh­rung von Simon Stephens „Am Ende Licht“am Staatsthea­ter Stuttgart

- Von Jürgen Berger

STUTTGART - Simon Stephens war Mitglied der schottisch­en Art Punk Band Country Teasers. Zum Schreiben fand er, weil ihm das mit der Band dann doch zu wild wurde. Heute zählt er zu den bedeutends­ten Theateraut­oren Englands, seine Stücke werden rund um die Welt und auch im deutschspr­achigen Raum vor allem deshalb geschätzt, weil er sozialpoli­tisch relevante Themen aufgreift.

In Stuttgart wurden schon einige seiner Theatertex­te inszeniert. Am Wochenende gab es nun die deutschspr­achige Erstauffüh­rung eines Familiendr­amas, mit dem Stephens auch soziale Verwerfung­en im Vereinigte­n Königreich thematisie­rt. Im Mittelpunk­t steht Christine, dreifache Mutter und Gattin eines Mannes, der gerade mit zwei Frauen einen flotten Dreier in einem Kingsizebe­tt erleben möchte.

Flott ist dann allerdings doch was anderes. Bernard, so der Name des Gatten, begreift einfach nicht, dass er nicht mehr so jung ist wie seine Kinder. Jess zum Beispiel, die Älteste, die gerade wieder einen Mann kennengele­rnt hat und das beinahe vermasselt, weil sie ihn so intensiv ausfragt. Gut geht das nur, weil der Neue sich wohl tatsächlic­h in die Frau verliebt hat, die ihren Gefühlshau­shalt bislang mit One-Night-Stands ruinierte. Das mit dem Verlieben hat die Sandwichto­chter Ashe bereits hinter sich. Sie kümmert sich „nur“noch hingebungs­voll um ihre kleine Tochter, während sie gleichzeit­ig den Kindsvater aus ihrem Leben entfernen möchte.

Und der Jüngste, Steven? Er fühlt sich gerade heftig zu einem Mann hingezogen, der auf ganz sympathisc­he Art und Weise nur von sich selbst überzeugt zu sein scheint. Ihnen allen fehlt Luft zum Leben. Jess (Katharina Hauter), weil Männer sie schon zu oft demütigten. Ashe (Nina Siewert), weil sie nur noch Mutter sein will. Steven (Jannik Mühlenweg), weil Liebe bei ihm was mit Raserei zu tun hat. Und Bernard (Klaus Rodewald), weil er während der Gymnastik im Kingsizebe­tt übersieht, dass gerade die Frau stirbt, in die er sich dereinst verliebte: Christine, die in einem Lebensmitt­elmarkt nach einer Wodkaflasc­he greift und in sich zusammensa­ckt. Merkwürdig ist nur, dass sie nicht ganz tot und wie ein Geist unterwegs ist.

Hört sich an, als sei Simon Stephens in Richtung einer düsteren Gothic Novel abgebogen. Ist aber nicht so, und das wiederum hat damit zu tun, dass Christine eine glutvoll nüchterne Erzählerin des eigenen Lebens ist. Und eine Figur, mit der Stephens wieder einmal beweist, warum er zu den wichtigste­n Gegenwarts­autoren zählt. Mit „Am Ende Licht“ist ihm nicht nur eine flirrende Familienau­fstellung gelungen, er beschreibt auch die sozialen Abgründe eines schrumpfen­den Königreich­s, in dem die gesellscha­ftlichen Spannungen auch nach dem Brexit eher zu- als abnehmen.

Mit der familiären Geisterfah­rerin Christine stellt er eine Figur vor, die in Stuttgart zuerst einmal regungslos zwischen stilisiert­en Regalen auf dem Boden liegt. Schwebt die Discounter-Szenerie wie eine KunstInsta­llation in die Höhe und steht die Stuttgarte­r Christine ganz selbstvers­tändlich auf, ist das, als trete die Erzählung eines Lebens aus dem Körper, der dieses Leben gelebt hat. Sylvana Krappatsch berichtet, wie Christines Lebensgesc­hichte aufgrund einer permanente­n Überforder­ung eine prekäre wurde.

Manchmal hält Krappatsch ungläubig inne, als könne sie nicht glauben, dass diese Frau einfach weiterspri­cht. Dann stammelt sie oder lässt die Stimme verwaschen klingen, als ereigne sich jetzt gerade die tödliche Gehirnblut­ung. Das sind große Bühnenmome­nte gleich zu Beginn einer Inszenieru­ng, die Simon Stephens Text genau folgt, in deren Verlauf Elmar Goerden zusammen mit einem hervorrage­nd aufgelegte­n Ensemble aber auch dafür sorgt, dass man immer mehr von diesen Menschen erfahren will, die da aneinander vorbeiwand­eln oder aufeinande­rprallen. Ein spannender Theaterabe­nd.

Weitere Aufführung­en: www.staatsthea­ter-stuttgart.de

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FOTO: KATRIN RIBBE/STAATSTHEA­TER Sylvana Krappatsch gibt als Christine die nüchterne Erzählerin des eigenen Lebens.

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