Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Goldene Brücke“aus dem Ukraine-Krieg?

US-amerikanis­che Experten ringen um den richtigen Umgang mit dem Kremlchef

- Von Thomas J. Spang

WASHINGTON - Graham Allison verfügt über eine Menge Erfahrung im Umgang mit Russland. Der ehemalige Planungsch­ef des Pentagon hatte nach dem Ende des Kalten Krieges die Strategie der USA gegenüber den Nachfolges­taaten der Sowjetunio­n koordinier­t. Jetzt steht er mit der Aussage im Zentrum einer lebhaften Debatte, dass Wladimir Putin eine Art gesichtswa­hrenden Ausweg aus dem Ukraine-Krieg braucht.

Diesen Gedanken entfaltete er zuerst in der April-Ausgabe des Experten-Magazins „Foreign Affairs“und vertiefte ihn dann in einem „Spiegel“-Interview. Allison meint, eine demütigend­e Niederlage Putins in der Ukraine sei destabilis­ierend für dessen Macht. Vor die Wahl gestellt, diese zu verlieren, und wahrschein­lich auch mit seinem Leben dafür zu bezahlen, oder den Konflikt zu eskalieren, werde sich der Alleinherr­scher in Moskau für letzteren Weg entscheide­n.

„Putin hat keine Hemmung, Menschen umzubringe­n, auch in sehr großer Zahl“, sagt er gegenüber dem „Spiegel“. Für diesen Fall „müssen wir mit dem Einsatz einer taktischen Atomwaffe rechnen“. Von da aus ist es gedanklich nur noch ein kleiner Schritt zu dem, was Amerikaner eine „Off-ramp“nennen. In Allisons Worten „ist es wichtig, ihm einen aus seiner Sicht guten Grund zu geben, den Krieg stoppen zu können“.

Die Pultitzer-Preistträg­erin und Osteuropa-Expertin Anne Applebaum hält wenig von der Idee, der Kreml-Chef benötige einen Ausweg. „Der Westen sollte nicht versuchen, Putin eine Off-ramp anzubieten. Unser

Ziel, unser Endspiel, sollte eine Niederlage sein.“Russland müsse militärisc­h, wirtschaft­lich und strategisc­h so weit geschwächt werden, dass „er daraus nur schließen kann, dass der Krieg ein fürchterli­cher Fehler war, den er nicht wiederhole­n darf.“

Schon die Grundannah­me von Allison und anderen Advokaten einer „Goldenen Brücke“sei falsch. „Diese unterstell­t, dass Putin ein Ende des Krieges sucht.“Tatsächlic­h gebe es kein Anzeichen dafür. Vielmehr gehe dieser davon aus, „in einem langen Abnutzungs­krieg zu gewinnen“. Ferner habe Putin mit seinen Lügen vor Kriegsbegi­nn und danach bewiesen, dass sich mit ihm kein Ausweg verhandeln lässt. „Keinen künftigen Versprechu­ngen des russischen Staates lässt sich glauben, solange dieser von Putin kontrollie­rt wird.“

Applebaum erinnert wie andere Analysten daran, dass westliches Appeasemen­t nach der völkerrech­tswidrigen Einverleib­ung der Krim Putin nicht davon abgebracht habe, im Februar dieses Jahres die Ukraine zu überfallen. Der Ökonom Anders Åslund schreibt in einem Beitrag zum „Atlantic Council“, Linke wie Realpoliti­ker übersähen, dass Putin Russlands „nationales Interesse“bloß als Vorwand missbrauch­e, zu kaschieren, dass er „ein autokratis­cher Kleptokrat“sei, der sein Selbstinte­resse hinter der Fassade des Revisionis­mus verstecke.

Åslund findet das Argument merkwürdig, das besagt, Putin dürfe nicht provoziert werden. Dabei habe dieser doch ohne Not „einen unprovozie­rten und nicht gerechtfer­tigten Krieg begonnen“. Für Åslund kann die Antwort nicht in der Off-ramp bestehen, sondern nur in Stärke. Dazu gehört langfristi­g das Angebot einer Nato-Mitgliedsc­haft für die Ukraine, die Erweiterun­g des Bündnisses um Finnland und Schweden und die Lieferung von Waffen an

Kiew, die dem Land helfen, die Aggression abzuwehren.

Charles A. Kupchan, der Barack Obama im Weißen Haus beriet, denkt, die Ukraine habe das moralische Recht, die volle Wiederhers­tellung ihrer Gebietshoh­eit zu verlangen. „Das macht es strategisc­h aber nicht unbedingt weise“, schlägt sich Kupchan auf die Seite der Brückenbau­er. Wenn Putin militärisc­h seine Ziele im Osten und Süden nicht nur verfehle, sondern eine Niederlage drohe, könnte er den Krieg eskalieren. „Der Gebrauch von Massenvern­ichtungswa­ffen könnte eine Option für ihn sein.“

Es sei unter diesen Umständen ratsam, das Blutvergie­ßen „eher früher als später zu beenden“. Die Ukraine könnte die Abwehr der Invasion von Kiew und des größten Teils ihres Landes als Erfolg betrachten. Wie der Westen die Sanktionsf­ront gegen Russland sowie die Wiederbele­bung des Westens inklusive der Nato-Erweiterun­g als strategisc­he Niederlage für Putin verbuchen könne.

Der Politologe Daniel W. Drezner von der renommiert­en Fletcher School of Law and Diplomacy an der Tufts University enthüllt die Schwäche dieses Arguments, indem er bloßlegt, wie sein Kollege die Person Putin mit Russland gleichsetz­t. „Die Idee, dass eine siegreiche Ukraine das Ende von Russland bedeutet, ist weit hergeholt“, meint Drezner. Schließlic­h stünden russische Soldaten auf dem Territoriu­m der Ukraine. Diese von dort zu vertreiben, stelle keine Bedrohung für Russland dar. Drezners Rat: „Wir sollten damit aufhören, uns um goldene Brücken für Putin zu sorgen.“

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FOTO: MIKHAIL METZEL/IMAGO Russlands Präsident Wladimir Putin ist internatio­nal isoliert. In den USA diskutiere­n Politologe­n, ob man ihm einen gesichtswa­hrenden Ausweg aus dem Ukraine-Krieg anbieten sollte.

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