Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wenn die Hausfrau an Langeweile stirbt

Ibsens Drama „Hedda Gabler“gelingt am Theater Ulm als Psychokrim­i

- Von Veronika Lintner

ULM - So eine wie Hedda Gabler sollte niemand für Trauerrede­n buchen. Erst recht nicht für das eigene Begräbnis. Als diese Frau hört, dass sich ihr Geliebter erschossen hat – dem sie, nebenbei notiert, die Pistole selbst in die Hand gedrückt hat –, da ruft sie ihren Dank zum Himmel: „Endlich eine Tat!“Frostklirr­end, oder wahlweise gespielt zuckersüß, serviert Marie Luisa Kerkhoff am Theater Ulm als Hedda ihre Sätze. Aber bei diesem einen bricht ihr Panzer, wird der Blick freigelegt in Heddas Seele. Die Gabler – lebensmüde? Eine Männerfall­e, die an der Sucht nach Freiheit leidet? Hausfrau, die an Langeweile stirbt?

Dass sich der Norweger Henrik Ibsen sein Urteil nicht so leicht gemacht hat in seinem Drama „Hedda Gabler“, zeigt die Neuinszeni­erung am Theater Ulm. Regisseur Andreas Nathusius gelingt ein Psychokrim­i. Das Spiel beginnt, als hätte man sich in den „Tatort“gezappt. Aber einen von der hippen Sorte. Scheinwerf­er rotieren, ihr Licht fällt durch Gitter und Schlitze von steilen Holzwänden. Sie markieren die Villa, in der das Drama dräut. Vieles wird hier im Halbverdec­kten, Verborgene­n passieren. Fest steht: Gleich knallt’s. So beginnt das Ende einer Frau, die die Welt lieber brennen sieht, als selbst in Stumpfsinn zu vergehen.

Hedda Tesman kennt keiner – denn Hedda Gabler bleibt Hedda Gabler, auch jetzt, nach Heirat und Flitterwoc­hen. Herrlich stinknorma­l spielt Maurizio Micksch ihren Mann Jörgen Tesman, Historiker, Aktenwühle­r, der sich für die Traumfrau in Schulden stürzt. Empfindet sie Liebe für so einen? Liebe – „bleiben Sie mir mit diesem Wort vom Leib“. Mit der Aura eines Eisbergs zeigt Marie Luisa Kerkhoff, warum sie in Ulm immer wieder die großen Frauenroll­en ergattert.

„All das hier bringt mich noch um!“, klagt Hedda. „All das Lächerlich­e.“Aber was, wenn das Lächerlich­e Jörgens Glück bedeutet? Das Haus, die Besuche der Tante, die Bücherstap­el? Klug inszeniert spielt Gastregiss­eur Andreas Nathusius mit dem Mitgefühl der Zuschauer. In den anderen sieht Hedda nur Spießer. Tante Julie spielt Anne Simmering hübsch graumäusig. „Schön, schön“findet sie Hedda. Ihre Frage, ob Nachwuchs ins Haus steht, sitzt wie ein Messerstic­h. Den Geliebten, im Lodenmante­l und mit Löckchen, spielt Frank Röder hingebungs­voll zerrissen. Die Hedda, so will es Ibsens Text eigentlich, verbrennt am Ende die kostbaren Papiere dieses verehrten Eilert Lövborg. Und in Ulm? Hackt sie mit dem Hammer auf seinen Laptop ein, in dem sein Buchmanusk­ript gespeicher­t ist. Fast unnötig, das hätte es nicht gebraucht, um anzudeuten, dass es Heddas auch heute noch gibt. Menschen, die Freiheit suchen und sich missversta­nden fühlen.

So kommt Hedda unter die Räder ihrer eigenen Intrigen. Ein atemloser Moment: Richter Brack – gekonnt schmierig gespielt von Markus Hottgenrot­h – hat sie in der Hand, er weiß, was sie angestifte­t hat. Und greift unters Kleid.

Apropos Kostüm: Hedda stolziert erst in Knallpink, später als schwarze Witwe. 1891, bei der Uraufführu­ng in München, lag das Stück dem Publikum als veritabler Schocker schwer im Magen. Und diesen Reiz bewahrt es. Während Frau und Mann heute mit Ibsens „Nora“mitleiden, bleibt Hedda Hedda. Brutal, Frau, Mensch.

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Jörgen Tesman (Maurizio Micksch) liegt Hedda Gabler (Marie Luisa Kerkhoff) zu Füßen und stürzt sich für sie in Schulden.
FOTO: MARC LONTZEK Infos und Termine weiterer Aufführung­en unter www.theater-ulm.de Jörgen Tesman (Maurizio Micksch) liegt Hedda Gabler (Marie Luisa Kerkhoff) zu Füßen und stürzt sich für sie in Schulden.

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