Ulmer Gastronom soll Coronahilfe abgezweigt haben
Wegen weiterer Vorwürfe sitzt ein 49-Jähriger samt seiner mutmaßlichen Komplizin in Untersuchungshaft
ULM - Die Staatsanwaltschaft legt einem 49-jährigen Gastronomen aus Ulm und einer 25-jährigen Frau ein ganzes Bündel an Straftaten zur Last. Unter anderem sollen sie Sozialversicherungsabgaben nicht gezahlt und Insolvenzen verschleppt zu haben. Auch wird ihnen vorgeworfen, Geld aus dem Corona-Hilfsfonds zu Unrecht kassiert und auf eigene Konten umgeleitet zu haben. Zudem steht der Vorwurf der Urkundenfälschung in mehreren Fällen im Raum. Seit zehn Monaten sitzen die beiden Angeklagten in Untersuchungshaft.
Die Verlesung der Anklageschriften dauert über eine Stunde. Eine Anklage richtet sich ausschließlich an den Gastronomen, die zweite sowohl an ihn als auch an die 25-Jährige, die im fraglichen Zeitraum als seine rechte Hand agiert haben soll, so die Staatsanwältin. Der Gastronom habe über mehrere Monate hinweg Sozialversicherungsbeiträge seiner Angestellten nicht abgeführt, sagt die Staatsanwältin. Sie erklärt: „Er machte das mit Lohnsplitting.“Bedeutet: Der Mann soll den Sozialversicherungen einen deutlich niedrigeren Arbeitslohn seiner Angestellten gemeldet haben, als sie dann tatsächlich erhielten. Die Differenz zum eigentlichen Lohn soll er bar in Briefumschlägen gezahlt haben. So soll der Gastronom mindestens 27 000 Euro
an Sozialversicherungsabgaben „eingespart“haben.
Doch der „Sparkurs“konnte dem Gastronomieunternehmen offenbar nicht aus der wirtschaftlichen Schieflage befreien, in der es sich in der zweiten Hälfte des Jahres 2018 offenbar befand. Zahlungen an Gläubiger seien nicht erfolgt, sagt die Staatsanwältin. Und einen Tag, nachdem ein gerichtlicher Vergleich mit einer Gläubigerfirma erzielt war, meldete der Gastronom im November 2018 seine Firma mit Restaurant und Café aus dem Handelsregister ab. Die Staatsanwaltschaft bewertet das so: „Anstatt einen Insolvenzantrag zu stellen, entledigte sich der Angeklagte seiner Schulden.“
Denn bereits im Februar 2019 sei ein neues Unternehmen in der Ulmer Gastroszene aufgetaucht, das neue Gastronomiebetriebe eröffnete. Geschäftsführer auf dem Papier sei ein im europäischen Ausland wohnender Mann, so die Staatsanwältin, der aber nur als Strohmann gewertet wird. Denn eigentlich seien unternehmerische Entscheidungen weiter von dem angeklagten Gastronomen getroffen worden, seither unterstützt durch seine rechte Hand, die heute 25-Jährige.
Auch dieses Unternehmen sei spätestens im Oktober 2019 zahlungsunfähig gewesen, so die Staatsanwaltschaft. Das habe die Angeklagten aber keineswegs daran gehindert, bei der L-Band „Coronahilfe“zu beantragen. Die gab es aber nur für Unternehmen, die vor der Pandemie sauber gewirtschaftet hatten. Die Bücher der Firma der Angeklagten seien aber unrichtig und unvollständig geführt worden. Man habe die Unterschrift des eingetragenen Geschäftsführers, der vermutlich im europäischen Ausland lebt, gefälscht, um den Förderantrag zu unterschreiben. Außerdem seien Lohnzettel der Angestellten gefälscht oder zumindest „angepasst“worden.
Der Verteidiger des Mannes merkt später an, dass ja durchaus eine Vollmacht des Geschäftsführers vorliegen könnte, wodurch die Unterschriften gültig wären. Der Mann müsse als Zeuge gehört werden. Das sei möglich, entgegnet die Staatsanwältin. Nur leider sei keine ladungsfähige Adresse des Mannes zu ermitteln gewesen. Außerdem erhebt die Staatsanwaltschaft auch gegen ihn Vorwürfe.
Ein erster Antrag im Mai 2020 über 15 000 Euro Überbrückungshilfe des Gastrounternehmens ging bei der LBank auf jeden Fall durch. Das Geld landete aber auf keinem Firmenkonto, sondern auf einem anderen Konto, auf das die Angeklagten Zugriff hatten, nicht aber die Gerichtsvollzieher, die zu dieser Zeit bereits versuchten, die Ansprüche von Gläubigern aus dem Firmenvermögen zu befriedigen.
Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten außerdem vor, Kurzarbeitergeld beantragt und erhalten zu haben, obwohl die Beschäftigten gar nicht in 100 Prozent Kurzarbeit waren, sondern voll gearbeitet hatten. Zudem sollen sie viel höhere Bruttolöhne als die eigentlich gezahlten in ihren Anträgen gemeldet haben. Im Raum steht auch hier der Vorwurf, dass bei den Anträgen die Unterschrift des eingetragenen Geschäftsführers „nachgeahmt“wurde. Weitere Anschuldigungen mit Blick auf gefälschte Barauszahlungsquittungen zum Nachteil von ehemaligen Angestellten, die gerichtlich ausstehenden Lohn einklagen wollten, stehen ebenfalls im Raum. Das wertet die Staatsanwaltschaft als Prozessbetrug.
Der Verteidiger des Gastronomen bemängelt, dass die Angeklagten seit zehn Monaten in Untersuchungshaft sitzen, obwohl sie keine Vorstrafen haben und das bei einem maximalen Gesamtschaden von rund 250 000 Euro, würde man allen angeführten Punkten der Staatsanwaltschaft folgen. Das sei „sehr ungewöhnlich“. Außerdem seien 41 Seiten Ermittlungsakten der Verteidigung erst einen Tag vor Beginn der Hauptverhandlung zugegangen, sodass man keine Zeit gehabt habe, sich ordentlich einzulesen. Der Staatsanwaltschaft hätten die Akten seit Mitte Dezember vorgelegen. Die Angeklagten wollten sich am Dienstag zunächst weder zu den Vorwürfen noch zu ihren persönlichen Verhältnissen äußern. Das Verfahren wird fortgesetzt.