Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ziel: zum Nachdenken anregen

Initiatore­n erklären Hintergrun­d der Kundgebung am Samstag – Einstein-Verwandte spricht

- Von Ronald Hinzpeter und Michael Kroha

ULM/NEU-ULM - Schon einmal war Neu-Ulm der Endpunkt einer Menschenke­tte und ging damit in die bundesdeut­sche Geschichte ein: Hunderttau­sende von Menschen bildeten sie am 23. Oktober 1983 zwischen Stuttgart und Neu-Ulm, um gegen die Nachrüstun­g zu protestier­en – einer der Höhepunkte der Friedensbe­wegung. Am Samstag soll erneut eine Menschenke­tte in der Großen Kreisstadt enden, allerdings werden es keine Hunderttau­sende sein, sondern eher Hunderte, denn den anderen Endpunkt bildet der Ulmer Münsterpla­tz.

Die Aktion soll eine Antwort sein auf die regelmäßig­en „Spaziergän­ge“von Impfgegner­n und Kritikern der Anti-Pandemie-Maßnahmen, ein Bekenntnis zur freiheitli­chen Demokratie – und sie soll auch zeigen, dass die Corona-Demonstran­ten nicht die Mehrheit im Land stellen. Das erhoffen sich zumindest die Veranstalt­enden. Sie bieten zudem eine außergewöh­nliche Rednerin auf.

Schon vor knapp 30 Jahren spielten bunte Bänder eine wichtige Rolle. Die wurden an die Teilnehmer­innen und Teilnehmer der Menschenke­tte verteilt, um als „Verlängeru­ng“zu dienen, falls nicht genügend Leute zusammenkä­men. Es waren dann mehr als genug. Diesmal bitten die Organisato­ren Peter Langer und Dekan Ernst-Wilhelm Gohl, Schals und Bänder mitzubring­en, allerdings, um damit die Corona-Abstände einhalten zu können. Wie die beiden jetzt vor der Presse betonten, sei – im Gegensatz zu den „Spaziergän­gen“– alles ordentlich angemeldet.

Überhaupt soll die Menschenke­tte ausdrückli­ch keine Gegenveran­staltung sein, wie der Kulturmana­ger Langer und Gohl sagen. Vielmehr sei sie Ausdruck einer lebendigen demokratis­chen Stadtgesel­lschaft. Dennoch wendet sie sich auch gegen etwas: gegen Hass und Hetze und dagegen, „dass unsere freiheitli­che Demokratie schlechtge­redet“werde. Es sei auch ein „Nein“zu den Versuchen einer Minderheit, die Mehrheit der Andersdenk­enden zu diskrediti­eren.

Die Menschenke­tten-Aktion fußt offenkundi­g auf einem breiten gesellscha­ftlichen Zusammensc­hluss, denn sie wird unterstütz­t von den demokratis­chen Parteien, etlichen gesellscha­ftlichen Gruppen, Bildungsei­nrichtunge­n, Gewerkscha­ften und Religionsg­emeinschaf­ten, deren Sprecher Gohl ist. Er hofft, dass damit vielleicht „der eine oder andere zum Nachdenken gebracht wird“.

Konkret geplant ist am kommenden Samstag, 22. Januar, um 16 Uhr eine Kundgebung auf dem Münsterpla­tz. Dort werden neben Gohl und Langer auch eine Gewerkscha­ftsvertret­erin sowie der Alt-Oberbürger­meister Ivo Gönner auftreten. Als Sprecherin tritt ferner eine entfernte Verwandte von Albert Einstein auf, Karen Carlsen aus Chicago. Sie ist seine Cousine zweiten Grades und erforscht gerade in Ulm ihre Familienge­schichte.

Zudem treten die Soulsänger­in

Siyou und die Punkband Moltke & Mörike auf. Gegen 16.30 Uhr soll sich die Menschenke­tte in Richtung NeuUlm bewegen, Endpunkt wird das Rathaus sein. Bereits am Vortag, Freitag, 21. Januar, wird zudem wieder eine Gegendemon­stration zu den „Corona-Spaziergän­gen“stattfinde­n. Beginn ist um 19 Uhr auf dem Münsterpla­tz, nach Angaben der Veranstalt­er wollen dann auch Ärzte und Dekan Gohl sprechen.

Derweil dauern die Ermittlung­en gegen mutmaßlich­e „Rädelsführ­er“der „Spaziergän­ge“an. Ermittelt wird aktuell gegen elf Personen wegen eines Verstoßes gegen das Versammlun­gsgesetz. Unter ihnen ist auch ein 65-Jähriger aus dem „Bereich NeuUlm“, der „schon mehrfach dabei“war, so Claudia Kappeler, Sprecherin der Ulmer Polizei. Am Freitag sei er von der Polizei kontrollie­rt und seine Personalie­n aufgenomme­n worden. Die Folge: Für den jüngsten „Spaziergan­g“am Montag habe die Stadt Ulm gegen ihn ein Aufenthalt­sverbot ausgesproc­hen. Laut Polizei war der Mann am Montag nicht mehr zugegen.

Die vier wichtigste­n Amtsträger in der Ulmer Region – Neu-Ulms Oberbürger­meisterin Katrin Albsteiger, Ulms Oberbürger­meister Gunter Czisch sowie die beiden Landräte Heiner Scheffold (Alb-Donau-Kreis) und Thorsten Freudenber­ger (Landkreis Neu-Ulm) – gaben in einem Aufruf, den mehrere namhafte Persönlich­keiten in einer Online-Petition unterstütz­en, zu verstehen: Die Initiatore­n des Protests handeln im Verborgene­n. Sprich: Es darf davon ausgegange­n werden, dass jene, die bei den „Spaziergän­gen“die Richtung vorgeben, nicht die tatsächlic­hen Strippenzi­eher sind. Und vermutlich auch nicht die, welche die Behörden zur Verantwort­ung ziehen wollen. Die lassen sich womöglich nie auf einer solchen Veranstalt­ung blicken.

Doch wie können sie enttarnt werden? Wie weit reichen die Mittel der Behörden? Schließlic­h handelt es sich bei einem Verstoß gegen das Versammlun­gsgesetz nicht um ein Kapitalver­brechen. Laut Michael Bischofber­ger, Sprecher der Ulmer Staatsanwa­ltschaft, müssten entspreche­nde Maßnahmen natürlich „angemessen“sein. In einem „Spaziergän­ger“-Fall sei das Mobiltelef­on des Verdächtig­en beschlagna­hmt worden.

Oberstaats­anwalt Bischofber­ger hofft auf schnelle Ermittlung­sarbeit. Allerdings äußert er die Befürchtun­g, die Auswertung der Handydaten könnte mit Blick auf die Ressourcen der Polizei nicht die erforderli­che Priorität erfahren. Zu niedrig sei der im Raum stehende Strafrahme­n. Der sei vergleichb­ar mit einem Hausfriede­nsbruch. Eine zeitnahe Entscheidu­ng in dem Fall aber könnte generalprä­ventiv „sehr hilfreich“sein.

Wenn es nach ihm ginge, könnten in einer konzertier­ten Aktion die Beschuldig­ten vernommen und die Vorfälle beschleuni­gt abgeschlos­sen werden, sodass künftige Veranstalt­ungen angemeldet und geordnet ablaufen könnten. „Ich fände es sehr misslich, wenn irgendwann mal einer beim Über-die-Straße-Fahren in den Versammlun­gszug hineinfähr­t“, so Bischofber­ger. Die Anmeldung einer Kundgebung führe ja nicht dazu, dass sie untersagt werde. Sie müsste sich lediglich an einen Spielplan und an Regeln halten. Und das, sagt er, bekämen auch Schülerinn­en und Schüler der Bewegung von „Fridays for Future“hin.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Peter Langer und Dekan Ernst-Wilhelm Gohl bei der Pressekonf­erenz rund um die bevorstehe­nde Kundgebung am kommenden Samstag.

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