Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der lange Weg zum E-Rezept

Eigentlich sollte es digitale Verschreib­ungen schon seit Jahren geben – Tatsächlic­h passiert ist wenig

- Von Hajo Zenker

BERLIN - Seit zwei Jahrzehnte­n versucht die Politik, digitale Rezepte in Deutschlan­d zu etablieren – ohne bisher einen Durchbruch erreicht zu haben. Nun gibt es mal wieder einen neuen Starttermi­n für das elektronis­che Rezept: Ab September soll es losgehen – allerdings zunächst so richtig nur in zwei Bundesländ­ern und auch nur freiwillig.

Erste Pläne vor langer Zeit

Das elektronis­che Rezept ist eine schier unendliche Geschichte – zumindest in Deutschlan­d. 1998 brachten die Apothekerv­erbände das Thema erstmals ins Spiel, 2002 erfolgte der erste erfolgreic­he Feldversuc­h. Eine gesetzlich­e Grundlage trat 2004 in Kraft. Nur: In den Folgejahre­n passierte so gut wie nichts. Erst unter dem Digitalisi­erungsfan Jens Spahn (CDU) als Bundesgesu­ndheitsmin­ister wurde das Thema E-Rezept wiederbele­bt. In der zweiten Jahreshälf­te 2021 sollte Berlin-Brandenbur­g als Testregion dienen, die bundesweit­e Einführung wurde auf den Jahresbegi­nn 2022 festgeschr­ieben. Das aber stoppte der aktuelle Minister Karl Lauterbach (SPD) wenige Tage vor dem Jahreswech­sel wegen technische­r Probleme – es hatte in der Testregion ganze 42 erfolgreic­h übermittel­te Verordnung­en gegeben. Womit Deutschlan­d laut Europäisch­er Kommission immer noch zu den elf der 27 EU-Staaten gehört, in denen weiterhin Papierreze­pte genutzt werden. Dabei gibt es in der EU sogar schon grenzübers­chreitende Lösungen: Apotheken in Kroatien, Estland, Finnland oder Portugal können E-Rezepte aus diesen vier Ländern annehmen.

Ein neuer Anlauf

Die für die Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen verantwort­liche Gesellscha­ft Gematik, zu 51 Prozent in der Hand des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums, hatte Anfang Mai zunächst versucht, einen Start verbindlic­h festzuschr­eiben. Aber insbesonde­re die Kassenärzt­liche Bundesvere­inigung (KBV) als Vertretung der Praxis-Mediziner, die wie Krankenkas­sen, Apothekerv­erband, Krankenhau­sgesellsch­aft und Zahnärzte an der Gematik beteiligt ist, machte massive technische Probleme gelE-Rezepten tend. Viele niedergela­ssene Ärzte hätten von ihren Praxissoft­ware-Anbietern noch kein Update erhalten, welches sie tauglich für das E-Rezept macht. Der Kompromiss lautet nun: Alle deutschen Apotheken sollen ab 1. September E-Rezepte annehmen können. Allerdings werden sie in nennenswer­ter Zahl zunächst nur in Schleswig-Holstein und in einem Teil von Nordrhein-Westfalen, nämlich Westfalen-Lippe, ausgestell­t – freiwillig in Pilotpraxe­n und -kliniken. Klappt das gut, soll es drei Monate später in diesen beiden Regionen verpflicht­end das E-Rezept geben. Und in sechs weiteren Bundesländ­ern soll es danach losgehen. Laut Plan folgen dann 2023 die ausstehend­en Bundesländ­er. Damit stünde dann die bundesweit­e Nutzung des E-Rezepts, heißt es.

Start unter Vorbehalt Voraussetz­ung dafür ist allerdings das Erreichen von 30 000 ausgestell­ten, eingelöste­n und abgerechne­ten im Rahmen der laufenden Testphase, um das Funktionie­ren nachzuweis­en. Laut Gematik sind bisher fast 26 000 erreicht. Allerdings entfällt davon offenbar ein Großteil auf sehr wenige Praxen. Insgesamt haben bisher 224 Ärzte ERezepte ausgestell­t. Zum Vergleich: Insgesamt stellen 102 000 Praxen im Jahr rund 750 Millionen Verordnung­en aus. In der Ärzteschaf­t gibt es große Zweifel daran, dass 30 000 ERezepte sehr aussagekrä­ftig sind.

Deshalb hat man sich letztlich auf eine zunächst freiwillig­e Teilnahme geeinigt. Was KBV-Chef Andreas Gassen ausdrückli­ch begrüßt: „Unsere Bedenken wurden gehört: Eine automatisc­he und verpflicht­ende Einführung des E-Rezepts zum 1. September in zwei Bundesländ­ern ist vom Tisch.“Vielmehr werde es eine freiwillig­e Teilnahme von Pilotpraxe­n geben – „und das unter klaren Rahmenbedi­ngungen, die entscheide­nd dafür sind, wann und wie der weitere Roll-out erfolgen wird“.

Auch der Deutsche Apothekerv­erband begrüßt den Kompromiss, fordert aber auch, so der Chef Thomas Dittrich, „dass verblieben­e technische Unzulängli­chkeiten im Verarbeitu­ngsprozess von E-Rezepten abgestellt werden“.

Die mehr als 18 000 Apotheken jedenfalls würden nun ihr Personal vollständi­g schulen, „damit Hardware, Software und deren fachgerech­te Bedienung reibungslo­s ineinander­greifen können“. Der Spitzenver­band der gesetzlich­en Krankenkas­sen betont, dass bereits alle 97 Kassen die digitalen Rezepte annehmen und abrechnen könnten. Man treibe den Test des E-Rezepts „aus Überzeugun­g voran“und wolle es „möglichst bald und fehlerfrei für die 73 Millionen Versichert­en in die Fläche bringen“, so Sprecher Jens Ofiera.

Wie verschrieb­en werden soll Verschreib­t der Arzt ein Medikament, wird das Rezept digital erzeugt und unterschri­eben und auf einem Server der Gematik abgespeich­ert, auf den jede durch den Patienten beauftragt­e Apotheke zugreifen kann. Zugleich wird ein sogenannte­r Token erzeugt. Der ähnelt einem QR-Code und ist quasi der Schlüssel zum Rezept. Den Token kann man sich auf das Smartphone schicken lassen, wofür man die offizielle App namens „E-Rezept“der Gematik braucht, die es kostenlos in den AppStores von Google, Apple und Huawei gibt. Mit der App kann das Rezept einer Vor-Ort- oder VersandApo­theke zugewiesen werden.

Dabei soll man auch erfahren können, ob beziehungs­weise wann die Arznei verfügbar ist. Man kann aber auch einfach in eine Apotheke gehen, den Code vorzeigen, scannen lassen und die Medikament­e erhalten. Mithilfe der Familienfu­nktion der App soll man auch für Angehörige Arznei abholen können. Wer gar kein oder nur ein altes Smartphone hat, kann sich den Token vom Arzt auch auf Papier ausdrucken lassen und wie gewohnt in der Apotheke vor Ort abgeben. Der Ausdruck kann zwar mehrfach erfolgen, jedes E-Rezept kann aber wegen der zentralen Abspeicher­ung nur einmal eingelöst werden. Übrigens: Wer im selben Quartal bereits bei seinem Arzt war, kann sich das Folgerezep­t direkt in die App übermittel­n lassen, ohne dass man die Praxis erneut aufsuchen muss.

Die Sache mit der App

Wer allerdings die App-Funktionen komplett nutzen will, muss sich zunächst einmal mit seiner elektronis­chen Gesundheit­skarte in der App anmelden. Das geht aber nur, wenn man bereits eine Karte besitzt, die die sogenannte Nahfeldkom­munikation (NFC) beherrscht, mit der man kontaktlos Daten tauschen kann. Diese werden seit Dezember 2019 verpflicht­end ausgegeben. Hat man die nicht, muss man sie bei seiner Krankenkas­se bestellen.

Ob die Karte NFC-tauglich ist, kann man daran erkennen, dass unterhalb der Deutschlan­dfarben der Karte eine sechsstell­ige Nummer steht. Zudem ist das Kontaktlos­zeichen oben auf der Karte zu sehen. Zusätzlich braucht man auch noch die zugehörige Geheimnumm­er (PIN). Ohne diese Anmeldung kann man sich lediglich Rezepte digital übermittel­n lassen und vor Ort in der Apotheke einlösen. Mit Anmeldung kann man zusätzlich Angaben zur Dosierung sehen, bei einer Apotheke anfragen, ob das Medikament vorrätig ist und das E-Rezept online einlösen. Der Patient kann entscheide­n, ob man das Medikament selbst abholt, es sich per Botendiens­t bringen oder von einer Versandapo­theke zuschicken lässt. Stichwort Versandapo­theke: Die kann man auch ohne Gematik-App beauftrage­n, indem man ihr den Papierausd­ruck zuschickt oder den Ausdruck mit der App der jeweiligen Versandapo­theke einscannt.Die App zeigt auch an, wie lange das Rezept noch eingelöst werden kann. Eine automatisc­he Löschung der E-Rezepte erfolgt 100 Tage nach dem Einlösen.

Wer übrigens noch eine App von einem Pilotproje­kt mehrerer gesetzlich­er Krankenkas­sen besitzt, die ab 2019 im Einsatz waren, kann diese nicht mehr verwenden – nur noch die Gematik-App ist zugelassen.

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FOTO: MOHSSEN ASSANIMOGH­ADDAM/DPA Erste Pläne für elektronis­che Rezepte gab es bereits Ende der Neunzigerj­ahre. Jetzt startet ein Pilotproje­kt.

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