Säger verlieren Prozess gegen das Land
Stuttgarter Landgericht weist Klage auf Schadensersatz von 450 Millionen Euro ab
STUTTGART - Ein erster Erfolg für das Land Baden-Württemberg: Vorerst muss es keine knappe halbe Milliarde Euro Schadensersatz zahlen. Im Prozess um das sogenannte Rundholzkartell hat das Stuttgarter Landgericht am Donnerstag eine entsprechende Klage von Sägewerksbetreibern abgewiesen. Das war aber nur ein Akt im Drama um die Vermarktung von Holz. Was vorher geschah, wie das Gericht sein Urteil begründet und was nun geschieht:
Was war Hintergrund der Klage? Jahrzehntelang haben Förster des Landes nicht nur um den eigenen Staatswald gepflegt, der laut der Vorsitzenden Richterin Silvia Grube 24 Prozent der Waldfläche im Land ausmache. Die Landesforstverwaltung hat sich auf Wunsch von Kommunen oder Privatbesitzern auch um deren Wälder gekümmert, für verhältnismäßig geringe Entlohnung. Für die beiden Letzteren übernahm das Land auch die Vermarktung ihres Holzes. Das Kartellamt hatte diese Praxis, die als Rundholzkartell bekannt wurde, angeprangert. Das Land habe sich Vorteile gegenüber anderen Holzhändlern verschafft und gegen Wettbewerbsrecht verstoßen. Vor dem Bundesgerichtshof unterlagen die Kartellwächter dem Land – aber wegen eines Formfehlers. Richterin Grube betonte am Donnerstag, dass kein Gericht die Praxis des Landes bisher verurteilt habe: „Eine rechtskräftige Entscheidung, dass das rechtswidrig wäre, besteht nicht.“Das Land hat die Forstverwaltung inzwischen dennoch reformiert und die Praxis abgestellt.
Wer hat geklagt – und warum? Nach Ansicht von 36 Sägewerksbetreibern hatte das Land beim Verkauf von Holz praktisch ein Monopol. Deshalb hätten sie zwischen 1978 und 2016 überhöhte Preise für Holz bezahlen müssen. Statt einzeln zu klagen, haben sie ihre Ansprüche an eine GmbH abgetreten – an die Ausgleichsgesellschaft der Sägeindustrie. Diese ist ausschließlich für die Prozessführung gegründet worden. Heikel an diesem Konstrukt: Die Ausgleichsgesellschaft ist Teil eines börsennotierten US-Konzerns, der sich auf die Finanzierung von Prozessen spezialisiert hat. Inklusive Zinsen forderte sie vom Land rund 450 Millionen Euro Schadensersatz.
Was sagt das Gericht?
Kurz gesagt: Die Ausgleichsgesell– schaft durfte formal gar nicht im Namen der Säger klagen. Der Grund: Die Gesellschaft ist für die Säger als Inkassodienstleister tätig. Diese Befugnis hat sie unbestritten. Aber, so Richterin Grube: „Sie überschreitet diese, wenn sie, wie hier der Fall, im Bereich des Kartellrechts tätig wird.“Das verstoße gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz. Deshalb hätten die Säger ihre Ansprüche gar nicht an die Ausgleichsgesellschaft abtreten dürfen. Außerdem sprach die Richterin von Interessenskonflikten. Als Rechtsdienstleister müsse die Ausgleichsgesellschaft die Interessen der Säger bestmöglich vertreten. Als Tochtergesellschaft eines Prozessfinanzierungskonzerns sei sie zugleich aber dessen Weisungen unterworfen und zudem finanziell von ihm abhängig. Das zeige sich auch am Vergütungsmodell: Die Ausgleichsgesellschaft – damit die Anwälte und der Prozessfinanzierer
bekommen zunächst ihre eigenen Kosten in dreifacher Höhe erstattet, wenn das Land zahlen sollte. Erst der Rest werde zwischen Ausgleichsgesellschaft und Sägern aufgeteilt. Offen bleibt also weiterhin die Frage, ob das Land gegen Kartellrecht verstoßen hat. Inhaltlich hat sich das Gericht nicht geäußert.
Was sagt das Land? Forstminister Peter Hauk (CDU) äußert sich erfreut. „Das Land sieht sich durch die Entscheidung des Gerichts in seiner Position bestätigt, dass es keine Grundlage für die erhobenen Schadensersatzforderungen gibt“, sagt er. Erneut betont er, dass den Sägewerken kein Schaden durch den Rundholzverkauf entstanden sei – dafür seien während des Prozesses auch keine Beweise vorgelegt worden. Darauf pocht auch Harald Kahlenberg von der Kanzlei CMS Hasche Sigle. „Wir hatten 15 Verteidigungsstrategien“,
betont er nach der Urteilsverkündung. Ihrer ersten Strategie, wonach die Säger ihre Ansprüche gar nicht erst hätten abtreten dürfen, sei das Gericht nun gefolgt. „Uns freut das“, sagt Kahlenberg und spricht sich klar gegen die Art der Prozessfinanzierung von außen aus, wie sie in den USA Usus sei. „Die brauchen wir hier in Deutschland nicht.“Wenn die Anwälte nun die nächste Instanz anriefen, klinge das gut, weil sie sich für ihre Mandanten, die Säger, einsetzten. „Aber je mehr Kosten sie verursachen, desto mehr bekommen sie selbst“, moniert er.
Was sagen die Kläger?
„Die Argumentation eines Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz ist wenig überzeugend“, sagt Rüdiger Lahme, Anwalt der Kanzlei Quinn Emanuel, die im Namen der Ausgleichsgesellschaft die Säger vertritt. Der Bundesgerichtshof und das Oberlandesgericht Stuttgart hätten unlängst das sogenannte Massen-Inkasso für zulässig erklärt. Zudem habe der Bund in einer Reform des Rechtsdienstleistungsgesetzes klargestellt, dass die Bündelung von Ansprüchen gerade im Kartellrecht sinnvoll sei. „Ich habe den Eindruck, dass sich einige erstinstanzliche Gerichte umfangreicher Verfahren formal entledigen wollen, ohne sich inhaltlich mit der Sache befassen zu müssen“, erklärt er. „Das wird den Rechtssuchenden nicht gerecht.“
Wie geht es nun weiter?
Trotz des Zwischenerfolgs kann sich das Land noch nicht entspannt zurücklehnen. Zum einen können die Anwälte der Ausgleichsgesellschaft innerhalb eines Monats beim Oberlandesgericht Stuttgart Berufung gegen das Urteil einlegen. „Unsere Empfehlung wird klar sein, Berufung einzulegen“, sagt Anwalt Lahme. Entscheiden müssen aber zunächst die Säger. Ähnliche Verfahren zu vergleichbaren Praktiken gibt es zudem gegen die Länder Hessen, Thüringen, Rheinland Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Auch dort hatte der Prozessfinanzierer Ausgleichsgesellschaften für die Sägeindustrie gegründet. Zum anderen gibt es noch eine weitere Klage zum selben Thema, wenn auch mit deutlich niedrigerem Streitwert. 58 Sägewerke haben sich zu einer Streitgenossenschaft zusammengeschlossen und fordern vom Land 83 Millionen Euro Schadensersatz. Dieses Verfahren stecke aber noch in einem deutlich früheren Stadium, erklärt eine Sprecherin des Stuttgarter Landgerichts.