Ulmer sammeln Medikamente für Ukraine
Durch direkte Kontakte in die Ukraine sammeln Helfer Wunschlisten und kaufen wichtiges Material
ULM - Warum er helfen will? Rüdiger Brandt hat eine schlichte Antwort darauf gefunden: „Weil es so einfach ist, zu helfen.“Der Leiter des Qualitätsmanagements an der Technischen Hochschule Ulm erlebt gerade mit, was geschehen kann, wenn ein paar Menschen ihre Netzwerke nutzen und wenn viele ein bisschen Geld geben. Jeder Euro helfe, betont Brandt. Er erlebt mit, dass sich der Chefarzt der Kinderkrebsmedizin in Kiew freut „wie ein Kind an Weihnachten“.
Der Vergleich stammt von Anna Eisenschink. Sie war Pflegedirektorin am Uniklinikum Ulm, sie hat viele Kontakte zu Menschen im Medizinbereich. Kontakte, die sie nutzt, um lebenswichtige medizinische Ausrüstung anzuschaffen. Zum Beispiel Schilddrüsenmedikamente oder Infusionspumpen. Die werden gebraucht, um Patientinnen und Patienten rund um die Uhr die richtige Dosis Medizin zu verabreichen. Anna Eisenschink hat die Kopie eines Schreibens vom Chefarzt der Kinder-Onkologie dabei. Auf Ukrainisch und Englisch steht dort, dass drei bis fünf dieser Pumpen benötigt werden, um die Versorgung der kleinen Krebskranken sicherzustellen. „Die Infusionspumpen sind in Deutschland ausverkauft, die Pandemie hat alles aufgefressen“, berichtet Eisenschink. Dank ihrer Kontakte konnten dennoch welche beschafft werden – und das auch noch ermäßigt. Nun gehen statt drei bis fünf sogar acht bis zehn Geräte an das Kiewer Krankenhaus.
Am Anfang stand eine andere Idee: Obdachlose in Griechenland unterstützen. Doch angesichts des Kriegsbeginns entschied sich die Gruppe spontan, den Betroffenen in der Ukraine zu helfen. Zu dem Kreis gehört auch die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis. Zunächst wurden auf dem Münsterplatz Güter für einen Hilfstransport gesammelt. Auf dem Rückweg nahmen die zum Transport genutzten Reisebusse fliehende Menschen mit.
Es gab Ärger. Zwei Helferinnen warfen Mattheis vor, die frühere Abgeordnete habe sie mit der Unterbringung der ukrainischen Frauen und Kinder allein gelassen. Die Stadt Ulm riet, statt privater Aktionen auf große Organisationen zu setzen. Hilde Mattheis beteuert: Alles sei geregelt gewesen, für alle Geflohenen habe man eine Unterkunft gehabt. Man habe am Ende sogar der Stadt mit weiteren Wohnungen ausgeholfen. Noch heute stehe man mit den geretteten Familien in Kontakt. Rüdiger Brandt bekräftigt: „Für die Kritik gab es sachlich keinen Grund.“
Die Kontakte in das vom Krieg getroffene Land pflegt Eugen Fetsch. Der 39-Jährige betreibt ein Animationsstudio in Ulm, geboren ist er in der Ukraine. Schon unmittelbar nach Beginn des Kriegs brachte Fetsch Fliehende von dort hierher. „Seit dem ersten Tag des Kriegs bin ich damit beschäftigt, Geflüchteten zu helfen“, berichtet er. „Jeder Mensch, dem ich helfen konnte, ist eine Person, die überlebt hat.“Über persönliche Bekannte nahm er Kontakt zu offiziellen Stellen in der Ukraine auf – unter anderem zu einer Beschäftigten der Stadtverwaltung von Charkiw. Die Frau hat Fetsch eine vierseitige Wunschliste übermittelt. Dort sind Dinge aufgeführt, bei denen der Mangel besonders groß ist.
30 000 Euro sollen gesammelt werden, um die nötigsten Wünsche zu erfüllen. 10 000 Euro kommen von der Stiftung der Volksbank Ulm-Biberach, mit diesem Geld können die Infusionspumpen gekauft werden. Die Bank stellt auch ihre Crowdfunding-Plattform zur Verfügung. Auf der Internetseite www.viele -schaffen-mehr.de/projekte/ medikamente-fuer-charkiw
Geld gespendet werden.
Die Hilfsgüter werden mit einem Kleintransporter oder gegebenenfalls durch ein Logistikunternehmen in eins von zwei Lagern gebracht, die die Charkiwer Stadtverwaltung in Polen und im Westen der Ukraine betreibt.
Die Mitglieder der Gruppe wissen, dass die großen Hilfsorganisationen wichtige Arbeit leisten. Doch sie sind überzeugt, dass auch die kleinen Aktionen Vorteile haben. Etwa, kann
weil Spenderinnen und Spender genau wissen, was mit ihrem Geld geschieht. Oder wegen der Flexibilität: Auf konkrete Wünsche aus dem Krisengebiet kann konkret reagiert werden. „Kleine Gruppen können sich leichter durchschlängeln“, ergänzt Rüdiger Brandt.
Bei den Schilddrüsenmedikamenten etwa besorgte man letztlich eine höhere Dosierung als gewünscht. In der Klinik müssen die Tabletten nur geteilt werden, dafür gibt es mehr fürs gleiche Geld.
Und überhaupt das Geld: Durch persönliche Kontakte wie die von Anna Eisenschink handelt die Gruppe trotz der Knappheit sogar deutliche Rabatte aus, teils 50 Prozent. „Das ist die beste Hilfsaktion, die ich erlebt habe“, sagt Eugen Fetsch über die Arbeit der kleinen Gruppe.
„Das ist die beste Hilfsaktion, die ich erlebt habe.“Eugen Fetsch