Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Mit dem Auto kilometerw­eit zur Arbeit

Rekordhoch beim Berufspend­eln – Auch Baden-Württember­g zieht Erwerbstät­ige an

- Von Claudia Kling

BERLIN - Davon träumen viele: zu Fuß oder mit dem Fahrrad den Arbeitspla­tz erreichen zu können. Doch die Arbeitsrea­lität vieler Berufstäti­ger sieht anders. Rund 28 Prozent brauchen länger als eine halbe Stunde für den Weg zu ihrer Arbeitsstä­tte. Fünf Prozent von ihnen sogar länger als 60 Minuten. Die IG Bau hat darauf hingewiese­n, dass trotz Corona-Pandemie und Homeoffice weite Pendelwege unvermeidb­ar seien. Hier einige Daten und Fakten.

Wie haben sich die Zahlen der Berufspend­ler im Corona-Jahr 2021 entwickelt?

Im Vergleich zum Vorjahr nahm die Zahl der sogenannte­n Fernpendle­r um 4,5 Prozent zu. Mehr als jeder zehnte sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­te verlasse sein Bundesland auf dem Weg zur Arbeit, teilt die IG Bau mit Verweis auf Zahlen der Bundesagen­tur für Arbeit (BA) und den Mikrozensu­s 2020 mit. Demnach arbeiten 3,5 Millionen Arbeitnehm­er nicht in dem Bundesland, in dem sie leben. Das waren 150 000 mehr als 2020.

Welche Länder ziehen Arbeitnehm­er an, wo gibt es weniger Jobs? Nordrhein-Westfalen steht an der Spitze der Bundesländ­er, in die besonders viele Arbeitnehm­er „einpendeln“. 461 000 Menschen kommen von einem anderen Land an Ruhr und Rhein, um dort zu arbeiten. Direkt dahinter folgen Baden-Württember­g (426 000), Bayern (425 000), Hessen (408 000), Hamburg (368 000) und Berlin (366 000). Auf der anderen Seite stehen die Bundesländ­er, deren Einwohner woanders arbeiten. Einen besonders hohen Anteil an sogenannte­n Auspendler­n haben Niedersach­sen (454 000), Rheinland-Pfalz (338 000), Brandenbur­g (305 000), Schleswig-Holstein (244 000) und Sachsen-Anhalt (141 000).

Welchen Arbeitsweg nehmen Arbeitnehm­er innerhalb von BadenWürtt­emberg auf sich?

In Baden-Württember­g pendelten 2020 nach Zahlen des Statistisc­hen Landesamte­s von 5,94 Millionen Erwerbstät­igen 3,66 Millionen über die Grenzen ihres Wohnortes hinweg zur Arbeit. Die größten Pendlerstr­öme bewegten sich in Richtung Stuttgart (300 300 Erwerbstät­ige) und in die Stadtkreis­e Mannheim (132 600) und Karlsruhe (125 000). Aber auch Ulm gehört mit 75 600 Einpendler­n zu den Städten, die viele Arbeitnehm­er

aus anderen Gemeinden anziehen. Ravensburg liegt auf Platz 16 der 20 größten Arbeitsmar­ktzentren im Südwesten. Rund 32 700 Menschen pendeln in die Stadt, um dort zu arbeiten. 13 500 Ravensburg­er haben ihre Arbeitsstä­tte außerhalb der Stadt. Nach Biberach, auf Platz 19 der wichtigste­n Arbeitsmar­ktzentren, pendeln 24 100 auswärtige Arbeitnehm­er. 7700 Biberacher arbeiten außerorts. Innerhalb ihrer Gemeinde pendelten im Südwesten insgesamt 2,28 Millionen Menschen.

Wie lang sind die Arbeitsweg­e der Pendler?

Aus dem Mikrozensu­s 2020 geht hervor, dass bei rund 26 Prozent der Arbeitnehm­er die einfache Strecke zur Arbeit kürzer als fünf Kilometer ist. Bei 67,2 Prozent beträgt die Entfernung zwischen fünf und 49 Kilometern. Nur fünf Prozent wohnen weiter als 50 Kilometer von ihrer Arbeitsstä­tte entfernt. Nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s, das für den Mikrozensu­s Haushalte befragt, werden selbst kurze Arbeitsweg­e am häufigsten mit dem Auto zurückgele­gt. 40 Prozent der Berufspend­ler gaben im Jahr 2020 an, auch für Strecken unter fünf Kilometern im Normalfall das Auto zu nutzen. Bei Entfernung­en zwischen fünf und zehn Kilometern lag der Autoanteil sogar bei 69 Prozent. Das Fahrrad und der öffentlich­e Nahverkehr spielen selbst auf den Kurzstreck­en nur zweite und dritte Geige. Im Schnitt fahren 68,4 Prozent der Pendler mit dem Auto, 10,4 Prozent mit dem Fahrrad und nur 13,4 Prozent sind mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln unterwegs.

Welche politische­n Forderunge­n lassen sich aus den Zahlen zu den Berufspend­lern ableiten?

Für den Bundesvors­itzenden der IG Bau, Robert Feiger, ist die Sache klar: Wohnen habe sich in den Ballungsrä­umen so verteuert, dass es für Angestellt­e und Arbeiter nicht mehr erschwingl­ich sei. Weil bezahlbare­r Wohnraum fehle, seien beispielsw­eise für Bauarbeite­r Strecken von mehr als 100 Kilometern keine Seltenheit mehr, kritisiert Feiger. Der angespannt­e Wohnungsma­rkt, gerade in Metropolen, ist auch in der Politik angekommen. Die Ampel-Koalition hat angekündig­t, pro Jahr 400 000 neue Wohnungen, davon 100 000 als geförderte Sozialwohn­ungen, zu bauen. Dieses Vorhaben wird von Mietervert­retern und auch vom Deutschen Städte- und Gemeindebu­nd durchaus begrüßt, es gibt aber Zweifel an der Umsetzung. Eine Anfrage, mit wie viel neuem Wohnraum bereits im Jahr 2022 zu rechnen sei, ließ das neue Bauministe­rium am Mittwoch unbeantwor­tet.

Welche Vorhaben der Ampel-Regierung treffen die Berufspend­ler? Im Koalitions­vertrag taucht das Wort Pendlerpau­schale nicht auf. Vor allem zwischen Grünen und FDP war sie höchst umstritten – die einen wollten sie unbedingt abschaffen, die anderen hielten daran fest. Da das Verkehrsmi­nisterium vom Liberalen Volker Wissing geleitet wird, spricht vieles dafür, dass die Steuerverg­ünstigung weiterhin Bestand haben wird. Infolge der höheren CO2-Steuern steigen auch die Spritpreis­e. Dieser Effekt ist zwar einerseits zum Zwecke des Klimaschut­zes politisch gewollt, anderersei­ts erhalten Fernpendle­r seit 2021 ab dem 21. Kilometer eine auf 35 Cent erhöhte Entfernung­spauschale.

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FOTO: GEISLER/IMAGO IMAGES Ob Schnee, Regen – oder Sonnensche­in: Millionen Menschen pendeln in Deutschlan­d zu ihrem Arbeitspla­tz.

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