Der Roboter-Supermarkt
Das Stuttgarter Start-up Smark will mit einer vollautomatisierten Einkaufsfiliale die Nahversorgung auf dem Land stützen
STUTTGART - Anfangs war die Technik noch alles andere als ausgereift. Als Max Ehret (34) und Philipp Hoening (32), Gründer des Stuttgarter Unternehmens Smark, 2017 die Chance bekamen ihren ersten Protoypen einer vollautomatisierten Einkaufsstation im Stuttgarter Bahnhof zu testen, „hat es überhaupt nicht so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben“, erzählt Philipp Hoening.
Wer am Wochenende am Bahnhof ankam und beispielsweise noch dringend Sahne für die Pastasauce brauchte, sollte am Automaten fündig werden. Einfach über einen Touchscreen bestellen, bezahlen und schon wird die Sahne ausgegeben. So die Theorie, doch in der Praxis war es nicht ganz so einfach. Die IT war damals noch nicht so weit und ständig gingen Teile kaputt. In der Konsequenz setzten sich die Gründer mitten im Sommer selbst in den stickigen Automaten und immer, wenn ein Kunde vorne am Display Milch oder Eier bestellte, griffen sie nach der Ware und legten sie eigenständig in die Ausgabe, erinnert sich Hoening lachend.
Diese Erfahrungen mit dem Automaten trieben die Gründer umso stärker an, die Technikfehler auszumerzen. Über Jahre tüftelte das Team, um die automatisierte Einkaufstechnologie zur Marktreife zu führen, legte mehr als einmal eine Nachtschicht ein. Jetzt sind sie soweit und es soll so richtig losgehen. Smark will mit seinem Konzept in Serie gehen und den Lebensmittelmarkt erobern.
Was Smark mittlerweile kann, zeigt das Start-up in der Schlosserstraße 23 in Stuttgart-Süd. Statt eines einzelnen Automaten, wie damals im Bahnhof, hat das Start-up nun ein ganzes Ladenkonzept entwickelt und ihm in Zusammenarbeit mit einer Agentur den hippen Namen „Roberta Goods“verpasst.
Wer ein „Roberta Goods“-Geschäft betritt, steht vor zwei großen Touchscreens. Daran kann man aus 300 Produkten auswählen – entweder einzelne Lebensmittel oder ganze Gerichte. Zur Auswahl stehen unter anderem schwäbische Maultaschen, vegane Bolognese oder Wraps. Es gibt Eier, Milch, Schlagsahne, Käse, Grillwürstchen, Bier, Wein, Sekt, Nussriegel, Toilettenpapier oder auch Babynahrung.
Möglichst viele der Anbieter der Waren kommen aus der direkten Nachbarschaft. Die Fertiggerichte liefern beispielsweise nahe gelegene Cafés oder Restaurants, das Bier stammt von einer Stuttgarter Brauerei.
Das, was der Kunde kaufen möchte, legt er via Fingertippen auf dem Display in die virtuelle Einkaufstüte und kann dann mit seiner Bankkarte an einem angeschlossenen EC-Gerät bezahlen. Hinter der Wand mit dem Touchscreen – im Nachbarraum sozusagen – beginnt jetzt der Roboter zu arbeiten, an dessen Programmierung das Smark-Team so lange getüftelt hat.
An sich geht es um einen einfachen Schritt: Der Roboter greift aus dem Lager die entsprechend gewünschten und vom Kunde bezahlten Artikel und legt sie in das Ausgabefach, wo sie der Kunde dann mitnehmen kann.
Die Crux bei der Sache ist jedoch, dass der Roboter zuerst eigenständig lernen muss, wo er den Artikel im Lager findet. Und auf der anderen Seite – und das war laut Hoening die größte Herausforderung – muss der Roboter erkennen, wie er die jeweils unterschiedlichen Produkte richtig greift. Eine Bierflasche beispielsweise ist rund, glatt, fest und recht schwer, ein Schokoriegel hingegen ist klein, leicht, rechteckig und eher weich. Jedes Mal muss der Roboterarm angemessen zugreifen.
Neben den Touchscreens finden sich bei „Roberta Goods“aber auch ganz klassisch eine Obst- und Gemüseauslage, eine Kaffeetheke und ein Brotregal. Gemeinsam mit dem Waagen-Hersteller Bizerba aus Balingen tüftelt Smark daran in Regalen für Obst und Gemüse sowie Brot Sensoren zu verbauen, die die Ware grammund zentimetergenau erfassen, sodass sich Kunden auch bei frischen Produkten in Zukunft kontrolliert selbst bedienen können. Bisher „geschieht das noch auf Vertrauensbasis“, sagt Hoening.
Die Idee für ihren vollautomatisierten Supermarkt hatten Hoening und Ehret im Studium, beide haben Maschinenbau am Karlsruher Institut für Technologie studiert, und wollten eine Lösung entwickeln, „um noch komfortabler einkaufen zu können“. Mit Bleistift und Papier hätten sich beide zunächst ans Brainstorming gemacht. Drei Praktikanten unterstützen die Gründer anfangs.
Mittlerweile beschäftigt Smark 29 Mitarbeiter und machte im vergangenen Jahr einen Umsatz von einer Million Euro. Rund fünf Millionen Euro erhielt Smark von Investoren im Laufe verschiedener Finanzierungsrunden. Profitabel sei man aber noch nicht, sagt Hoening. Noch beschränkt sich das vollautomatisierte Einkaufsskonzept auf einige Verkaufsstellen.
Dafür aber sind die Kooperationspartner, mit denen Smark bisher arbeitet, Branchengrößen. Im badenwürttembergischen Renningen eröffnete Smark zusammen mit Edeka Südwest am Bahnhof im vergangenen Jahr ein vollautomatisiertes Geschäft. Smark arbeitet außerdem mit einer Tochter der Migros, dem umsatzstärksten Schweizer Handelsunternehmen, zusammen und betreibt eine automatisierte Einkaufsstation nahe Zürich.
Ob bei gemeinsamen Projekten mit Kunden oder bei der eigenen Marke „Roberta Goods“: Es gehe immer darum, dem Kunden regionale Produkte 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche in unmittelbarer Nachbarschaft anzubieten, sagt Hoening. Zumindest in Stuttgart gilt für den autonomen Supermarkt das Sonntagsöffnungsverbot nicht.
Ist eine Verkaufsstation einmal installiert, soll der Roboter die meiste Arbeit machen. Es gebe pro Geschäft nur einen Mitarbeiter, der das Lager täglich für den Roboter befüllt, sagt Hoening. „Du musst einmal am Tag hingehen, da gibt es keine großen Betriebskosten.“Weiterer Pluspunkt sei die Platzersparnis. Im Lager können die Waren eng beieinander stehen, der Verkaufsraum selbst ist nur etwa 20 Quadratmeter groß.
Auch wenn es so scheint, als sprechen die Roberta-Goods-Läden vor allem ein junges, städtisches, digitalaffines Publikum an – kaum einer der den Laden in der Stuttgarter Schlosserstraße betritt, ist älter als 40 – sieht Smark besonders im ländlichen Raum Potenzial für seine Entwicklung. „Auf der Alb zum Beispiel sind die Ladenöffnungszeiten oftmals reduziert, weil Personalmangel herrscht, teilweise bricht in manchen Orten die Nahversorgung komplett weg“, sagt Hoening. Dort könnte ein vollautomatisierter Supermarkt die Lösung sein. Der lokale Metzger oder der lokale Bäcker könnte seine Produkte gegen Gebühr ja dort ebenso anbieten, sagt Hoening.
Smarks Ziel ist es mit der vollautomatisierten Einkaufssation ab 2023 in den „Rollout“zu gehen, also mit dem nun reifen Produkt den Markt zu erobern. Kunden hat das Start-up ja bereits an der Hand, ein eigenes LadenKonzept auch und die Vorlieben der Kunden sind ebenfalls mittlerweile klar: Der Bestseller im Stuttgarter Geschäft ist das lokal gebraute Bier.