Teurer Einkauf
Lebenshaltungskosten in Deutschland sind so stark gestiegen wie seit 1993 nicht mehr – Kann der Staat helfen?
BERLIN - Vor allem die Energiepreise haben 2021 das Leben in der Bundesrepublik verteuert. Aber auch sonst mussten die Deutschen deutlich mehr ausgeben. Der Staat kann gegensteuern – die Wirksamkeit ist fraglich. Am Mittwoch hat das Statistische Bundesamt die Inflationsrate für Dezember und das Gesamtjahr 2021 bekanntgegeben. Ein Überblick.
Wie hoch ist die Teuerungsrate in Deutschland? Und trifft sie alle gleichermaßen?
2021 sind die Verbraucherpreise in Deutschland um 3,1 Prozent gestiegen. Selbst ohne Energiepreise wären es im Schnitt 2,3 Prozent gewesen, wie das Statistische Bundesamt jetzt berichtete. Das bedeutet nicht, dass jeder so viel mehr ausgegeben hat. Denn der Wert wird anhand von 645 Waren des täglichen Bedarfs ermittelt, von Seife über Tonträger bis Miete. Der Preis jeder Ware geht mit einem bestimmten Anteil in den Endwert ein – Eier mit 0,143 Prozent, Strom mit 2,592 Prozent. Wer kein Auto besitzt oder kein Fleisch isst, ist von den Preisänderungen dort nicht betroffen.
Was hat sich 2021 besonders verteuert?
Vor allem Energie: Flüssiggas kostete 42,3 Prozent mehr, Heizöl 35,5, Superbenzin 20,5 Prozent. Neben Energie mussten die Deutschen auch für Nahrungsmittel mehr zahlen. So verteuerten sich Kopfsalat und Sonnenblumenöl jeweils um zehn Prozent, Butter um sieben Prozent. Auch andere Waren kosteten mehr: Säuglingskleidung 6,3 Prozent, ein Scanner 12,4 Prozent.
Was ist 2021 billiger geworden? Die Statistiker ermittelten zum Beispiel, dass DVD und Bluray 10,2 Prozent günstiger waren. Koffer verbilligten sich um 4,6 Prozent, Birnen um 2,6 Prozent. Kartoffeln, Windeln und Waschmittel kosteten 2021 im Schnitt so viel wie 2020.
Warum steigen gerade die Energiepreise so stark?
Die Wirtschaft hat sich nach den starken Einschränkungen 2020 schneller von Corona erholt, als erwartet und 2021 wieder zugelegt. Sie brauchte sprunghaft mehr Energie – und das nicht nur in Deutschland. Dazu kamen im Herbst der Beginn der Heizperiode und geostrategische Unwägbarkeiten, vor allem beim Gas. Russland, mit deutlich mehr als 50 Prozent Anteil der größte deutsche Gaslieferant, könnte seine Macht ausspielen und die Lieferungen drosseln. Zudem sind die deutschen Gasspeicher leerer als üblich. Erhöhte Nachfrage kann deshalb nicht ausgeglichen werden.
Was kann die Bundesregierung tun? Und wie wirksam sind die Maßnahmen?
Die Inflation zu bekämpfen, ist die wesentliche Aufgabe der Europäischen Zentralbank für die gesamte Eurozone. Die Bundesregierung kann dennoch versuchen, die Folgen der Inflation speziell bei den Energiepreisen abzumildern. Diskutiert wird zum einen die Steuern zu senken, etwa die Mehrwertsteuer oder die Stromsteuer. Das würde die Preise senken, allerdings schlägt es sich sofort wieder in den Preisen und der Inflationsrate nieder, wenn sie wieder angehoben wird. Zudem kann der Staat nur in Höhe der Steuern entlasten. Steigt der Preis stärker, verpufft der staatliche Eingriff.
Eine weitere Möglichkeit wäre, staatlich festgesetzte Preisbestandteile zu streichen: Bereits vorgesehen ist, die sogenannte EEG-Umlage 2023 zu streichen und den Umbau zu erneuerbaren Energien über Steuern zu finanzieren. Zunächst soll sie um etwa drei Cent pro Kilowattstunde sinken. Bei einem Verbrauch von 4000 Kilowattstunden im Jahr bringt das 120 Euro. Für den Kunden ist das weitgehend wirkungslos, wenn der Strompreis gleichzeitig um 15 oder mehr Cent steigt.
Preise einzufrieren wäre auch eine Möglichkeit, allerdings wäre dies ein sehr drastischer und eher theoretischer Eingriff in die freie Marktwirtschaft – verbunden mit zwei wesentlichen Problemen: Wird die Preisbremse aufgehoben, steigen die Preise sprunghaft an. Und wer Produkte im Ausland deutlich über dem staatlich festgesetzten Verkaufspreis einkaufen muss, wird sein Geschäft einfach einstellen.
Eine letzte Möglichkeit wäre auch Pauschalen zu zahlen, um zumindest bei denen, die am wenigsten haben gegenzusteuern: So könnte die Bundesregierung einen einmaligen Heizkostenzuschuss zahlen. Einige Politiker nannten schon einen Betrag von 300 Euro. Im Koalitionsvertrag ist auch ein Ausgleichsbetrag vorgesehen. In Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron angekündigt, jedem Haushalt einen Zuschuss von 1000 Euro zu zahlen. Ein Geschenk des Staats, das natürlich über die Steuern wiederum alle tragen.
Was macht die Europäische Zentralbank?
Die Notenbank soll darauf achten, dass die Teuerungsrate mittelfristig nahe bei zwei Prozent liegt. Das soll ein gesundes Wirtschaftswachstum garantieren. Die EZB ist unabhängig von den 19 Eurostaaten, also auch von Deutschland. Die Idee dahinter: Fachleute, nicht Politiker, sollen sich um die Stabilität der Währung in der gesamten Eurozone kümmern. Die EZB steuert vor allem über die Leitzinsen, die Zinsen für Einlagen der Geschäftsbanken und ihr Ankaufprogramm für Staats- und Unternehmensanleihen. Sehr vereinfacht: Sie verteuert und verknappt Geld, um die Inflation zu bremsen, oder sie verbilligt es und stellt mehr bereit. Das wirkt jeweils verzögert und auf die Inflationsrate insgesamt. Den Preisanstieg nur bei Energiepreisen kann die Notenbank nicht bremsen. Nach Jahren der sehr lockeren Geldpolitik infolge der Eurokrise hält sich die EZB bisher sehr zurück. Die USNotenbank Fed ist da weiter. Sie hat bereits bis zu vier Zinsschritte in diesem Jahr angekündigt. Die Inflation in den USA betrug zuletzt sieben Prozent – der höchste Wert seit 40 Jahren. Teurer wurden sehr viele Produkte, nicht nur Energie.
Wie geht es weiter?
Die Inflation wird hoch bleiben. Experten rechnen mit Werten um drei Prozent, vor allem, weil die Energiepreise weiter steigen könnten. Zum Jahresbeginn ist die CO2-Steuer, wie geplant, gestiegen. Zudem droht ein Krieg in der Ukraine. Gleichzeitig ist die Nachfrage hoch. Auch müssen die Unternehmen für Vorprodukte mehr zahlen, was sie zumindest in Teilen auf die Kunden umlegen.