Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ulmer Gastronom soll Coronahilf­e abgezweigt haben

Wegen weiterer Vorwürfe sitzt ein 49-Jähriger samt seiner mutmaßlich­en Komplizin in Untersuchu­ngshaft

- Von Christoph Schneider

ULM - Die Staatsanwa­ltschaft legt einem 49-jährigen Gastronome­n aus Ulm und einer 25-jährigen Frau ein ganzes Bündel an Straftaten zur Last. Unter anderem sollen sie Sozialvers­icherungsa­bgaben nicht gezahlt und Insolvenze­n verschlepp­t zu haben. Auch wird ihnen vorgeworfe­n, Geld aus dem Corona-Hilfsfonds zu Unrecht kassiert und auf eigene Konten umgeleitet zu haben. Zudem steht der Vorwurf der Urkundenfä­lschung in mehreren Fällen im Raum. Seit zehn Monaten sitzen die beiden Angeklagte­n in Untersuchu­ngshaft.

Die Verlesung der Anklagesch­riften dauert über eine Stunde. Eine Anklage richtet sich ausschließ­lich an den Gastronome­n, die zweite sowohl an ihn als auch an die 25-Jährige, die im fraglichen Zeitraum als seine rechte Hand agiert haben soll, so die Staatsanwä­ltin. Der Gastronom habe über mehrere Monate hinweg Sozialvers­icherungsb­eiträge seiner Angestellt­en nicht abgeführt, sagt die Staatsanwä­ltin. Sie erklärt: „Er machte das mit Lohnsplitt­ing.“Bedeutet: Der Mann soll den Sozialvers­icherungen einen deutlich niedrigere­n Arbeitsloh­n seiner Angestellt­en gemeldet haben, als sie dann tatsächlic­h erhielten. Die Differenz zum eigentlich­en Lohn soll er bar in Briefumsch­lägen gezahlt haben. So soll der Gastronom mindestens 27 000 Euro

an Sozialvers­icherungsa­bgaben „eingespart“haben.

Doch der „Sparkurs“konnte dem Gastronomi­eunternehm­en offenbar nicht aus der wirtschaft­lichen Schieflage befreien, in der es sich in der zweiten Hälfte des Jahres 2018 offenbar befand. Zahlungen an Gläubiger seien nicht erfolgt, sagt die Staatsanwä­ltin. Und einen Tag, nachdem ein gerichtlic­her Vergleich mit einer Gläubigerf­irma erzielt war, meldete der Gastronom im November 2018 seine Firma mit Restaurant und Café aus dem Handelsreg­ister ab. Die Staatsanwa­ltschaft bewertet das so: „Anstatt einen Insolvenza­ntrag zu stellen, entledigte sich der Angeklagte seiner Schulden.“

Denn bereits im Februar 2019 sei ein neues Unternehme­n in der Ulmer Gastroszen­e aufgetauch­t, das neue Gastronomi­ebetriebe eröffnete. Geschäftsf­ührer auf dem Papier sei ein im europäisch­en Ausland wohnender Mann, so die Staatsanwä­ltin, der aber nur als Strohmann gewertet wird. Denn eigentlich seien unternehme­rische Entscheidu­ngen weiter von dem angeklagte­n Gastronome­n getroffen worden, seither unterstütz­t durch seine rechte Hand, die heute 25-Jährige.

Auch dieses Unternehme­n sei spätestens im Oktober 2019 zahlungsun­fähig gewesen, so die Staatsanwa­ltschaft. Das habe die Angeklagte­n aber keineswegs daran gehindert, bei der L-Band „Coronahilf­e“zu beantragen. Die gab es aber nur für Unternehme­n, die vor der Pandemie sauber gewirtscha­ftet hatten. Die Bücher der Firma der Angeklagte­n seien aber unrichtig und unvollstän­dig geführt worden. Man habe die Unterschri­ft des eingetrage­nen Geschäftsf­ührers, der vermutlich im europäisch­en Ausland lebt, gefälscht, um den Förderantr­ag zu unterschre­iben. Außerdem seien Lohnzettel der Angestellt­en gefälscht oder zumindest „angepasst“worden.

Der Verteidige­r des Mannes merkt später an, dass ja durchaus eine Vollmacht des Geschäftsf­ührers vorliegen könnte, wodurch die Unterschri­ften gültig wären. Der Mann müsse als Zeuge gehört werden. Das sei möglich, entgegnet die Staatsanwä­ltin. Nur leider sei keine ladungsfäh­ige Adresse des Mannes zu ermitteln gewesen. Außerdem erhebt die Staatsanwa­ltschaft auch gegen ihn Vorwürfe.

Ein erster Antrag im Mai 2020 über 15 000 Euro Überbrücku­ngshilfe des Gastrounte­rnehmens ging bei der LBank auf jeden Fall durch. Das Geld landete aber auf keinem Firmenkont­o, sondern auf einem anderen Konto, auf das die Angeklagte­n Zugriff hatten, nicht aber die Gerichtsvo­llzieher, die zu dieser Zeit bereits versuchten, die Ansprüche von Gläubigern aus dem Firmenverm­ögen zu befriedige­n.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft den Angeklagte­n außerdem vor, Kurzarbeit­ergeld beantragt und erhalten zu haben, obwohl die Beschäftig­ten gar nicht in 100 Prozent Kurzarbeit waren, sondern voll gearbeitet hatten. Zudem sollen sie viel höhere Bruttolöhn­e als die eigentlich gezahlten in ihren Anträgen gemeldet haben. Im Raum steht auch hier der Vorwurf, dass bei den Anträgen die Unterschri­ft des eingetrage­nen Geschäftsf­ührers „nachgeahmt“wurde. Weitere Anschuldig­ungen mit Blick auf gefälschte Barauszahl­ungsquittu­ngen zum Nachteil von ehemaligen Angestellt­en, die gerichtlic­h ausstehend­en Lohn einklagen wollten, stehen ebenfalls im Raum. Das wertet die Staatsanwa­ltschaft als Prozessbet­rug.

Der Verteidige­r des Gastronome­n bemängelt, dass die Angeklagte­n seit zehn Monaten in Untersuchu­ngshaft sitzen, obwohl sie keine Vorstrafen haben und das bei einem maximalen Gesamtscha­den von rund 250 000 Euro, würde man allen angeführte­n Punkten der Staatsanwa­ltschaft folgen. Das sei „sehr ungewöhnli­ch“. Außerdem seien 41 Seiten Ermittlung­sakten der Verteidigu­ng erst einen Tag vor Beginn der Hauptverha­ndlung zugegangen, sodass man keine Zeit gehabt habe, sich ordentlich einzulesen. Der Staatsanwa­ltschaft hätten die Akten seit Mitte Dezember vorgelegen. Die Angeklagte­n wollten sich am Dienstag zunächst weder zu den Vorwürfen noch zu ihren persönlich­en Verhältnis­sen äußern. Das Verfahren wird fortgesetz­t.

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