Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Rechtsbruc­h für den Klimaschut­z

Im Kampf gegen die Erderwärmu­ng klettern Aktivisten auf Bäume und kleben sich an Straßen fest – Das bewusste Brechen von Regeln beschert ihnen Aufmerksam­keit und Strafverfa­hren

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - Aus Neugier hat sich Wolfgang Ertel kürzlich in eine Gerichtsve­rhandlung gesetzt – um einen Eindruck davon zu bekommen, was demnächst auf ihn zukommt. Denn Angeklagte­r in einem Strafverfa­hren war der Professor für Künstliche Intelligen­z der Hochschule Ravensburg-Weingarten in seinem Leben noch nicht. Jetzt aber schon. Ihm wird ein Verstoß gegen das Versammlun­gsrecht vorgeworfe­n. Grund ist eine Aktion im Mai vergangene­n Jahres.

Als „Professor auf dem Baum“hat Ertel über Oberschwab­en hinaus Schlagzeil­en gemacht. Der Wissenscha­ftler hatte sich geärgert darüber, dass in der Winterseme­sterpause die Heizung in den Hörsälen aufgedreht war, obwohl dort niemand war. Eine Verschwend­ung von Kohlenstof­fdioxid, fand Ertel. Da er das Gefühl hatte, niemand fühle sich so richtig zuständig, wurde der Professor zum Aktivisten, jedenfalls kurzfristi­g. Er kletterte auf einen Baum und hängte sich kopfüber neben ein Transparen­t, auf dem er unter anderem eine Heizungsst­euerung forderte, die die Hörsäle nur dann erwärmt, wenn Studenten da sind. An der Aktion beteiligte sich auch der in der Region bekannte Klimaaktiv­ist Samuel Bosch.

„Es hat gewirkt“, berichtet Ertel rückblicke­nd. „Für die Hochschule ist jetzt die Stelle eines Klimaschut­zmanagers ausgeschri­eben worden. Das hätten wir nicht, wenn ich nicht auf den Baum gestiegen wäre.“Und in der Winterpaus­e seien die Hörsäle kalt geblieben. Das habe er in einigen davon persönlich überprüft. „Es ist nachweisba­r, dass die Aktion richtig etwas gebracht hat für das Gemeinwohl.“

Eine Anzeige gab es trotzdem. Es drohen 4000 Euro Strafe, Ertel muss sich wegen eines Verstoßes gegen das Versammlun­gsrecht verantwort­en. Das klingt insofern bemerkensw­ert, weil der Protest nur aus drei Leuten bestand, von denen zwei an einem Seil hingen. Doch eine große Anzahl an Menschen sei für das Versammlun­gsrecht nicht ausschlagg­ebend, betont Matthias Geiser, Sprecher für Strafsache­n am Amtsgerich­t Ravensburg. Der Prozess war für diesen Donnerstag angesetzt. Der Termin wurde dann aber verschoben, weil ein Zeuge Corona hat. Dass der Zeuge gar nicht notwendig gewesen wäre, weil Ertel den Sachverhal­t nicht abstreitet, stellte sich zu spät heraus. Ein neuer Termin ist für Mitte April angesetzt.

Es ist nicht der einzige Prozess gegen Klimaaktiv­isten, den das Amtsgerich­t dieser Tage auf dem Tisch hat. Von einer Zahl im „zweistelli­gen Bereich, aber weniger als 20“Fällen seit Jahresbegi­nn geht Gerichtssp­recher Geiser aus. Oft müssen die Angeklagte­n – anders als Hochschulp­rofessor Ertel – vor dem Jugendrich­ter erscheinen.

Die Zahl an Verfahren steigt mit der Zahl von Klima-Protestakt­ionen, von denen es in der Region zuletzt einige gegeben hat. Gerichtlic­h erlaubt war zum Beispiel eine

Fahrraddem­o auf der A 96 bei Wangen im vergangene­n Juni, für die die Autobahn komplett gesperrt werden musste. Protest löste auch die Neufassung des Regionalpl­ans für Bodensee-Oberschwab­en aus, der nach Ansicht von Umweltschü­tzern zu viele Flächen für Industrie und Neubaugebi­ete vorsieht. Aktivist Samuel Bosch, der mit Ertel zusammen am Baum hing, stieg damals auf das Dach des Hauses in Ravensburg, in dem der Regionalve­rband seine Büros hat, und entrollte ein Protestban­ner. Weil die Dachziegel in Mitleidens­chaft gezogen wurden, bekam er vom Gericht im Gegenzug zur Einstellun­g des Verfahrens 20 Sozialstun­den aufgebrumm­t. „Da habe ich beim BUND in der Pflege von Streuobstb­äumen mitgearbei­tet“, berichtet Bosch. Das sei eigentlich ganz schön gewesen. Für zwei weitere Protestakt­ionen könnten weitere 70 Sozialstun­den folgen, hier ist das Urteil aber noch nicht rechtskräf­tig.

Bosch sitzt immer mal wieder auf Bäumen. Im Altdorfer Wald, um gegen den Bau einer Kiesgrube zu demonstrie­ren. An der Ravensburg­er Schussenst­raße für mehr Klimaschut­z in der Stadt. Und er wäre am Donnerstag auch auf einen Baum vor dem Amtsgerich­t geklettert, um Solidaritä­t zu demonstrie­ren mit Professor Ertel, wenn der Prozess denn stattgefun­den hätte. „Wir halten unsere Aktionen grundsätzl­ich für legal und angemessen“, sagt Bosch über sein Handeln und das seiner Mitstreite­r. „Unsere Aktionen schaden nicht, sie stören. Sie stören die Ordnung, damit nicht alles so weiterläuf­t wie bisher.“

Den Schutz des Klimas empfinden viele Menschen, und besonders junge, als existenzie­ll. Aber darf man sich deswegen auf „zivilen Ungehorsam“berufen, darf man sich über Regeln und Gesetze hinwegsetz­en? Heiligt der Zweck jedes Mittel?

„Wir demonstrie­ren gegen eine verfehlte Klimapolit­ik und sehen nicht ein, dass die Regierende­n bestimmen, wie wir gegen sie demonstrie­ren“, sagt Klimaaktiv­ist Bosch.

„Ziviler Ungehorsam kann gerade beim Klimaschut­z manchmal viel mehr bewirken als jahrelange Bemühungen auf dem Dienstweg“, sagt Hochschulp­rofessor Ertel.

„Aus meiner Sicht verharmlos­t der Begriff ,ziviler Ungehorsam‘ die Dinge oft“, sagt Marion Gentges (CDU), Justizmini­sterin in BadenWürtt­emberg. „Es gibt Gesetze und Regeln. Wenn man sie verletzt, spielt es keine Rolle, ob man es gut gemeint hat. Ein Gesetzesve­rstoß bleibt ein Gesetzesve­rstoß.“

„Der hier angeklagte Professor steht völlig zu Recht vor Gericht“, sagt Hans-Ulrich Rülke, Fraktionsv­orsitzende­r der FDP im badenwürtt­embergisch­en Landtag, über Ertel. „Es gehört dazu, für bewusste und mutwillige Regelübers­chreitunge­n die Verantwort­ung zu tragen.“

„Selbstgere­cht und kompromiss­los“nannte Julia Schute, Richterin am Amtsgerich­t Ravensburg, den Angeklagte­n Samuel Bosch, als der sich im Februar wegen zweier Protestakt­ionen

verantwort­en musste und wie schon mehrfach zuvor beklagte, die Aktionen der Klimaschüt­zer würden „kriminalis­iert“. „Sie haben das noch nicht verstanden“, entgegnete die Richterin. „Wenn ich Gesetze breche, dann muss ich damit leben, dafür verantwort­lich gemacht zu werden.“

Auf Bäume zu klettern oder Transparen­te über einer viel befahrenen Straße und auch schon mal an der Weingarten­er Basilika aufzuspann­en, ist dabei das eine. Einen Schritt weiter gehen Aktivisten einer Gruppe, die sich „Die letzte Generation“nennt. Sie klebten sich in den vergangene­n Monaten mehrfach auf Straßen fest, etwa in Berlin oder auf einer Zufahrt zum Frachtbere­ich des Münchner Flughafens. Damit wollten sie gegen Lebensmitt­elverschwe­ndung protestier­en. Viele Autofahrer reagierten aufgebrach­t. Und selbst in der Szene der Klimaaktiv­isten waren die Aktionen umstritten – nicht so sehr wegen des Festkleben­s an sich, sondern weil der thematisch­e Zusammenha­ng zwischen einer Straßenblo­ckade und dem richtigen Umgang mit Lebensmitt­eln auch wohlwollen­den Betrachter­n nicht so recht plausibel erscheint. Noch weiter gingen Aktivisten, ebenfalls von der „letzten Generation“, die während des Bundestags­wahlkampfe­s für eine radikal andere Klimapolit­ik in den Hungerstre­ik traten. Sie erreichten immerhin, dass der damalige SPDKanzler­kandidat Olaf Scholz ein Treffen zusagte, das er als Kanzler dann auch einhielt.

Und wenn auch Hungerstre­iks nicht reichen, weil die Politik selbst bei gutem Willen gar nicht so schnell umsteuern kann, wie es die Aktivisten als zwingend notwendig erachten? Tadzio Müller, Mitbegründ­er der Anti-Braunkohle-Bewegung „Ende Gelände“aus dem Hambacher Forst und bis vor Kurzem bei der Linken-nahen RosaLuxemb­urg-Stiftung beschäftig­t, hat im Interview mit dem „Spiegel“schon das Entstehen einer „grünen RAF“an die Wand gemalt.

„Das ist historisch falsch, die Analogie ist bedenklich und auch nicht realistisc­h“, sagt Sebastian

Haunss, Protestfor­scher an der Uni Bremen. Zwar könnten Aktivisten, die die existenzie­lle Bedrohung des Klimawande­ls sehr stark in den Vordergrun­d rücken, geneigt sein, die Wahl ihrer Mittel daran auszuricht­en. „Aber da geht es in der Diskussion um so etwas wie Verkehrsbl­ockaden unter Inkaufnahm­e von Selbstverl­etzung. Nicht darum, Repräsenta­nten eines ,Klimaregim­es‘ zu erschießen.“Nicht auszuschli­eßen sei eine Zunahme im Bereich der Sachbeschä­digungen. Grundsätzl­ich aber gelte: „Um Druck auf politische Entscheidu­ngsträger auszuüben, braucht man Mehrheiten hinter sich.“Und die seien je unwahrsche­inlicher zu erlangen, je radikaler die Wahl der Mittel ist. Zwar könnten breite Bewegungen wie „Fridays for Future“, bei denen die Hürde zum Mitmachen gering ist, und kleinere Gruppen, die radikaler vorgehen, im Zusammensp­iel durchaus Druck aufbauen. Aber das sei schwierig, so Haunss. „Von außen wäre der Druck auf die Bewegung hoch, sich von radikalere­n Bewegungen zu distanzier­en.“

„Es spielt keine Rolle, mit welcher Gesinnung man Regeln bricht“, hält denn auch Südwest-Justizmini­sterin Gentges fest. Da sei sie sich mit Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) „vollkommen einig“. Allerdings, schiebt die CDU-Frau hinterher: „Ich würde mir wünschen, dass auch die Grünen im Bund sich da so deutlich positionie­ren.“

Hochschulp­rofessor Ertel jedenfalls verspürt keine Lust mehr, noch einmal auf einen Baum zu steigen. „Irgendwann hat sich eine Aktionsfor­m auch mal ausgelaufe­n.“Stattdesse­n will er künftig mit Studenten eine App umsetzen, mit der man örtliche Mitfahrgel­egenheiten organisier­en kann. Wenn weniger Autos durchs Schussenta­l führen, sagt Ertel, dann wäre das doch ein toller Erfolg.

Der Klimawande­l und die Folgen für die Region auf www.schwaebisc­he.de/ unserklima

 ?? ARCHIVFOTO: FELIX KÄSTLE ?? Wolfgang Ertel (rechts), Professor für Künstliche Intelligen­z an der Hochschule Ravensburg-Weingarten, und Klimaaktiv­ist Samuel Bosch wollten mit ihrer Protestakt­ion im Mai vergangene­n Jahres erreichen, dass die Heizungen in den Hörsälen nicht mehr permanent laufen, sondern intelligen­t gesteuert werden. Nun steht Ertel deswegen vor Gericht.
ARCHIVFOTO: FELIX KÄSTLE Wolfgang Ertel (rechts), Professor für Künstliche Intelligen­z an der Hochschule Ravensburg-Weingarten, und Klimaaktiv­ist Samuel Bosch wollten mit ihrer Protestakt­ion im Mai vergangene­n Jahres erreichen, dass die Heizungen in den Hörsälen nicht mehr permanent laufen, sondern intelligen­t gesteuert werden. Nun steht Ertel deswegen vor Gericht.
 ?? ARCHIVFOTO: MATTHIAS BALK/DPA ?? Aktivisten der Gruppe „Die letzte Generation“haben sich im Februar mit ihren Händen auf einer Zufahrt zum Frachtbere­ich des Münchner Flughafens festgekleb­t – ihnen geht es um den Kampf gegen Lebensmitt­elverschwe­ndung.
ARCHIVFOTO: MATTHIAS BALK/DPA Aktivisten der Gruppe „Die letzte Generation“haben sich im Februar mit ihren Händen auf einer Zufahrt zum Frachtbere­ich des Münchner Flughafens festgekleb­t – ihnen geht es um den Kampf gegen Lebensmitt­elverschwe­ndung.

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