Wenn die Hausfrau an Langeweile stirbt
Ibsens Drama „Hedda Gabler“gelingt am Theater Ulm als Psychokrimi
ULM - So eine wie Hedda Gabler sollte niemand für Trauerreden buchen. Erst recht nicht für das eigene Begräbnis. Als diese Frau hört, dass sich ihr Geliebter erschossen hat – dem sie, nebenbei notiert, die Pistole selbst in die Hand gedrückt hat –, da ruft sie ihren Dank zum Himmel: „Endlich eine Tat!“Frostklirrend, oder wahlweise gespielt zuckersüß, serviert Marie Luisa Kerkhoff am Theater Ulm als Hedda ihre Sätze. Aber bei diesem einen bricht ihr Panzer, wird der Blick freigelegt in Heddas Seele. Die Gabler – lebensmüde? Eine Männerfalle, die an der Sucht nach Freiheit leidet? Hausfrau, die an Langeweile stirbt?
Dass sich der Norweger Henrik Ibsen sein Urteil nicht so leicht gemacht hat in seinem Drama „Hedda Gabler“, zeigt die Neuinszenierung am Theater Ulm. Regisseur Andreas Nathusius gelingt ein Psychokrimi. Das Spiel beginnt, als hätte man sich in den „Tatort“gezappt. Aber einen von der hippen Sorte. Scheinwerfer rotieren, ihr Licht fällt durch Gitter und Schlitze von steilen Holzwänden. Sie markieren die Villa, in der das Drama dräut. Vieles wird hier im Halbverdeckten, Verborgenen passieren. Fest steht: Gleich knallt’s. So beginnt das Ende einer Frau, die die Welt lieber brennen sieht, als selbst in Stumpfsinn zu vergehen.
Hedda Tesman kennt keiner – denn Hedda Gabler bleibt Hedda Gabler, auch jetzt, nach Heirat und Flitterwochen. Herrlich stinknormal spielt Maurizio Micksch ihren Mann Jörgen Tesman, Historiker, Aktenwühler, der sich für die Traumfrau in Schulden stürzt. Empfindet sie Liebe für so einen? Liebe – „bleiben Sie mir mit diesem Wort vom Leib“. Mit der Aura eines Eisbergs zeigt Marie Luisa Kerkhoff, warum sie in Ulm immer wieder die großen Frauenrollen ergattert.
„All das hier bringt mich noch um!“, klagt Hedda. „All das Lächerliche.“Aber was, wenn das Lächerliche Jörgens Glück bedeutet? Das Haus, die Besuche der Tante, die Bücherstapel? Klug inszeniert spielt Gastregisseur Andreas Nathusius mit dem Mitgefühl der Zuschauer. In den anderen sieht Hedda nur Spießer. Tante Julie spielt Anne Simmering hübsch graumäusig. „Schön, schön“findet sie Hedda. Ihre Frage, ob Nachwuchs ins Haus steht, sitzt wie ein Messerstich. Den Geliebten, im Lodenmantel und mit Löckchen, spielt Frank Röder hingebungsvoll zerrissen. Die Hedda, so will es Ibsens Text eigentlich, verbrennt am Ende die kostbaren Papiere dieses verehrten Eilert Lövborg. Und in Ulm? Hackt sie mit dem Hammer auf seinen Laptop ein, in dem sein Buchmanuskript gespeichert ist. Fast unnötig, das hätte es nicht gebraucht, um anzudeuten, dass es Heddas auch heute noch gibt. Menschen, die Freiheit suchen und sich missverstanden fühlen.
So kommt Hedda unter die Räder ihrer eigenen Intrigen. Ein atemloser Moment: Richter Brack – gekonnt schmierig gespielt von Markus Hottgenroth – hat sie in der Hand, er weiß, was sie angestiftet hat. Und greift unters Kleid.
Apropos Kostüm: Hedda stolziert erst in Knallpink, später als schwarze Witwe. 1891, bei der Uraufführung in München, lag das Stück dem Publikum als veritabler Schocker schwer im Magen. Und diesen Reiz bewahrt es. Während Frau und Mann heute mit Ibsens „Nora“mitleiden, bleibt Hedda Hedda. Brutal, Frau, Mensch.