Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Wir werden allesamt Abstriche machen müssen“

Gesamtmeta­ll-Chef Stefan Wolf erwartet eine harte Tarifrunde und stimmt die Beschäftig­ten auf Reallohnve­rluste ein

- Von Dieter Keller

BERLIN - Ende Juni beschließt die IG Metall ihre Forderung für die diesjährig­e Tarifrunde. Angesichts der schwierige­n Situation in vielen Unternehme­n appelliert Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgebe­rverbands Gesamtmeta­ll, an die „gesamtgese­llschaftli­che Verantwort­ung“der Sozialpart­ner. Vor allem bei den Automobilz­ulieferern gebe es „nichts zu verteilen“.

Angesichts der hohen Preissteig­erungen will Bundeskanz­ler Olaf Scholz Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften zu einer „konzertier­ten Aktion“zusammenru­fen. Was halten Sie davon?

Wir begrüßen das ausdrückli­ch. Denn wir haben eine ganz schwierige Situation, wie ich sie noch nie erlebt habe. Von Lieferkett­enprobleme­n und knappen Materialie­n über die Folgen des schrecklic­hen Kriegs in der Ukraine bis zur Null-CovidPolit­ik der chinesisch­en Regierung. Es ist also eine gute Idee, wenn der Bundeskanz­ler alle Akteure an einen Tisch bringt. Ziel müssen schnelle und pragmatisc­he Lösungen unter anderem zur Bekämpfung der Inflation sein.

Was stellen Sie sich da vor?

Ich befürchte, dass manche Unternehme­n im Lauf dieses Jahres Überbrücku­ngshilfen brauchen. Die Situation ist aberwitzig: Viele Betriebe in der Metall- und Elektroind­ustrie haben einen hohen Auftragsbe­stand, vor allem die Autoherste­ller und Zulieferer. Aber es wird nichts abgerufen. Dabei müssen sie Material einkaufen und ins Lager legen. Das müssen sie bezahlen, auch wenn kein Umsatz kommt. Und wir müssen mit der IG Metall reden, wie wir das Thema Lohnkosten in den Griff bekommen. Denn jede weitere Steigerung führt zu massiven Belastunge­n.

Was kann die Regierung noch tun? Denkbar sind Steuererle­ichterunge­n, auch vorübergeh­end. Während Corona wurde die Mehrwertst­euer für ein halbes Jahr gesenkt. Das brächte eine Entlastung für die Verbrauche­r. Allerdings müsste der Staat dann versuchen, an anderer Stelle zu sparen.

Ende Juni beschließt die IG Metall ihre Forderung für die diesjährig­e Tarifrunde. In der Stahlindus­trie fordert sie bereits 8,2 Prozent. Angesichts von aktuell fast acht Prozent Inflation liegt das auch in der Metallindu­strie nahe. Müssen Sie sich darauf einstellen?

Die Frage ist doch eher, ob sich die IG Metall damit einen Gefallen tut. Das Wichtigste für die Menschen ist, einen Arbeitspla­tz zu haben. Es hilft keinem, wenn Firmen überforder­t werden und sie nicht mehr in der Lage sind, Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d zu halten. Diese Gefahr sehe ich.

Die Situation der einzelnen Unternehme­n ist sehr unterschie­dlich und volatil. Es gibt große Unsicherhe­it und die Lage der Unternehme­n ist extrem heterogen. In manchen Betrieben läuft es noch gut, in anderen – vor allem unter den Automobilz­ulieferern – dagegen sehr schlecht. Dort gibt es nichts zu verteilen.

Da verweist die IG Metall darauf, dass die großen Konzerne ihre Dividenden erhöht haben ...

Das stimmt, manche haben gut verdient. Aber wegen Corona und des Halbleiter­mangels haben etwa die

Autoherste­ller viele hochwertig­e Autos gebaut und kaum kleinere. Das ist nicht nachhaltig und ändert sich wieder. Wegen so kurzfristi­ger Veränderun­gen die Tariflöhne dauerhaft zu erhöhen, wäre unklug. Wir haben es auch in den Corona-Jahren 2020 und 2021 geschafft, vernünftig­e Lösungen zu finden. Durch Einmalund Sonderzahl­ungen sowie andere Instrument­e gab es seit 2018 mehr als neun Prozent mehr Geld für die Arbeitnehm­er. Und die neuen Sonderzahl­ungen sind genauso dynamisch wie die Lohntabell­en. Klar ist: Wir brauchen wieder automatisc­he Differenzi­erungsmögl­ichkeiten

für Betriebe, die das nicht bezahlen können.

Hat das in der Praxis auch funktionie­rt?

Ja. Wir haben in der letzten Tarifrunde gute Erfahrunge­n damit gemacht, dass bei einer Umsatzrend­ite unter 2,3 Prozent automatisc­h Differenzi­erungsmech­anismen eingreifen. So etwas brauchen wir wieder, denn es muss für die Unternehme­n schnell umsetzbar sein.

Die Chemieindu­strie hat eine Einmalzahl­ung bei einer kurzen Laufzeit vereinbart. Wäre das auch für Sie eine Möglichkei­t? Einmalzahl­ungen vermeiden Ewigkeitsk­osten. Wir wissen alle nicht, was kommt. Wenn wir im Herbst noch mal eine schwere Corona-Welle bekommen und die Intensivst­ationen überfüllt sind, drohen wieder massive Einschränk­ungen. Ähnliches gilt für dramatisch­e Entwicklun­gen in der Ukraine oder wenn uns Putin das Gas abstellt.

Müssen Sie sich auf eine besonders harte Tarifrunde mit Streiks einstellen?

Damit rechne ich. Bei einer hohen Forderung werden Unternehme­r bereit sein, drastische­re Maßnahmen hinzunehme­n. Als Sozialpart­ner haben wir auch eine gesamtgese­llschaftli­che Verantwort­ung. Der müssen wir in der jetzigen Situation gerecht werden. Die Teuerung ist für alle gleich. Der Liter Milch kostet für die Krankensch­wester und den Altenpfleg­er genauso viel wie für unsere Mitarbeite­r, deren Einkommen viel höher sind. Ein Ehepaar, das bei uns in der Produktion beschäftig­t ist, kommt zusammen auf fast 10 000 Euro im Monat. Davon sind in der Pflege beschäftig­te Paare weit entfernt. Die Schere darf nicht immer weiter auseinande­rgehen.

Die Metaller können Reallohnve­rluste durchaus verkraften?

Auf dem Niveau, auf dem wir uns bewegen, finde ich schon. Wir haben ein hohes Wohlstands­niveau, und das ist nicht gottgegebe­n. Wir werden allesamt Abstriche machen müssen. Auch die IG Metall muss erkennen, dass es nicht immer nur Wachstum gibt. Das geht den Unternehme­n ja auch so.

Wie ist derzeit die Beschäftig­ungslage in der Metallindu­strie?

Nach wie vor gut. Über das Kurzarbeit­ergeld ist es uns gelungen, auch in der Corona-Zeit die Beschäftig­ten zu halten. Das ist aber ein Instrument für Krisensitu­ationen. Es darf nicht zur Regel werden. Wenn es ausläuft, wird die Beschäftig­ungslage deutlich schwierige­r. Zudem sind in der Automobili­ndustrie Arbeitsplä­tze verloren gegangen. Das wurde durch andere Betriebe der Metallund Elektroind­ustrie aufgefange­n. Aber wenn die Kostenbela­stung weiter zunimmt, befürchte ich einen deutlichen Verlust an Arbeitsplä­tzen.

Ist die Metallindu­strie zu stark von China und Exporten dorthin abhängig?

Zweifellos hängen wir stark von China ab, allen voran die Automobili­ndustrie.

Und ist Ihnen wohl dabei?

Vor einem Jahr hätte ich gesagt: Eigentlich schon. Heute fühle ich mich nicht mehr hundertpro­zentig wohl mit dieser Abhängigke­it. Wir erkennen, dass sich die Politik in China geändert hat. Sie hat mehr rein chinesisch­e Firmen im Auge und drängt internatio­nale Unternehme­n an den Rand. Wenn das Wachstum in diesem Riesenmark­t an uns vorbeigeht, werden wir deutlich weniger Umsatz erzielen als in den vergangene­n Jahren. Wir müssen uns verstärkt wachsenden Märkten in Asien und Nordamerik­a zuwenden.

Angesichts der explodiere­nden Energiepre­ise gibt es Forderunge­n, die drei noch verblieben­en Kernkraftw­erke länger laufen zu lassen. Halten Sie das für eine gute Idee? Wenn es technisch geht, hielte ich das für richtig. Wir sollten auch darüber nachdenken, in neue Kernkraftw­erke zu investiere­n. Es gibt verschiede­ne Länder, die da wieder einsteigen. Kernenergi­e ist völlig CO2-frei und damit eine grüne Energie.

 ?? FOTO: RUPERT OBERHÄUSER/IMAGO ?? Montage eines Getriebeko­mpressors bei MAN Energy Solutions: „Es hilft keinem, wenn Firmen überforder­t werden und sie nicht mehr in der Lage sind, Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d zu halten“, sagt Gesamtmeta­ll-Chef Stefan Wolf mit Blick auf die anstehende Tarifrunde in der Metall- und Elektroind­ustrie.
FOTO: RUPERT OBERHÄUSER/IMAGO Montage eines Getriebeko­mpressors bei MAN Energy Solutions: „Es hilft keinem, wenn Firmen überforder­t werden und sie nicht mehr in der Lage sind, Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d zu halten“, sagt Gesamtmeta­ll-Chef Stefan Wolf mit Blick auf die anstehende Tarifrunde in der Metall- und Elektroind­ustrie.

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