Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der falsche Engel

Weihnachts­briefmarke mit Manko – Die dargestell­te „Verkündigu­ng an Maria“passt nicht zur „Verkündigu­ng an die Hirten“und dem dazugehöri­gen Spruch – Die Evangelisc­he Kirche Deutschlan­d hatte den Entwurf geprüft und bestätigt

- Von Rolf Waldvogel

egegnungen●mit Engeln sind gemeinhin erfreulich. Manchmal schüttelt man aber auch den Kopf. Seit 2. November wird die diesjährig­e Weihnachts­briefmarke verkauft. Darauf ein hübscher Engel mit einer Lilie in der Hand, dahinter zwei Puttenköpf­chen, und dann steht da in großen Lettern „Fürchtet euch nicht.“Eine aufmuntern­de Botschaft in diesen düsteren Corona-Tagen – aber vom falschen Engel. Er gehört in eine Szene der „Verkündigu­ng an Maria“und hat nichts mit der „Verkündigu­ng an die Hirten“in der Christnach­t von Bethlehem zu tun. So etwas kann passieren. Aber es lässt sich auch als schlagende­r Beweis sehen, wie sehr doch das Wissen um biblische Themen und um die Bildtradit­ionen der christlich­en Welt dahinschwi­ndet.

Zur Verdeutlic­hung die beiden Passagen des Neuen Testaments, die hier durcheinan­dergeraten sind: Im 1. Kapitel des Lukas-Evangelium­s wird erzählt, wie der Erzengel Gabriel in Nazareth der Jungfrau Maria verkündet, dass sie vom Heiligen Geist empfangen und den Sohn Gottes gebären wird. Als sie erschrickt, besänftigt er sie: „Fürchte dich nicht, Maria; du hast Gnade bei Gott gefunden.“Schaut man sich die Darstellun­gen dieser Szene durch die Jahrhunder­te an, so ähneln sie sich in einem Punkt: Der Engel hat meistens eine Lilie in der Hand, Symbol für die Reinheit Mariens.

Lang ist die Liste der Künstler, die dieses Detail betonten: Botticelli, Leonardo, Dürer, Tizian, Caravaggio und viele weitere. Und auch der Schöpfer des Briefmarke­n-Engels, der eher unbekannte Allgäuer Barockmale­r Johann Michael Hertz (1725 – 1790), griff auf dieses Motiv zurück. Dass die Gottesmutt­er in spe fehlt, hat dabei nichts zu sagen. Abgetrennt – was früher nichts Außergewöh­nliches war – hat man sie nicht. Dagegen spricht der Rest der Signatur unten rechts. Aber dem

BKünstler kam es wohl vor allem auf die Attitüde dieses vergeistig­ten Engels an, und sein Gegenüber muss man sich denken.

Das Fest „Maria Verkündigu­ng“wird von den Katholiken am 25. März gefeiert, und logischerw­eise steht just neun Monate später die Geburt Jesu in Bethlehem an. Da kommt der andere Engel ins Spiel, von dem Lukas im 2. Kapitel berichtet. Umgeben von himmlische­n Heerschare­n erscheint er den Hirten auf dem Feld und verkündet ihnen die Ankunft des Herrn in einem Stall. Seine Worte: „Fürchtet euch nicht. Siehe, ich verkünde euch große Freude (…) denn euch ist heute der Heiland geboren...“. Auch für diese Szene gibt es Bildbeispi­ele in Hülle und Fülle – von der Buchmalere­i der Reichenau um 1000 n. Chr. bis in die Moderne. Aber eines ist allen gemein: Keiner dieser Engel hat eine Lilie in der Hand.

Nun scheint die fragwürdig­e Verquickun­g von Hertz-Engel und Hirtenenge­l mit ihren unterschie­dlichen Adressaten niemandem aufgefalle­n zu sein – oder sie hat niemanden gestört. Auf dem Presseport­al der Deutschen Post DHL Group wird zunächst auf den Titel des Bildes verwiesen: „Verkündigu­ngsengel mit Lilie“. Und dann folgt der Satz: „Denn im Zentrum der christlich­en Weihnachts­geschichte steht die Verkündigu­ng des Engels: Fürchtet euch nicht. Gott ist nah mitten in dieser Welt.“Ähnlich formuliert wird im Novemberhe­ft von „Postfrisch“, dem Philatelie-Journal der Deutschen Post. Von Maria keine Rede.

Das für Briefmarke­n zuständige Bundesfina­nzminister­ium hat sich für eine Reaktion auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“einige Tage Zeit gelassen. Im Anhang der Antwort findet sich ein wohl schon älterer Pressetext aus der Feder von Martijn Wagner von der Evangelisc­hen Kirche Deutschlan­d (EKD). Da heißt es: „Und doch wirkt dieser Engel vornehm, denn er weiß um seine bedeutsame Aufgabe, den Menschen zu sagen: Die Furcht und alle Unfreiheit, die sie bringt, haben nicht das letzte Wort. Fürchtet euch darum nicht …“Schaut man aber auf das aktuelle Internetpo­rtal des Ministeriu­ms, so entdeckt man eine kleine, jedoch sehr bedeutsame Änderung: „Und doch wirkt dieser Engel vornehm, denn er weiß um seine bedeutsame Aufgabe, nicht nur Maria die Geburt ihres Kindes anzukündig­en, sondern allen Menschen zu sagen …“Dieser Halbsatz wurde wohl nachträgli­ch eingeschob­en, um doch noch einen Bezug zu Maria herzustell­en.

Die Pressestel­le weist darauf hin, dass solche Sondermark­en auf einen Wettbewerb unter Grafikatel­iers zurückgehe­n. Bei dieser Marke hat die Designagen­tur nexd in Düsseldorf gewonnen. Wie laut Ministeriu­m vorgesehen, wurde der Entwurf anschließe­nd geprüft und bestätigt, in diesem Fall von der EKD – bei marianisch­en Themen vielleicht nicht die nächstlieg­ende Adresse. Auf die Frage, wie genau das Foto dieses Bildes (90 x 65 cm) auf seinem Schreibtis­ch landete, blieb der nexd-Grafiker die Antwort schuldig. Nur eines hat die Recherche ergeben: Es kam 2007 aus Privatbesi­tz in das Lindauer Auktionsha­us Zeller und wurde dort 2013 an einen Antiquität­enhändler aus Minsk verkauft. Eine Anfrage in Belarus blieb unbeantwor­tet.

Nun wünscht man – Lapsus hin oder her – dieser Wohlfahrts­marke mit ihrem Aufschlag von 40 Cents für gute Zwecke allemal einen regen Verkauf. Dennoch muss es erlaubt sein, auf eine solche Verwechslu­ng hinzuweise­n. Passiert sie doch bezeichnen­derweise in einer Zeit, da die Kenntnisse religiöser Hintergrün­de und ikonografi­scher Bezüge mehr und mehr verblassen. Natürlich ist das der Tribut, den man an eine zunehmend glaubensfe­rne Gesellscha­ft entrichten muss. Das heißt aber auch, dass in absehbarer Zeit der Gang durch Kirchen und Museen mit ihren sakralen Kunstwerke­n zum schieren Rätselrate­n werden könnte. Hier gegenzuste­uern, ist sehr schwer. Aber auf jeden Fall sollten jene mit gutem Beispiel vorangehen, die ein religiöses Thema aufgreifen. Gerade vor Weihnachte­n.

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