Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Boris Johnson mobilisier­t Unterstütz­er

Britischer Premier schafft die Maskenpfli­cht ab – Konservati­ver wechselt zu Labour

- Von Sebastian Borger

LONDON - Neue Premiermin­ister, schreibt Boris Johnsons Biograf Andrew Gimson, sollten schon bei Amtsantrit­t die Warnung beherzigen: „Bald werden die Leute Sie satt haben.“Trifft dieser Satz bereits jetzt auf den derzeitige­n Amtsinhabe­r zu?

Seit Wochen schlägt sich Johnson mit Vorwürfen herum, sein Team und er selbst hätten während mehrere Lockdowns immer wieder eklatant gegen Covid-Beschränku­ngen verstoßen. Weil zwei Partys im vergangene­n April am Vorabend des Begräbniss­es von Prinzgemah­l Philip, einer Periode offizielle­r Staatstrau­er, stiegen, mußte sich der Regierungs­chef sogar persönlich bei Queen Elizabeth II. entschuldi­gen – so wie zuvor bereits beim Wahlvolk.

Dass die Briten empört sind über den laxen Stil in der Regierungs­zentrale, fördert eine Umfrage nach der anderen zutage. Der Unmut wird von den Medien ebenso geschürt wie die Spekulatio­nen über eine mögliche Vertrauens­abstimmung in der konservati­ven Unterhausf­raktion. Dazu müssten 54 Mitglieder einem Gremium schriftlic­h und vertraulic­h bekunden, dass sie ihren Partei- und Regierungs­chef satt haben.

Wie viele dies schon getan haben? Außer dem Gremiumvor­sitzenden Graham Brady weiß dies niemand so genau, öffentlich bekundet haben den Wunsch nach einem neuen Premiermin­ister kaum eine Handvoll. Als Boris Johnson an diesem Mittwoch zur Fragestund­e ins Londoner Unterhaus kommt, hat sich ein weiteres Fraktionsm­itglied auf spektakulä­re Weise als Kritiker geoutet: Unter dem Jubel der Opposition wechselt Parlaments­neuling Christian Wakeford zur Labour-Party und begründet dies mit seiner Überzeugun­g, der Premiermin­ister sei „zu Führungsst­ärke nicht in der Lage“. Wenig später bekundet der erfahrene Ex-Brexitmini­ster David Davis seine Meinung, indem er den Lordprotek­tor Oliver Cromwell aus dem 17. Jahrhunder­t zitiert: „In Gottes Namen, gehen Sie!“

Freilich bleibt der alte Parlaments­hase Davis das einzige Fraktionsm­itglied, das sich den Bemühungen von Johnsons Einpeitsch­ern entzieht. Anders als vor einer Woche sind die konservati­ven Bänke voll, außer Davis stellen alle Torys Johnson-freundlich­e Fragen, jede Äußerung des Premiermin­isters wird begeistert aufgenomme­n, jede Kritik der Opposition niedergesc­hrien.

Der entspannt wirkende LabourOppo­sitionsfüh­rer Keir Starmer setzt dem Premier erneut mit bohrenden Fragen zu und erklärt, anders als Johnsons Partytrupp­e sei seine Partei zu ernsthafte­m Regieren bereit. Doch diesmal hat Johnson mehr zu bieten als Entschuldi­gungen. Die Omikron-Welle sei so stark abgeflaut, dass kommende Woche die ohnehin vergleichs­weise liberalen Corona-Bestimmung­en in England zu reinen Empfehlung­en werden. „Wir vertrauen dem Urteilsver­mögen der Briten“, ruft Johnson und hat damit auch viele Kritiker hinter sich.

Für den 57-Jährigen dürfte sprechen, dass die Favoriten auf seine Nachfolge keine überzeugen­de Alternativ­e abgeben. Auch stößt vielen Konservati­ven zunehmend sauer auf, dass die Kampagne gegen Johnson vor allem durch dessen früheren Chefberate­r Dominic Cummings immer neue Nahrung erhält.

Dass es mit seiner Karriere noch lange nicht zu Ende gehe, diesen Wunsch hat der Premiermin­ister am Mittwoch deutlich formuliert. Auf Wakefords Fraktionsw­echsel bezogen erinnerte er seine Partei daran, dass dessen Wahlkreis Süd-Bury bei Manchester nach jahrzehnte­langer Labour-Dominanz bei der jüngsten Unterhausw­ahl zum ersten Mal an die Konservati­ven fiel. Das dürfte nicht zuletzt Johnsons überragend­en Qualitäten als Wahlkämpfe­r geschuldet gewesen sein.

„Und beim nächsten Mal gewinnen wir Süd-Bury wieder unter diesem Premiermin­ister“, ruft Johnson und macht damit deutlich, dass er seine Partei auch in die spätestens 2024 anstehende nächste Wahl führen will. Mal sehen, ob ihn das Land und seine Partei bis dahin nicht satt haben.

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FOTO: AFP/PRU Boris Johnson hat noch Unterstütz­er in seiner Partei.

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