Ziel: zum Nachdenken anregen
Initiatoren erklären Hintergrund der Kundgebung am Samstag – Einstein-Verwandte spricht
ULM/NEU-ULM - Schon einmal war Neu-Ulm der Endpunkt einer Menschenkette und ging damit in die bundesdeutsche Geschichte ein: Hunderttausende von Menschen bildeten sie am 23. Oktober 1983 zwischen Stuttgart und Neu-Ulm, um gegen die Nachrüstung zu protestieren – einer der Höhepunkte der Friedensbewegung. Am Samstag soll erneut eine Menschenkette in der Großen Kreisstadt enden, allerdings werden es keine Hunderttausende sein, sondern eher Hunderte, denn den anderen Endpunkt bildet der Ulmer Münsterplatz.
Die Aktion soll eine Antwort sein auf die regelmäßigen „Spaziergänge“von Impfgegnern und Kritikern der Anti-Pandemie-Maßnahmen, ein Bekenntnis zur freiheitlichen Demokratie – und sie soll auch zeigen, dass die Corona-Demonstranten nicht die Mehrheit im Land stellen. Das erhoffen sich zumindest die Veranstaltenden. Sie bieten zudem eine außergewöhnliche Rednerin auf.
Schon vor knapp 30 Jahren spielten bunte Bänder eine wichtige Rolle. Die wurden an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Menschenkette verteilt, um als „Verlängerung“zu dienen, falls nicht genügend Leute zusammenkämen. Es waren dann mehr als genug. Diesmal bitten die Organisatoren Peter Langer und Dekan Ernst-Wilhelm Gohl, Schals und Bänder mitzubringen, allerdings, um damit die Corona-Abstände einhalten zu können. Wie die beiden jetzt vor der Presse betonten, sei – im Gegensatz zu den „Spaziergängen“– alles ordentlich angemeldet.
Überhaupt soll die Menschenkette ausdrücklich keine Gegenveranstaltung sein, wie der Kulturmanager Langer und Gohl sagen. Vielmehr sei sie Ausdruck einer lebendigen demokratischen Stadtgesellschaft. Dennoch wendet sie sich auch gegen etwas: gegen Hass und Hetze und dagegen, „dass unsere freiheitliche Demokratie schlechtgeredet“werde. Es sei auch ein „Nein“zu den Versuchen einer Minderheit, die Mehrheit der Andersdenkenden zu diskreditieren.
Die Menschenketten-Aktion fußt offenkundig auf einem breiten gesellschaftlichen Zusammenschluss, denn sie wird unterstützt von den demokratischen Parteien, etlichen gesellschaftlichen Gruppen, Bildungseinrichtungen, Gewerkschaften und Religionsgemeinschaften, deren Sprecher Gohl ist. Er hofft, dass damit vielleicht „der eine oder andere zum Nachdenken gebracht wird“.
Konkret geplant ist am kommenden Samstag, 22. Januar, um 16 Uhr eine Kundgebung auf dem Münsterplatz. Dort werden neben Gohl und Langer auch eine Gewerkschaftsvertreterin sowie der Alt-Oberbürgermeister Ivo Gönner auftreten. Als Sprecherin tritt ferner eine entfernte Verwandte von Albert Einstein auf, Karen Carlsen aus Chicago. Sie ist seine Cousine zweiten Grades und erforscht gerade in Ulm ihre Familiengeschichte.
Zudem treten die Soulsängerin
Siyou und die Punkband Moltke & Mörike auf. Gegen 16.30 Uhr soll sich die Menschenkette in Richtung NeuUlm bewegen, Endpunkt wird das Rathaus sein. Bereits am Vortag, Freitag, 21. Januar, wird zudem wieder eine Gegendemonstration zu den „Corona-Spaziergängen“stattfinden. Beginn ist um 19 Uhr auf dem Münsterplatz, nach Angaben der Veranstalter wollen dann auch Ärzte und Dekan Gohl sprechen.
Derweil dauern die Ermittlungen gegen mutmaßliche „Rädelsführer“der „Spaziergänge“an. Ermittelt wird aktuell gegen elf Personen wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Unter ihnen ist auch ein 65-Jähriger aus dem „Bereich NeuUlm“, der „schon mehrfach dabei“war, so Claudia Kappeler, Sprecherin der Ulmer Polizei. Am Freitag sei er von der Polizei kontrolliert und seine Personalien aufgenommen worden. Die Folge: Für den jüngsten „Spaziergang“am Montag habe die Stadt Ulm gegen ihn ein Aufenthaltsverbot ausgesprochen. Laut Polizei war der Mann am Montag nicht mehr zugegen.
Die vier wichtigsten Amtsträger in der Ulmer Region – Neu-Ulms Oberbürgermeisterin Katrin Albsteiger, Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch sowie die beiden Landräte Heiner Scheffold (Alb-Donau-Kreis) und Thorsten Freudenberger (Landkreis Neu-Ulm) – gaben in einem Aufruf, den mehrere namhafte Persönlichkeiten in einer Online-Petition unterstützen, zu verstehen: Die Initiatoren des Protests handeln im Verborgenen. Sprich: Es darf davon ausgegangen werden, dass jene, die bei den „Spaziergängen“die Richtung vorgeben, nicht die tatsächlichen Strippenzieher sind. Und vermutlich auch nicht die, welche die Behörden zur Verantwortung ziehen wollen. Die lassen sich womöglich nie auf einer solchen Veranstaltung blicken.
Doch wie können sie enttarnt werden? Wie weit reichen die Mittel der Behörden? Schließlich handelt es sich bei einem Verstoß gegen das Versammlungsgesetz nicht um ein Kapitalverbrechen. Laut Michael Bischofberger, Sprecher der Ulmer Staatsanwaltschaft, müssten entsprechende Maßnahmen natürlich „angemessen“sein. In einem „Spaziergänger“-Fall sei das Mobiltelefon des Verdächtigen beschlagnahmt worden.
Oberstaatsanwalt Bischofberger hofft auf schnelle Ermittlungsarbeit. Allerdings äußert er die Befürchtung, die Auswertung der Handydaten könnte mit Blick auf die Ressourcen der Polizei nicht die erforderliche Priorität erfahren. Zu niedrig sei der im Raum stehende Strafrahmen. Der sei vergleichbar mit einem Hausfriedensbruch. Eine zeitnahe Entscheidung in dem Fall aber könnte generalpräventiv „sehr hilfreich“sein.
Wenn es nach ihm ginge, könnten in einer konzertierten Aktion die Beschuldigten vernommen und die Vorfälle beschleunigt abgeschlossen werden, sodass künftige Veranstaltungen angemeldet und geordnet ablaufen könnten. „Ich fände es sehr misslich, wenn irgendwann mal einer beim Über-die-Straße-Fahren in den Versammlungszug hineinfährt“, so Bischofberger. Die Anmeldung einer Kundgebung führe ja nicht dazu, dass sie untersagt werde. Sie müsste sich lediglich an einen Spielplan und an Regeln halten. Und das, sagt er, bekämen auch Schülerinnen und Schüler der Bewegung von „Fridays for Future“hin.