Mit dem Auto kilometerweit zur Arbeit
Rekordhoch beim Berufspendeln – Auch Baden-Württemberg zieht Erwerbstätige an
BERLIN - Davon träumen viele: zu Fuß oder mit dem Fahrrad den Arbeitsplatz erreichen zu können. Doch die Arbeitsrealität vieler Berufstätiger sieht anders. Rund 28 Prozent brauchen länger als eine halbe Stunde für den Weg zu ihrer Arbeitsstätte. Fünf Prozent von ihnen sogar länger als 60 Minuten. Die IG Bau hat darauf hingewiesen, dass trotz Corona-Pandemie und Homeoffice weite Pendelwege unvermeidbar seien. Hier einige Daten und Fakten.
Wie haben sich die Zahlen der Berufspendler im Corona-Jahr 2021 entwickelt?
Im Vergleich zum Vorjahr nahm die Zahl der sogenannten Fernpendler um 4,5 Prozent zu. Mehr als jeder zehnte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte verlasse sein Bundesland auf dem Weg zur Arbeit, teilt die IG Bau mit Verweis auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) und den Mikrozensus 2020 mit. Demnach arbeiten 3,5 Millionen Arbeitnehmer nicht in dem Bundesland, in dem sie leben. Das waren 150 000 mehr als 2020.
Welche Länder ziehen Arbeitnehmer an, wo gibt es weniger Jobs? Nordrhein-Westfalen steht an der Spitze der Bundesländer, in die besonders viele Arbeitnehmer „einpendeln“. 461 000 Menschen kommen von einem anderen Land an Ruhr und Rhein, um dort zu arbeiten. Direkt dahinter folgen Baden-Württemberg (426 000), Bayern (425 000), Hessen (408 000), Hamburg (368 000) und Berlin (366 000). Auf der anderen Seite stehen die Bundesländer, deren Einwohner woanders arbeiten. Einen besonders hohen Anteil an sogenannten Auspendlern haben Niedersachsen (454 000), Rheinland-Pfalz (338 000), Brandenburg (305 000), Schleswig-Holstein (244 000) und Sachsen-Anhalt (141 000).
Welchen Arbeitsweg nehmen Arbeitnehmer innerhalb von BadenWürttemberg auf sich?
In Baden-Württemberg pendelten 2020 nach Zahlen des Statistischen Landesamtes von 5,94 Millionen Erwerbstätigen 3,66 Millionen über die Grenzen ihres Wohnortes hinweg zur Arbeit. Die größten Pendlerströme bewegten sich in Richtung Stuttgart (300 300 Erwerbstätige) und in die Stadtkreise Mannheim (132 600) und Karlsruhe (125 000). Aber auch Ulm gehört mit 75 600 Einpendlern zu den Städten, die viele Arbeitnehmer
aus anderen Gemeinden anziehen. Ravensburg liegt auf Platz 16 der 20 größten Arbeitsmarktzentren im Südwesten. Rund 32 700 Menschen pendeln in die Stadt, um dort zu arbeiten. 13 500 Ravensburger haben ihre Arbeitsstätte außerhalb der Stadt. Nach Biberach, auf Platz 19 der wichtigsten Arbeitsmarktzentren, pendeln 24 100 auswärtige Arbeitnehmer. 7700 Biberacher arbeiten außerorts. Innerhalb ihrer Gemeinde pendelten im Südwesten insgesamt 2,28 Millionen Menschen.
Wie lang sind die Arbeitswege der Pendler?
Aus dem Mikrozensus 2020 geht hervor, dass bei rund 26 Prozent der Arbeitnehmer die einfache Strecke zur Arbeit kürzer als fünf Kilometer ist. Bei 67,2 Prozent beträgt die Entfernung zwischen fünf und 49 Kilometern. Nur fünf Prozent wohnen weiter als 50 Kilometer von ihrer Arbeitsstätte entfernt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes, das für den Mikrozensus Haushalte befragt, werden selbst kurze Arbeitswege am häufigsten mit dem Auto zurückgelegt. 40 Prozent der Berufspendler gaben im Jahr 2020 an, auch für Strecken unter fünf Kilometern im Normalfall das Auto zu nutzen. Bei Entfernungen zwischen fünf und zehn Kilometern lag der Autoanteil sogar bei 69 Prozent. Das Fahrrad und der öffentliche Nahverkehr spielen selbst auf den Kurzstrecken nur zweite und dritte Geige. Im Schnitt fahren 68,4 Prozent der Pendler mit dem Auto, 10,4 Prozent mit dem Fahrrad und nur 13,4 Prozent sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs.
Welche politischen Forderungen lassen sich aus den Zahlen zu den Berufspendlern ableiten?
Für den Bundesvorsitzenden der IG Bau, Robert Feiger, ist die Sache klar: Wohnen habe sich in den Ballungsräumen so verteuert, dass es für Angestellte und Arbeiter nicht mehr erschwinglich sei. Weil bezahlbarer Wohnraum fehle, seien beispielsweise für Bauarbeiter Strecken von mehr als 100 Kilometern keine Seltenheit mehr, kritisiert Feiger. Der angespannte Wohnungsmarkt, gerade in Metropolen, ist auch in der Politik angekommen. Die Ampel-Koalition hat angekündigt, pro Jahr 400 000 neue Wohnungen, davon 100 000 als geförderte Sozialwohnungen, zu bauen. Dieses Vorhaben wird von Mietervertretern und auch vom Deutschen Städte- und Gemeindebund durchaus begrüßt, es gibt aber Zweifel an der Umsetzung. Eine Anfrage, mit wie viel neuem Wohnraum bereits im Jahr 2022 zu rechnen sei, ließ das neue Bauministerium am Mittwoch unbeantwortet.
Welche Vorhaben der Ampel-Regierung treffen die Berufspendler? Im Koalitionsvertrag taucht das Wort Pendlerpauschale nicht auf. Vor allem zwischen Grünen und FDP war sie höchst umstritten – die einen wollten sie unbedingt abschaffen, die anderen hielten daran fest. Da das Verkehrsministerium vom Liberalen Volker Wissing geleitet wird, spricht vieles dafür, dass die Steuervergünstigung weiterhin Bestand haben wird. Infolge der höheren CO2-Steuern steigen auch die Spritpreise. Dieser Effekt ist zwar einerseits zum Zwecke des Klimaschutzes politisch gewollt, andererseits erhalten Fernpendler seit 2021 ab dem 21. Kilometer eine auf 35 Cent erhöhte Entfernungspauschale.