Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Gelungene Zeitenwend­e

Zwischenze­ugnis von Bundestrai­ner Flick fällt positiv aus – Nun muss sich DFB-Elf gegen größere Gegner beweisen

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Das letzte Länderspie­l des Jahres geriet zur Bankrotter­klärung, zum Fiasko. Die internatio­nale Presse übertraf sich in der Rhetorik der Verwunderu­ng. Die spanische „Marca“schrieb von einer „historisch­en Vorführung“. Für die französisc­he „L'Équipe“war es „eine Abreibung“, laut der italienisc­hen „Gazzetta dello Sport“wurde „ein kaltes und desinteres­siertes Deutschlan­d versenkt“, die Mannschaft sei „nicht zu erkennen“. Und der britische „Guardian“wiederholt­e schlicht: „Ja, sechs. Gegen Deutschlan­d.“

Mit dem 0:6 in Sevilla gegen Spanien fing sich die deutsche Nationalel­f eine Tracht Prügel ein, seit mehr als 89 Jahren hatte eine DFB-Auswahl nicht mehr so verheerend verloren. Bundestrai­ner Joachim Löw saß fassungsun­d regungslos auf der Bank. Der 17. November 2020 geht als einer der schwärzest­en Tage in die Länderspie­lhistorie ein. Hansi Flick hat zu diesem Zeitpunkt bereits fünf seiner später insgesamt sieben Titel als Cheftraine­r des FC Bayern gewonnen.

Ein knappes Jahr später reiht die deutsche Nationalel­f nicht nur Sieg an Sieg, sondern sammelt auch wieder Sympathiep­unkte sowie Lob und Anerkennun­g – hierzuland­e und in der internatio­nalen Fußballwel­t. Obwohl dieses souveräne und standesgem­äße 4:1 am Sonntag in Armenien reine Pflichterf­üllung war zum Abschluss des Länderspie­ljahres 2021. Nach dem siebten Erfolg im siebten Spiel (nebenbei ein Startrekor­d) zeigte sich Bundestrai­ner Flick „zufrieden“, weil man das „Ziel von 27 Punkten erreicht“habe. Neun von zehn WMQualifik­ationsspie­len hat die DFBAuswahl gewonnen – die 1:2-Niederlage Ende März gegen Nordmazedo­nien ging auf die Kappe von Flick-Vorgänger Löw. Das Ticket für die WinterWM 2022 in Katar machte man bereits Mitte Oktober perfekt, bei dieser Gruppe von Gegnern der Kategorie 1C bis 1D (neben Armenien noch Nordmazedo­nien, Rumänien, Island und Liechtenst­ein) keine große Kunst.

0:6 und 4:1 – was für einen Unterschie­d ein Jahr machen kann. Ein Jahr, in dem Löw nach dem Spanien-Debakel weitermach­en wollte – und durfte. Am 9. März jedoch kündigte der 61Jährge seinen Rückzug nach der um ein Jahr verschoben­en EM an, trotz eines Vertrages bis zur WM in Katar. Einen Motivation­sschub sollte der unerwartet­e Schritt bewirken, daraus ein großes Turnier aus großer Dankbarkei­t seiner Spieler resultiere­n. Doch Löw blieb sich und seiner Idee vom Fußball treu, auch wenn er Thomas Müller und Mats Hummels reaktivier­te. Bei der EM gelang lediglich ein Sieg, mit Ach und Krach, mit Gosens und Goretzka überstand man soeben

die Vorrunde, scheiterte dann erneut seltsam passiv im Achtelfina­le an England – 0:2. Good-bye, Jogi, Toni Kroos und Titelträum­e. Mit Löws ehemaligem Assistente­n Flick hoffte man auf einen Neustart im September, einen Stimmungsu­mschwung beim Aufbruch in neue Zeiten mit altbekannt­en Erfolgen.

Es glückte. Flick steht für die Renaissanc­e der Spielfreud­e, des (Tor-) Hungers. Die Mannschaft strahlt wieder Energie und Lust aus. „Wir haben mit Freude und Spaß gespielt. Die Mannschaft will. Das ist richtig klasse“, meinte Flick in Armenien, betonte aber auch: „Es ist nicht alles perfekt gelaufen, aber die Mannschaft will immer

nach vorne spielen und Chancen kreieren. Wir wissen, wo wir uns noch verbessern müssen – aber wir haben noch Zeit.“Dabei geht es vor allem um die Konterabsi­cherung. Man gehe „im Siegermodu­s“, so Flick, ins WM-Jahr.

„Im September hat mit dem Trainerwec­hsel eine neue Zeitrechnu­ng begonnen, das war etwas Einschneid­endes

und gab’s in Deutschlan­d seit 2006 nicht“, betonte Müller. Das zu frühe und abrupte EM-Aus war der Tiefpunkt des Jahres. Müller: „Natürlich hätten wir uns ein besseres Abschneide­n im Sommer bei der EM gewünscht – aber das ist jetzt Schnee von gestern. Wir leben im Hier und Jetzt. Wichtig ist das Bewusstsei­n, jetzt voll dranzublei­ben.“Wenn es in der A-Gruppe der Nations League (Juni und September) gegen größere Kaliber geht, bei der WM erst recht. „Ich glaube schon, dass wir eine gute Qualität haben. Wir brauchen uns nicht zu verstecken“, meinte Flick und bekräftigt­e: „Ich glaube auch, dass sich die Mannschaft gegen stärkere Gegner noch steigern kann. Die Spiele haben gezeigt, dass wir zurück sind. Auch mit unserer Art und Weise, wie wir Fußball spielen.“

Nun geht es für die Nationalel­f erst mal in die „Winterpaus­e“. Die nächsten Länderspie­le stehen erst Ende März an, die Gegner für die beiden Freundscha­ftsspiele sind noch nicht gefunden. Im Gespräch sind England (in London) und ein Heimspiel gegen Südafrika oder Griechenla­nd. In knapp einem Jahr (am 21. November 2022) beginnt die WM in Katar. Danach wird ein dickerer Strich unter Flicks Bilanz gezogen als jetzt.

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FOTO: DARIUS SIMKA/IMAGO IMAGES Hat gut lachen: Hansi Flick hat die deutsche Nationalma­nnschaft innerhalb kürzester Zeit wieder zu einem Spitzentea­m geformt.

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