Schwaebische Zeitung (Ehingen)
Eine bessere letzte Reise
EU-Parlament will Schutz von Tieren bei Transporten stärken – Südwest-Bauernverband fordert einheitliche Regeln
STRASSBURG/RAVENSBURG (dpa/ sz) - Eingequetschte Puten, hungernde Kälber, verletzte Hühner: Was manchen Tieren auf ihrer letzten Reise zur Schlachtung durch halb Europa widerfährt, verstößt oft deutlich gegen den Tierschutz. Die Missstände sind bekannt, Tierschützer beklagen den Zustand schon lange – geändert hat sich an den Tiertransporten in Europa bislang aber wenig. Das EU-Parlament versucht nun die Transportbedingungen für die Tiere zu verbessern.
Am Donnerstag verabschiedeten die Abgeordneten im Europaparlament den Bericht eines Untersuchungsausschusses, der gravierende Mängel bei der Umsetzung der bislang geltenden Regeln für den Tiertransport feststellt. Denn obwohl in der EU international die höchsten Standards gelten, hat es an der Umsetzung bislang gewaltig gehapert. Hunger, Hitze, Enge, Verletzungen – die letzte Reise der Tiere ist häufig qualvoll.
Iris Baumgärtner, Vize-Vorstand der Tierschutzorganisation Animal Welfare Foundation, ist den Tiertransporten regelmäßig zur Beobachtung hinterhergefahren. „Hühner oder Puten sitzen in den Lkws stundenlang in kleinen Containern oder Käfigen, in denen sie nicht einmal aufrecht stehen können“, sagt sie. Viele klemmten sich die Füße oder die Flügel ein. „Man sieht immer wieder tote oder verletzte Tiere dazwischen.“
Bei Transporten von Rindern seien besonders die teils langen Stopps an den Außengrenzen problematisch, oft in sengender Hitze. „Die Tiere stehen in ihren Exkrementen“, sagt Baumgärtner. Und junge Kälber, die noch auf Milch angewiesen sind, hungern auf längeren Fahrten, weil sie seit Stunden keine Nahrung bekommen haben, so Baumgärtner.
Potentiell ist eine riesige Zahl an Tieren von diesen Zuständen betroffen. Mehr als 1,6 Milliarden lebende Tiere wurden 2019 laut EU-Parlament innerhalb der EU und aus der EU hinaus transportiert. Der Wert des Handels mit lebenden Tieren innerhalb der EU belief sich 2018 laut EU-Parlament auf 8,6 Milliarden Euro.
Doch warum werden eigentlich so viele Tiere ins Ausland transportiert – auch aus Baden-Württemberg? „Das liegt vor allem daran, wie sich die Wertschöpfungsketten in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt haben“, sagt Horst Wenk, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Landesbauernverbandes BadenWürttemberg.
Damit eine Kuh beispielsweise Milch gibt, muss diese jährlich ein Kalb zur Welt bringen. Die allermeisten Milchbauern ziehen allerdings nur die weibliche Tiere auf, denn sie sind später der Nachwuchs für den Stall. Die männlichen Kälber werden nicht benötigt. Sie sind für die Landwirte wertlos.
„Etwa zwei Drittel der männlichen Kälber aus Baden-Württemberg werden deswegen ins Ausland exportiert“, erklärt Wenk. Die meisten nach Spanien oder in die Niederlande, wo es eine Nachfrage nach den Tieren gibt. „Hier in BadenWürttemberg gibt es keinen Markt, der die Kälberaufzucht honoriert“, so Wenk. Kalbfleisch ist bei den Verbrauchern nicht unbedingt beliebt. Die Alternativen – beispielsweise das Schweineschnitzel – sind deutlich billiger.
Und so lange es keinen Markt für regionales Kalbsfleisch gebe, bleibe den Landwirten aus wirtschaftlicher Sicht nichts anderes übrig, als die Tiere ins Ausland zu verkaufen, so Wenk. Denn auf dem eigenen Hof brauchen die Kälber Platz, Futter, Pflege und ärztliche Betreuung. Das alles kostet. „Da würden die Betriebe massive Verluste machen, und am Ende hätten sie die Tiere dann wohl trotzdem nicht losbekommen“, erklärt Wenk. Zwar gibt es auch andere lebende Tierarten, die aus dem Südwesten exportiert werden, aber am stärksten betroffen sind in BadenWürttemberg mit Abstand die Kälber, sagt Wenk. „Bei anderen Tierarten haben wir bei Weitem nicht diese Problematik.“
Innerhalb der EU hat sich unter anderem Baden-Württemberg zwar bereits selbst zu Regelungen für Tiertransporte verpflichtet: Seit 2018 transportiert das Bundesland keine Schlachttiere mehr in Länder außerhalb der Europäischen Union. Innerhalb der EU muss der Transport lebender Tiere bestimmte Bedingungen erfüllen, wie spezielle Fahrzeiten und geeignete Fahrzeuge. Doch das in allen Ländern zu kontrollieren, daran ist man in der EU eben bislang gescheitert.
Den Bericht des EU-Parlaments mit verbesserten Standards für Tiertransporte, hält Horst Wenk grundsätzlich für richtig. Aber aus Sicht des Verbandes könnten auch neue Probleme daraus resultieren. „Mehr Tierschutz ist immer gut, aber am Ende müssen die Landwirte auch etwas dafür bekommen“, erklärt Horst Wenk. Er befürchtet, dass durch erschwerte Transportbedingungen die Kälber dann vielleicht in der Heimat bleiben müssen und die Landwirte mit dem Problem allein gelassen werden.
Insgesamt sei es aber gut, wenn innerhalb der EU einheitliche Regelungen gelten. „Bislang hatten wir hier die strengsten Tierschutzauflagen, die natürlich auch kosten. Das ist ja in Ordnung, aber wenn andere EU-Staaten diese Auflagen nicht haben, dann führt das zu Wettbewerbsverzerrung“, erklärt Wenk.
Zumindest bei Tiertransporten sollen die eigentlich einheitlichen Tierschutzbestimmungen nun besser umgesetzt werden. In dem verabschiedeten Bericht des EU-Parlaments werden nun Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedsstaaten gefordert, die die Probleme beim Transport nicht beheben. Außerdem soll es Transportverbote bei Extremtemperaturen geben und Fahrer sollen zudem verpflichtet werden, sofort einen Tierarzt zu alarmieren, wenn Tiere beim Transport verletzt werden. Außerdem schlagen die Abgeordneten Überwachungskameras für Lastwagen vor und ein Verbot von Transporten sehr junger Kälber, allerdings mit Ausnahmen.
Ein Transportverbot für Jungtiere aller Arten unter fünf Wochen, so wie es der Untersuchungsausschuss vorgeschlagen hatte, konnte sich nicht gegen den Widerstand der Konservativen sowie vieler Sozialdemokraten und Liberaler durchsetzen. Ebenfalls wurde die Forderung gestrichen, für alle Tierarten jeweils eine Höchstdauer für Transporte festzulegen, was von Tierschützern als besonders wichtig erachtet worden war.
Trotzdem will das Parlament mit dem Bericht nun Druck auf die EUKommission ausüben. Denn die Kommission kann die Regeln letztlich nachbessern und so für bessere Kontrollen bei den Tiertransporten sorgen.