Stimmung in der Ernährungsbranche gedrückt
Bauern und Verarbeiter leiden unter Preissteigerungen – Regierungspläne zum Umbau der Landwirtschaft sehen sie skeptisch
BERLIN - Im Ton moderat, in der Aussage deutlich. So fällt die Bewertung der Regierungspläne zum Umbau der Landwirtschaft durch die Ernährungsindustrie und den Bauernverband (DBV) aus. Ohne staatliche Förderung, so meinen beide Spitzenverbände, sei die Transformation zu einer klimaschonenden Wirtschaftsweise und mehr Tierwohl nicht zu meistern. Allein den Förderbedarf für den Umbau der Ställe beziffert DBV-Chef Joachim Rukwied auf vier Milliarden Euro jährlich. Und der Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie (BVE), Christoph Minhoff, rechnet mit einem zweistelligen Milliardenbetrag für die Umstellung der Betriebe.
Die Agrarmesse Grüne Woche in Berlin fällt wegen der Corona-Krise in diesem Januar zwar aus. Ihre Vertreter nutzen den Termin dennoch, um die Lage zu beschreiben und Forderungen an die neue Bundesregierung zu stellen.
Aufgrund der finanziell absehbaren Belastungen blickt die Branche skeptisch auf die künftige Entwicklung. Doch auch ohne die angekündigte Agrarwende plagen Bauern und Industrie Sorgen. Mit 610 000 Beschäftigten sind die Lebensmittelhersteller der viertgrößte Industriezweig.
Die Unternehmen leiden einerseits unter der Pandemie. Denn der Außer-Haus-Verkauf von Speisen ist rückläufig und die Verbraucher halten sich bei Konsumausgaben zurück. So gingen die Umsätze im vergangenen Jahr um 1,1 Prozent auf 182 Milliarden Euro zurück.
Schwerer wiegen die Preissteigerungen für Rohstoffe und Energie. „Wir haben eine ernsthafte Rohstoffund Lieferkettenkrise“, erläutert Minhoff. Die Rohstoffe für Tiefkühlpizzen oder Tütensuppen haben sich 2021 um 31 Prozent verteuert. Der Energiepreis hat sich verdoppelt, die Frachtkosten bei Containern vervierfacht. Auch auf den zusätzlichen Kosten bleibt mehr als ein Drittel der Unternehmen sitzen, weil sie die höheren Kosten nicht an ihre Kunden weitergeben können. Entsprechend düster ist die Erwartung an das laufende Jahr. Die Mehrheit der Hersteller erwartet ein stagnierendes Ergebnis. Die BVE warnt vor überzogenen Vorgaben der Politik. „Lebensmittel müssen bezahlbar bleiben“, sagt Minhoff.
Die von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir angekündigten gesetzlichen Vorgaben zum Gehalt von Salz, Zucker oder Fetten in den Fertigwaren lehnt Minhoff indirekt ab. Es gebe eine erfolgreiche Reduktionsstrategie. Sie sei mit der bisherigen Bundesregierung vereinbart worden. „Wir sind uns nicht sicher, ob hier pacta sunt servanda gilt“, kritisiert der BVE-Chef. Anders gesagt, die Bundesregierung soll sich an diese geschlossene Vereinbarung halten.
Die Unsicherheit über die konkreten Vorgaben der Ampelkoalition belastet vor allem die Landwirte. „Wir befinden uns in einem Blindflug“, klagt Rukwied. Die Landwirte bräuchten ein klares Signal, wohin die Reise geht. Derweil sei die wirtschaftliche Lage der Bauern mies, bei den Schweinehaltern sogar „desaströs“, wie der Bauernpräsident sagt. Nur bei Milchbauern, Hofläden und der Erzeugern regionaler Nahrungsmittel sieht es besser aus. Unsicherheit gibt es bei den Investitionen ins Tierwohl oder der Verwendung von Düngemitteln. Eine Lösung soll eine stärkere Digitalisierung der Landwirtschaft sein, die beispielsweise für eine effizientere Düngung sorgen könnte. „Wir brauchen 5G an jedem Milchtank und jedem Feld“, fordert Rukwied.