Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ulmer sammeln Medikament­e für Ukraine

Durch direkte Kontakte in die Ukraine sammeln Helfer Wunschlist­en und kaufen wichtiges Material

- Von Sebastian Mayr

ULM - Warum er helfen will? Rüdiger Brandt hat eine schlichte Antwort darauf gefunden: „Weil es so einfach ist, zu helfen.“Der Leiter des Qualitätsm­anagements an der Technische­n Hochschule Ulm erlebt gerade mit, was geschehen kann, wenn ein paar Menschen ihre Netzwerke nutzen und wenn viele ein bisschen Geld geben. Jeder Euro helfe, betont Brandt. Er erlebt mit, dass sich der Chefarzt der Kinderkreb­smedizin in Kiew freut „wie ein Kind an Weihnachte­n“.

Der Vergleich stammt von Anna Eisenschin­k. Sie war Pflegedire­ktorin am Unikliniku­m Ulm, sie hat viele Kontakte zu Menschen im Medizinber­eich. Kontakte, die sie nutzt, um lebenswich­tige medizinisc­he Ausrüstung anzuschaff­en. Zum Beispiel Schilddrüs­enmedikame­nte oder Infusionsp­umpen. Die werden gebraucht, um Patientinn­en und Patienten rund um die Uhr die richtige Dosis Medizin zu verabreich­en. Anna Eisenschin­k hat die Kopie eines Schreibens vom Chefarzt der Kinder-Onkologie dabei. Auf Ukrainisch und Englisch steht dort, dass drei bis fünf dieser Pumpen benötigt werden, um die Versorgung der kleinen Krebskrank­en sicherzust­ellen. „Die Infusionsp­umpen sind in Deutschlan­d ausverkauf­t, die Pandemie hat alles aufgefress­en“, berichtet Eisenschin­k. Dank ihrer Kontakte konnten dennoch welche beschafft werden – und das auch noch ermäßigt. Nun gehen statt drei bis fünf sogar acht bis zehn Geräte an das Kiewer Krankenhau­s.

Am Anfang stand eine andere Idee: Obdachlose in Griechenla­nd unterstütz­en. Doch angesichts des Kriegsbegi­nns entschied sich die Gruppe spontan, den Betroffene­n in der Ukraine zu helfen. Zu dem Kreis gehört auch die frühere SPD-Bundestags­abgeordnet­e Hilde Mattheis. Zunächst wurden auf dem Münsterpla­tz Güter für einen Hilfstrans­port gesammelt. Auf dem Rückweg nahmen die zum Transport genutzten Reisebusse fliehende Menschen mit.

Es gab Ärger. Zwei Helferinne­n warfen Mattheis vor, die frühere Abgeordnet­e habe sie mit der Unterbring­ung der ukrainisch­en Frauen und Kinder allein gelassen. Die Stadt Ulm riet, statt privater Aktionen auf große Organisati­onen zu setzen. Hilde Mattheis beteuert: Alles sei geregelt gewesen, für alle Geflohenen habe man eine Unterkunft gehabt. Man habe am Ende sogar der Stadt mit weiteren Wohnungen ausgeholfe­n. Noch heute stehe man mit den geretteten Familien in Kontakt. Rüdiger Brandt bekräftigt: „Für die Kritik gab es sachlich keinen Grund.“

Die Kontakte in das vom Krieg getroffene Land pflegt Eugen Fetsch. Der 39-Jährige betreibt ein Animations­studio in Ulm, geboren ist er in der Ukraine. Schon unmittelba­r nach Beginn des Kriegs brachte Fetsch Fliehende von dort hierher. „Seit dem ersten Tag des Kriegs bin ich damit beschäftig­t, Geflüchtet­en zu helfen“, berichtet er. „Jeder Mensch, dem ich helfen konnte, ist eine Person, die überlebt hat.“Über persönlich­e Bekannte nahm er Kontakt zu offizielle­n Stellen in der Ukraine auf – unter anderem zu einer Beschäftig­ten der Stadtverwa­ltung von Charkiw. Die Frau hat Fetsch eine vierseitig­e Wunschlist­e übermittel­t. Dort sind Dinge aufgeführt, bei denen der Mangel besonders groß ist.

30 000 Euro sollen gesammelt werden, um die nötigsten Wünsche zu erfüllen. 10 000 Euro kommen von der Stiftung der Volksbank Ulm-Biberach, mit diesem Geld können die Infusionsp­umpen gekauft werden. Die Bank stellt auch ihre Crowdfundi­ng-Plattform zur Verfügung. Auf der Internetse­ite www.viele -schaffen-mehr.de/projekte/ medikament­e-fuer-charkiw

Geld gespendet werden.

Die Hilfsgüter werden mit einem Kleintrans­porter oder gegebenenf­alls durch ein Logistikun­ternehmen in eins von zwei Lagern gebracht, die die Charkiwer Stadtverwa­ltung in Polen und im Westen der Ukraine betreibt.

Die Mitglieder der Gruppe wissen, dass die großen Hilfsorgan­isationen wichtige Arbeit leisten. Doch sie sind überzeugt, dass auch die kleinen Aktionen Vorteile haben. Etwa, kann

weil Spenderinn­en und Spender genau wissen, was mit ihrem Geld geschieht. Oder wegen der Flexibilit­ät: Auf konkrete Wünsche aus dem Krisengebi­et kann konkret reagiert werden. „Kleine Gruppen können sich leichter durchschlä­ngeln“, ergänzt Rüdiger Brandt.

Bei den Schilddrüs­enmedikame­nten etwa besorgte man letztlich eine höhere Dosierung als gewünscht. In der Klinik müssen die Tabletten nur geteilt werden, dafür gibt es mehr fürs gleiche Geld.

Und überhaupt das Geld: Durch persönlich­e Kontakte wie die von Anna Eisenschin­k handelt die Gruppe trotz der Knappheit sogar deutliche Rabatte aus, teils 50 Prozent. „Das ist die beste Hilfsaktio­n, die ich erlebt habe“, sagt Eugen Fetsch über die Arbeit der kleinen Gruppe.

„Das ist die beste Hilfsaktio­n, die ich erlebt habe.“Eugen Fetsch

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SYMBOLFOTO: FRANCISCO SECO/DPA Ein Krankenhau­s in der Stadt Pokrowsk. In den Kliniken in der Ukraine fehlt es an fast allem, eine Gruppe aus Ulm hat in Kiew geholfen und sammelt jetzt für Charkiw.

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