Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Spaziergän­ge“unter die Lupe genommen

Welcher Aufwand für die Polizei damit verbunden ist und wer mitläuft

- Von Selina Ehrenfeld und Gerd Mägerle

REGION - Seit einigen Wochen wird in der Region zu sogenannte­n „Spaziergän­gen“aufgerufen. In den meisten Städten wird das Ganze auch von Polizeikrä­ften begleitet. Während die Beamten in Städten wie Ehingen oder Laupheim bisher mit relativ geringer Besetzung auskommen, erfordern die Versammlun­gen in Biberach oder auch Ulm ein zum Teil großes Polizeiauf­gebot – vor allem, weil sich seit Kurzem auch Gegendemon­stranten treffen und die Stimmung durch die zwei Lager vor Ort aufgeheizt sein könnte. Doch wer läuft bei den „Spaziergän­gen“überhaupt mit und wie geht die Polizei mit solchen Spaziergän­gen um? Ein Überblick.

In welchen Städten finden in der Region inzwischen „Spaziergän­ge“statt und wo braucht es Polizeiprä­senz?

Seit Mitte Dezember registrier­t das Polizeiprä­sidium Ulm derartige nicht angemeldet­e Versammlun­gen im Alb-Donau-Kreis, in Ulm sowie im Landkreis Biberach. Laut Präsidium wurden die ersten „Spaziergän­ge“im Landkreis Göppingen vor Weihnachte­n dokumentie­rt. „Aufgabe der Polizei ist es, die Versammlun­gsteilnehm­er zu schützen. Dort, wo nach eigener Beurteilun­g der Lage eher damit zu rechnen ist, dass es unfriedlic­h verläuft, werden wir natürlich mit einem angepasste­n Kräfteaufg­ebot vor Ort sein“, erläutert Claudia Kappeler, Sprecherin des Polizeiprä­sidiums Ulm, das auch für den Alb-Donau-Kreis und den Landkreis Biberach zuständig ist. Das sei vor allem dort notwendig, wo Versammlun­gsteilnehm­er aufeinande­rtreffen, die verschiede­ne Ansichten vertreten. Aber auch in Ehingen, wo derzeit noch keine Gegendemon­strationen stattfinde­n, hat die Polizei ein Auge auf die „Spaziergän­ger“.

Wie viele Menschen nehmen an den Versammlun­gen teil?

Die Zahlen schwanken teilweise extrem, wenn es um die Teilnehmer der „Spaziergän­ge“geht. Selbst für die gleiche Versammlun­g gibt es in verschiede­nen Zeitungen unterschie­dlichste Angaben. Das hängt zum einen damit zusammen, dass Journalist­en vor Ort nicht immer genau abzählen können, wie viele Menschen bei dem „Spaziergan­g“mitmachen, wenn sich die Menschenme­nge bewegt. Zum anderen liegt es daran, dass die Polizei, die für künftige Einsätze grob die Teilnehmer vor Ort zählt, keine Angaben machen möchte. „Die Zahlen variieren, wobei zu verzeichne­n ist, dass je größer die Gemeinde, desto größer ist auch die Teilnehmer­zahl“, heißt es vonseiten der Polizei. Laut Innenminis­terium des Landes sei seit Dezember ein deutlicher Anstieg bei der Anzahl der Teilnehmen­den festzustel­len. Allein am vergangene­n Wochenende sowie am anschließe­nden Montag begleitete die Polizei laut Innenminis­terium landesweit insgesamt 370 Versammlun­gen mit mehr als 88 000 Teilnehmen­den.

Wer läuft bei den „Spaziergän­gen“mit?

Die Menschen in eine Ecke zu stecken oder einer bestimmten Gruppe zuzuordnen, ist nicht möglich, denn das Teilnehmer­spektrum ist äußerst heterogen. Es reicht von Personen mit einer relativ sachlich-kritischen sowie ablehnende­n Haltung gegenüber den staatliche­n Corona-Maßnahmen bis hin zu Rechtsextr­emisten, „Reichsbürg­ern“und „Selbstverw­altern“. So ordnet auch das Innenminis­terium die Lage im Land ein.

Und wie sieht es bei den „Spaziergän­gen“in der Region aus?

Im Gespräch mit einzelnen Teilnehmer­n etwa in Ulm, Ehingen oder Biberach kommen die unterschie­dlichsten Antworten auf die Frage, warum sie regelmäßig auf die Straße gehen. Meist geht es um Kritik an den Corona-Maßnahmen aber auch Sorgen um die psychische Verfassung ihre Kinder nach Monaten des Lockdowns und Isolation, Vorbehalte gegenüber der Corona-Impfung sowie der Protest gegen einen geplanten Impfzwang treiben die Menschen auf die Straße. Zwar sind unter den Teilnehmer­n auch die ein oder anderen Theorien zur Pandemie und

Covid zu hören, doch rechtsradi­kale Symbole oder Parolen sind im Landkreis Biberach sowie dem Alb-Donau-Kreis nicht zu hören und sehen. Sie fühle sich persönlich angegriffe­n und beleidigt, wenn Gegendemon­stanten die „Spaziergän­ger“pauschal als „Neonazis“bezeichnet­en, sagte zum Beispiel diese Woche eine Mutter, die am jüngsten „Spaziergan­g“in Biberach teilgenomm­en hatte, in einem Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Im Einzelfall sei laut Polizeiprä­sidium Ulm festzustel­len, dass der eine oder andere seine Meinung bei den Versammlun­gen vehement vertrete. Im Großen und Ganzen verliefen die Versammlun­gen aber friedlich, so Claudia Kappeler. Dass in Städten wie Ulm, Biberach, Ehingen, Riedlingen oder Laupheim Reichsbürg­er oder Rechtsextr­eme unter den Teilnehmer­n vertreten sind, bestätigt die Polizei auf Anfrage nicht. „Das ist eher weniger der Fall. Wir haben es hier zumeist mit bürgerlich­em Klientel zu tun“, sagt die Polizeispr­echerin. In Biberach beispielsw­eise waren unter den knapp 400 Teilnehmen­den zuletzt Menschen aller Altersgrup­pen zu sehen. Gleiches in Ulm, mit aktuell 3000 bis 5000 Teilnehmen­den.

Wie geht die Polizei bei den „Spaziergän­gen“vor, vor allem im Zusammenha­ng mit Gegendemon­stranten?

Aufgabe der Polizei ist es laut Sprecherin Claudia Kappeler, alle Versammlun­gsteilnehm­er zu schützen und für einen friedliche­n Verlauf der Versammlun­g zu sorgen. „Dafür muss die Polizei mit einem angemessen­en Kräfteaufg­ebot kommen. Die Polizeiprä­sidien unterstütz­en sich dabei gegenseiti­g“, so Kappeler. Bei den „Spaziergän­gen“versuchten die

Beamten ausfindig zu machen, wer als Versammlun­gsleiter dieser zumeist nicht angemeldet­en Versammlun­gen fungiert. „Auf denjenigen kommt dann auch eine Strafanzei­ge wegen Verstoß gegen das Versammlun­gsgesetz zu“, so Kappeler.

Was für ein Kraftakt stellen die Einsätze bei den wöchentlic­h an vielen Orten stattfinde­nden „Spaziergän­gen“für die Polizei dar?

Teils bis zu 300 Versammlun­gen landesweit an einem Tag stellen eine große Belastung für die Polizei dar, welche jedoch gut darauf vorbereite­t ist, betont ein Sprecher des Innenminis­teriums Baden-Württember­g. Der Kraftakt gelinge auch deshalb, da Einsatzmaß­nahmen im Zusammenha­ng mit Fußballspi­elen, größeren Veranstalt­ungen und Festivität­en aufgrund der Pandemie deutlich zurückgega­ngen sind. Außerdem betont der Sprecher des Ministeriu­ms: „Trotz fortwähren­der Herausford­erungen im Zusammenha­ng mit der Pandemie konnte die Einsatzfäh­igkeit bislang zu jeder Zeit gewährleis­tet werden.“

Ab wann muss die Polizei mit Pfefferspr­ay und Schlagstoc­k eingreifen?

Von „Spaziergän­gen“in größeren Städten wie München etwa oder auch Ravensburg ist immer wieder zu hören, dass die Beamten dort mit harten Maßnahmen gegen aggressive Versammlun­gsteilnehm­er vorgehen müssen. „Jeder hat das Recht, friedlich an einer Versammlun­g teilzunehm­en. Kommt es jedoch zu Gewalttäti­gkeiten, zeigt die Polizei die rote Karte. Wie das aussieht, muss der Beamte vor Ort entscheide­n“, erklärt Claudia Kappeler vom Polizeiprä­sidium Ulm.

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FOTOS: RAU/TG/KAYA Die Gegendemon­stranten beschimpfe­n die „Spaziergän­ger“mancherort­s nicht nur als „Schwurbler“oder „Querdenker“, sondern auch auch „Nazis“. Doch sind wirklich rechtsextr­eme Teilnehmer unter den „Spaziergän­gen“in der Region? Die Polizei und das Innenminis­terium ordnen die Lage ein.
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