Zurück zum Zug
Bahn und Verkehrsministerium prüfen die Reaktivierung von Bahnstrecken
SCHELKLINGEN - Das 9-Euro-Ticket ist vor wenigen Tagen gestartet. Es sorgt dabei aber nicht nur dafür, dass so mancher Autoenthusiast verstohlen mit einem Auge auf den Bahnfahrplan schaut, sondern es richtet im Hinblick auf eine neue verstärkte Nutzung der Schiene auch den Blick des baden-württembergischen Verkehrsministeriums auf stillgelegte oder wenig frequentierte Strecken. Für 20 Strecken laufen bereits Machbarkeitsstudien. Eine davon ist die Strecke von Schelklingen nach Münsingen, Engstingen und Gammertingen mit ihrem Abzweig nach Reutlingen. Letzterer befindet sich aktuell schon in der vertieften Planung. Schelklingens Bürgermeister Ulrich Ruckh hat ein klares Credo: „Man muss die Infrastruktur herrichten, sonst bringt man niemand in die Züge rein. Ich glaube, dass die Schiene Zukunft hat.“
Gerade einmal vier Mal täglich fährt die hauptsächlich touristisch geprägte Schwäbische-Alb-Bahn in der Hauptsaison im Sommer Schelklingen und Schmiechen an. Der Abstand zwischen den Zügen beträgt zwischen eineinhalb bis dreieinhalb Stunden. Diese Bahn ist eine ehemals 58,25 Kilometer lange Nebenbahn, welche die Schwäbische Alb quert. Der 15,28 Kilometer lange nördliche Teilabschnitt von Reutlingen nach Engstingen ist heute stillgelegt, dieser Abschnitt wurde größtenteils zu einem Bahntrassenradweg umgewidmet. Das Teilstück von Reutlingen nach Honau wird auch als Echaztalbahn, das Teilstück von Engstingen nach Schelklingen als Schwäbische Alb-Bahn bezeichnet. Eine Reaktivierung der Strecken wäre für Schelklingen
in vielerlei Hinsicht ein Gewinn. Einerseits wäre die Stadt für Touristen aus den stark frequentierten Regionen um Hechingen und Reutlingen besser erreichbar, andererseits kämen auch die Schelklinger mit einer krisensicheren Verkehrsmittel besser auf die Alb und nach Westen. Je nach Takt und Verbindung würde damit sogar Reutlingen als Arbeitsort für die Achtäler interessant.
Ulrich Ruckh hat im Rahmen der Diskussion um die Machbarkeitsstudie mit dem Geschäftsführer der
Schwäbischen Alb-Bahn (SAB), Bernd-Matthias Weckler, telefoniert. „Wir waren uns darüber einig, dass die Stecke Potenzial bietet“, so Ruckh, für den neben dem Schnellen Weg nach Münsingen und Reutlingen auch die Anbindung an die Regionalstadtbahn Neckar-Alb interessant ist. Es wären dann gute Verbindungen zur Zollern-Alb und sogar bis nach Sigmaringen möglich. Aber auch die regelmäßige Stecke nach Münsingen wäre mit einer höheren Taktung ein extremer Gewinn. „Das würde es bedeutend einfacher für die Bürger machen, mit dem Zug nach Reutlingen zu kommen und nicht erst über Ulm fahren zu müssen oder irgendwelche Busse zu nutzen.“
Aktuell würden die Schelklinger bei guten Bedingungen für die rund 56 Kilometer auf der schnellsten Strecke mit dem Auto eine gute Stunde brauchen. Mit einem regelmäßigen Bahnverkehr im Stundentakt, wie es das Ministerium im vorliegenden Papier vorschlägt, wäre die Fahrt nicht nur deutlich bequemer, sondern bei den aktuellen Preisen für Benzin auch deutlich günstiger – ganz zu schweigen davon, dass auch der Klimaschutz nicht zu kurz käme. Verkehrsminister Winfried Hermann erläuterte dazu: „Baden-Württemberg will bis 2040 klimaneutral werden. Für die dazu notwendige Verkehrswende strebt die Landesregierung eine Verdopplung der Nachfrage im öffentlichen Verkehr bis 2030 an. Die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Damit können insbesondere ländliche Regionen wieder an das nationale Schienennetz angeschlossen werden. Die Wiederbelebung der Schiene ist nicht nur wichtig zur Bekämpfung
des Klimawandels sondern auch ein Standortfaktor.“
Den Standortfaktor sieht Ulrich Ruckh ebenfalls, und dieser ist laut der Meinung von Schelklingens Bürgermeister nicht nur auf den Personenverkehr beschränkt. „Wir haben das Thema Verladebahnhof ja gerade groß in Schelklingen im Rahmen der Zementwerkschienen diskutiert. Die SAB hat sich jüngst eine Lok für den Güterverkehr angeschafft. Damit könnte auf einer reaktivierten Strecke nicht nur Holz oder Schotter transportiert werden. Wenn Frequenz und Taktung stimmen, könnten sogar Kranteile von Liebherr nach Reutlingen gebracht werden.“
Aktuell wird die Sanierung der Kreisstraße im oberen Schmiechtal geplant, im Rahmen der Ertüchtigung sollen dabei nicht nur Schadstellen repariert, sondern die Straße soll aus Sicherheitsgründen auch verbreitert werden. „Wichtig ist, dass wir damit keinen Schwerlastverkehr anziehen. Auch hier wäre die Verlagerung von Transporten auf die Schiene perspektivisch ein Angebot.“
Die Potenzialanalyse zur Reaktivierung von Schienenstrecken in Baden-Württemberg hat zudem die Strecke Reutlingen–Engstingen (Echaztalbahn) als Spitzenreiter ausgemacht, was die Frequentierung betrifft, was bedeuten könnte, dass bei der Taktung noch deutlich mehr möglich wäre als „nur“ein Stundentakt. Was die Finanzierung des Projekts angeht, so winken bis zu 96 Prozent Förderung für die Baukosten, welche sich Bund und Land teilen, heißt es im Förderversprechen von Hermann.
Insgesamt hat die in Auftrag gegebene Potenzialanalyse 42 stillgelegte Strecken untersucht und kategorisiert. Mehr als 30 Strecken wurde dabei ein relevantes Fahrgastpotenzial bescheinigt. Reaktivierungen der vergangenen Jahre wie zum Beispiel die Schönbuchbahn in den Landkreisen Böblingen und Tübingen haben gezeigt, dass einige reaktivierte Schienenstrecken sogar noch deutlich stärker genutzt werden, als zunächst vorhergesagt. Zwischenzeitlich wurde die Schönbuchbahn auch elektrifiziert, der Takt für Fahrgäste wurde verdichtet und damit die Attraktivität der Strecke nochmal deutlich gesteigert.
Ein Problem, das Ulrich Ruckh sieht, sind die zahlreichen unbeschrankten Bahnübergänge auf der Strecke. „Das führt dazu, dass die SAB momentan als Bummelbahn mit 30 Stundenkilometern auf der Strecke verkehrt. Wenn man höhere Frequenz hinbekommen will, wird man nicht umhinkommen, einen Teil der Bahnübergänge zu reduzieren. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass überall Schranken hinkommen. Das bietet aber natürlich auch Konfliktpotenzial.“
Bereits bei zwölf Schienenwegen wird die Reaktivierung vertieft geplant (wie bei der Echaztalbahn), oder es stehen aufgrund der bisherigen Planungsergebnisse Entscheidungen über die weitere Vorgehensweise an. Die Hermann-Hesse-Bahn zwischen Calw und Weil der Stadt, das derzeit am weitesten fortgeschrittene Reaktivierungsvorhaben in Baden-Württemberg, befindet sich bereits im Bau. Bei anderen Projekten wie Colmar–Freiburg, dem wichtigen grenzüberschreitenden Lückenschluss am Oberrhein, schreiten die Planungen voran. Die Ergebnisse der aktuellen Planungsphase werden im Laufe dieses Jahres erwartet.