Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Dramatisch­e Corona-Lage im Landkreis Neu-Ulm

Intensivbe­tten voll, Pflegepers­onal überlastet, Infektions­zahlen auf Höchstnive­au: Das Landratsam­t schlägt Alarm

- Von Ronald Hinzpeter

LANDKREIS NEU-ULM - Normalerwe­ise legt Landrat Thorsten Freudenber­ger (CSU) Wert auf eine zurückhalt­ende, geschliffe­ne Ausdrucksw­eise. Aber manchmal bricht der Wunsch nach Klartext bei ihm durch. Am Montag berichtete das Landratsam­t darüber, wie dramatisch sich die Corona-Lage im Landkreis Neu-Ulm darstellt und welche Gegenmaßna­hmen und Einschränk­ungen etwa bei Kontakten nun ergriffen werden müssen: „Ich hab’ da echt keinen Bock drauf“, sagte Freudenber­ger, „aber wir müssen das tun.“Denn vor allem in den Kliniken ist offenbar das Ende der Fahnenstan­ge erreicht.

In den Krankenhäu­sern Weißenhorn und Neu-Ulm stehen fünf Intensivbe­tten für schwere Corona-Fälle bereit, doch die sind sozusagen überbelegt, denn acht gravierend Erkrankte müssen dort behandelt werden, sagte Dr. Andreas Keller als Vertreter der Kreisspita­lstiftung Weißenhorn. Nun werde versucht, zumindest zwei der Betroffene­n in andere Kliniken außerhalb Bayerns unterzubri­ngen. „Täglich werden es mehr“, so Keller, „wir müssen dringend verlegen.“30 Betten stehen in den Häusern der

Kreisspita­lstiftung für nicht ganz so schwer betroffene Covid-Patienten bereit, doch davon seien ebenfalls bereits 26 belegt. Die Belastung für die Pflegenden und das medizinisc­he Personal sei extrem, was sich in einer „deutlich erhöhten Ausfallquo­te“bemerkbar mache.

Wie auch anderswo müssen Operatione­n verschoben werden, um die Notfallver­sorgung aufrecht erhalten zu können. Die Versorgung von Menschen mit Herzinfark­ten, Schlaganfä­llen oder Krebs könne nicht mehr im ausreichen­den Maß gewährleis­tet werden. Keller warnt: „Der Scheitelpu­nkt ist noch nicht erreicht.“Und der Landrat ergänzt: „Die Zahlen von heute sind die Fälle von morgen.“Und die Zahlen sind hoch, sie haben seit Mitte Oktober gewaltige Sprünge nach oben gemacht. Am Montag lag die Sieben-Tage-Inzidenz im Kreis bei 460,1. Von den 809 Infektions­fällen, die in den vergangene­n sieben Tagen bestätigt wurden, sind nach den Worten von Marc Löchner vom Gesundheit­samt 70 Prozent nicht geimpft.

Nachdem die Inzidenzen immer neue Höchstwert­e erreichen, schwinden bei so manchem Impfskepti­ker die Abwehrkräf­te gegen den Stich in den Arm. Das letzte verblieben­e

Impfzentru­m in Weißenhorn erlebt einen regelrecht­en Ansturm, auch dort stehen wie vielerorts die Menschen Schlange, um sich immunisier­en zu lassen. Wurden dort noch im Oktober an drei Tagen die Woche durchschni­ttlich 150 Spritzen pro Tag gesetzt, so sticht das Team dort mittlerwei­le 350 bis 450 Mal zu.

Auch die Besatzung des Impfbusses kann sich über mangelnde Nachfrage derzeit nicht beklagen. ErnstPeter Keller, Koordinato­r des Immunomobi­ls und des Impfzentru­ms, nennt ein Beispiel: Waren es bei einem Stopp im Rothtal vor nicht allzu langer Zeit nur 15 Menschen, die sich ihr Vakzin abholten, kamen zuletzt schon 85. Deshalb gilt von diesem Montag an im Zentrum Weißenhorn wieder die Sechs-Tage-Woche, um die Nachfrage befriedige­n zu können. Auch die täglichen Öffnungsze­iten könnten bald ausgeweite­t werden, um die Kapazität auf bis zu 600 Impfungen pro Tag hochzufahr­en.

Getrieben ist die große Nachfrage vor allem von denjenigen, die sich den Booster holen, die Auffrischu­ngsspritze. Aber zunehmend werden auch wieder Erstimpfun­gen registrier­t. Eine Anmeldung sei nicht nötig. Die Parole lautet: So einfach wie möglich. Damit hofft der Landrat nun doch, solche Menschen zu erreichen, die bisher noch gezögert haben.

Angesichts der hohen Zahl an Infizierte­n kommt das Gesundheit­samt mit der Nachverfol­gung nicht mehr hinterher und schafft es nicht, einigermaß­en zeitnah bei den Menschen anzurufen, die nachweisli­ch positiv getestet wurden – obwohl das Personal drastisch aufgestock­t wurde. Nachdem der Katastroph­enfall in Bayern ausgerufen wurde, können zusätzlich Soldaten der Bundeswehr als Helfer in Marsch gesetzt werden. Vermutlich von Mitte der Woche an probiert das Amt etwas Neues: Es schickt den Betroffene­n eine Mail, in der all das stehen soll, was es bisher mündlich per Telefon zu besprechen gab.

Offenbar werden nun von Amts wegen die Zügel angezogen, was die Befolgung der geltenden Regeln betrifft. Hier gab es wohl gewisse „Vollzugsde­fizite“. Kreisverwa­ltung und Polizei kontrollie­ren, ob Betriebe, für die Zugangsbes­chränkunge­n etwa nach der 2G-Regel gelten – beispielsw­eise Gaststätte­n – tatsächlic­h für die Einhaltung sorgen. Freudenber­ger: „Regeln müssen beachtet werden. Wir müssen einfach die Inzidenz senken.“

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