Flicks Bayern-Block bröckelt
Gegen Italien enttäuschten die Kicker aus München teilweise – Gegen England sollen es vor allem andere richten
MÜNCHEN - Es war ein Vorgriff auf Katar – und misslang. Bundestrainer Hansi Flick hatte beim 1:1 zum Auftakt der Nations League in Bologna gegen Italien bis auf ein, zwei Ausnahmen (etwa Leipzigs Benjamin Henrichs, der als Rechtsverteidiger enttäuschte) eine Startelf gebracht, die man sich gut bei der Winter-WM (ab dem 21. November) am Persischen Golf vorstellen kann. Mit einem Bayern-Block, bestehend aus sieben Meistern: mit Torhüter und Kapitän Manuel Neuer, Niklas Süle in der Innenverteidigung, den beiden Sechsern Joshua Kimmich und Leon Goretzka sowie den flexiblen Offensiven Serge Gnabry, Leroy Sané und Routinier Thomas Müller. So viel Bayern-Power hatte es im Deutschland-Trikot zuletzt 2014 unter Joachim Löw gegeben, als das FCB-Septett, bestehend aus Neuer, Müller, Philipp Lahm, Jérôme Boateng, Bastian Schweinsteiger, Toni Kroos und Mario Götze, das WMAchtelfinale gegen Algerien (2:1 nach Verlängerung) beinahe in die Tonne getreten hätte.
Gewohnte Abläufe und Automatismen sowie ein eingespieltes Gerüst sollten die relativ unerfahrenen, neu zusammengewürfelten Azzurri in die Schranken weisen. Doch dieser Plan ging nicht auf. Zwar blieb der 57-Jährige auch im zehnten Spiel als Bundestrainer ungeschlagen (acht Siege, zwei Unentschieden), es reichte jedoch nur zu einem Punkt.
Erstmals in seiner Amtszeit seit dem Debüt Anfang September 2021 gegen Liechtenstein (2:0) wirkte Flick richtig unzufrieden mit seiner Auswahl. Man habe sich den Schneid abkaufen lassen, so der Bundestrainer. „Intensität, Präzision und Tempo haben in unserem Spiel gefehlt, wir haben viel zu viele Fehler gemacht.“So hart ging Flick mit seiner Truppe noch nie ins Gericht: „Diese Mannschaftsleistung ist nicht unser Anspruch. Wir haben mehr Qualität, können es besser machen.“
Der nächste Beweistermin steht am Dienstag (20.45 Uhr, ZDF) in der ausverkauften Münchner Allianz Arena an, der nächste Klassiker – diesmal gegen England. „Wir wollen unser Spiel durchsetzen“, sagte Flick. Man habe „die Körner aufgefüllt“und sei für den „schweren Brocken bereit“. Was in Italien fehlte, ist allen bewusst. „Der Anspruch ist eigentlich der, dass wir dominanter, zielstrebiger und klarer nach vorn spielen mit geringerer Fehlerquote“, meinte Thomas Müller, und 1:1-Torschütze Joshua Kimmich schimpfte: „Für uns war‘s zu wenig. Wir haben es nicht geschafft, unsere Leistung auf den Platz zu bringen.“Vor allem die Bayern-Profis nicht.
Seit drei Wochen, seit dem 34. Spieltag, hatten sie kein Pflichtspiel mehr. Richtig ernst wurde es zuletzt vor sechs (!) Wochen beim 3:1 gegen Borussia Dortmund. Der natürliche Spannungs- und damit einhergehende Leistungsabfall ist nachvollziehbar, dennoch sind die Startelfplätze der Nicht-so-glorreichen Sieben in Gefahr. Ausgerechnet in München könnte sich der BayernBlock verdünnisieren. Neben Torhüter
Neuer und Kämpfer Kimmich, der nach vier Spielen Absenz wieder das Kommando im DFB-Mittelfeld führte, dürften Süle und Gnabry erneut von Beginn an auflaufen, aber auch sie wackeln. Goretzka und der erneut enttäuschende Sané bekommen eine Pause, womöglich sogar Routinier Müller, für den Bayerns Teenager Jamal Musiala gegen seine zweite Heimat England (teilweise bei Chelsea ausgebildet) von Beginn an zum Einsatz kommen könnte.
„Wir schauen da genau hin. Es wird der ein oder andere Wechsel stattfinden“, sagte Flick auf eine mögliche Sprengung des BayernBlocks angesprochen, ohne sich genau in die Karten schauen zu lassen. „Wir müssen mit der Art und Weise, wie wir Fußball spielen, dazu beitragen, dass der Funke überspringt“, forderte Flick, der sich auf seine Rückkehr nach München freut. Der Sieben-Titel-Trainer der Bayern (von November 2019 bis Mai 2021 erfolgreich wie kein Zweiter in diesem Amt) wird einige seiner ehemaligen Helden auf die Bank setzen.
Beim Duell mit England, dem Fünften der FIFA-Weltrangliste. Ist es ein WM-Härtetest? Jawohl! Und ist es auch eine Revanche für das 0:2 im EM-Achtelfinale im Juni letzten Jahres, womit das Ende von Bundestrainer Joachim Löw zementiert wurde? Ein bisschen.
Geht man allein nach den Namen im aktuellen 26er-Kader des DFB, wäre das möglich – doch dafür müsste die Form stimmen. Das 1:1 in Italien hat gezeigt, dass Flick noch länger nach der besten Mischung wird suchen müssen. Der Bayern-Block steckt im Tief, und so wurden die Einwechselspieler von Bologna zu den Gewinnern. Denn erst nach den Auswechslungen von Leroy Sané (59.), Leon Goretzka (69.), Thomas Müller (69.) und Serge Gnabry (80./ noch der aktivste Münchner in der Offensive) kamen wieder mehr Schwung und Drive ins Aufbauspiel. So sprach Flick: „Das Positive, das ich mitnehmen kann: Die Mannschaft ist zurückgekommen und hat nach dem Ausgleich auch auf das 2:1 gespielt.“Was an den England-Legionären Gündogan und Kai Havertz vom FC Chelsea sowie vor allem am Gladbacher Jonas Hofmann lag, der die rechte Außenbahn belebte.
Gegen England sollen es die Einwechselspieler von Bologna richten. Flick unmissverständlich: „Am Dienstag müssen wir eine andere Leistung auf den Platz bringen und ein anderes Ergebnis erzielen.“