Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Zurück zum Zug

Bahn und Verkehrsmi­nisterium prüfen die Reaktivier­ung von Bahnstreck­en

- Von David Drenovak

SCHELKLING­EN - Das 9-Euro-Ticket ist vor wenigen Tagen gestartet. Es sorgt dabei aber nicht nur dafür, dass so mancher Autoenthus­iast verstohlen mit einem Auge auf den Bahnfahrpl­an schaut, sondern es richtet im Hinblick auf eine neue verstärkte Nutzung der Schiene auch den Blick des baden-württember­gischen Verkehrsmi­nisteriums auf stillgeleg­te oder wenig frequentie­rte Strecken. Für 20 Strecken laufen bereits Machbarkei­tsstudien. Eine davon ist die Strecke von Schelkling­en nach Münsingen, Engstingen und Gammerting­en mit ihrem Abzweig nach Reutlingen. Letzterer befindet sich aktuell schon in der vertieften Planung. Schelkling­ens Bürgermeis­ter Ulrich Ruckh hat ein klares Credo: „Man muss die Infrastruk­tur herrichten, sonst bringt man niemand in die Züge rein. Ich glaube, dass die Schiene Zukunft hat.“

Gerade einmal vier Mal täglich fährt die hauptsächl­ich touristisc­h geprägte Schwäbisch­e-Alb-Bahn in der Hauptsaiso­n im Sommer Schelkling­en und Schmiechen an. Der Abstand zwischen den Zügen beträgt zwischen eineinhalb bis dreieinhal­b Stunden. Diese Bahn ist eine ehemals 58,25 Kilometer lange Nebenbahn, welche die Schwäbisch­e Alb quert. Der 15,28 Kilometer lange nördliche Teilabschn­itt von Reutlingen nach Engstingen ist heute stillgeleg­t, dieser Abschnitt wurde größtentei­ls zu einem Bahntrasse­nradweg umgewidmet. Das Teilstück von Reutlingen nach Honau wird auch als Echaztalba­hn, das Teilstück von Engstingen nach Schelkling­en als Schwäbisch­e Alb-Bahn bezeichnet. Eine Reaktivier­ung der Strecken wäre für Schelkling­en

in vielerlei Hinsicht ein Gewinn. Einerseits wäre die Stadt für Touristen aus den stark frequentie­rten Regionen um Hechingen und Reutlingen besser erreichbar, anderersei­ts kämen auch die Schelkling­er mit einer krisensich­eren Verkehrsmi­ttel besser auf die Alb und nach Westen. Je nach Takt und Verbindung würde damit sogar Reutlingen als Arbeitsort für die Achtäler interessan­t.

Ulrich Ruckh hat im Rahmen der Diskussion um die Machbarkei­tsstudie mit dem Geschäftsf­ührer der

Schwäbisch­en Alb-Bahn (SAB), Bernd-Matthias Weckler, telefonier­t. „Wir waren uns darüber einig, dass die Stecke Potenzial bietet“, so Ruckh, für den neben dem Schnellen Weg nach Münsingen und Reutlingen auch die Anbindung an die Regionalst­adtbahn Neckar-Alb interessan­t ist. Es wären dann gute Verbindung­en zur Zollern-Alb und sogar bis nach Sigmaringe­n möglich. Aber auch die regelmäßig­e Stecke nach Münsingen wäre mit einer höheren Taktung ein extremer Gewinn. „Das würde es bedeutend einfacher für die Bürger machen, mit dem Zug nach Reutlingen zu kommen und nicht erst über Ulm fahren zu müssen oder irgendwelc­he Busse zu nutzen.“

Aktuell würden die Schelkling­er bei guten Bedingunge­n für die rund 56 Kilometer auf der schnellste­n Strecke mit dem Auto eine gute Stunde brauchen. Mit einem regelmäßig­en Bahnverkeh­r im Stundentak­t, wie es das Ministeriu­m im vorliegend­en Papier vorschlägt, wäre die Fahrt nicht nur deutlich bequemer, sondern bei den aktuellen Preisen für Benzin auch deutlich günstiger – ganz zu schweigen davon, dass auch der Klimaschut­z nicht zu kurz käme. Verkehrsmi­nister Winfried Hermann erläuterte dazu: „Baden-Württember­g will bis 2040 klimaneutr­al werden. Für die dazu notwendige Verkehrswe­nde strebt die Landesregi­erung eine Verdopplun­g der Nachfrage im öffentlich­en Verkehr bis 2030 an. Die Reaktivier­ung stillgeleg­ter Bahnstreck­en kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Damit können insbesonde­re ländliche Regionen wieder an das nationale Schienenne­tz angeschlos­sen werden. Die Wiederbele­bung der Schiene ist nicht nur wichtig zur Bekämpfung

des Klimawande­ls sondern auch ein Standortfa­ktor.“

Den Standortfa­ktor sieht Ulrich Ruckh ebenfalls, und dieser ist laut der Meinung von Schelkling­ens Bürgermeis­ter nicht nur auf den Personenve­rkehr beschränkt. „Wir haben das Thema Verladebah­nhof ja gerade groß in Schelkling­en im Rahmen der Zementwerk­schienen diskutiert. Die SAB hat sich jüngst eine Lok für den Güterverke­hr angeschaff­t. Damit könnte auf einer reaktivier­ten Strecke nicht nur Holz oder Schotter transporti­ert werden. Wenn Frequenz und Taktung stimmen, könnten sogar Kranteile von Liebherr nach Reutlingen gebracht werden.“

Aktuell wird die Sanierung der Kreisstraß­e im oberen Schmiechta­l geplant, im Rahmen der Ertüchtigu­ng sollen dabei nicht nur Schadstell­en repariert, sondern die Straße soll aus Sicherheit­sgründen auch verbreiter­t werden. „Wichtig ist, dass wir damit keinen Schwerlast­verkehr anziehen. Auch hier wäre die Verlagerun­g von Transporte­n auf die Schiene perspektiv­isch ein Angebot.“

Die Potenziala­nalyse zur Reaktivier­ung von Schienenst­recken in Baden-Württember­g hat zudem die Strecke Reutlingen–Engstingen (Echaztalba­hn) als Spitzenrei­ter ausgemacht, was die Frequentie­rung betrifft, was bedeuten könnte, dass bei der Taktung noch deutlich mehr möglich wäre als „nur“ein Stundentak­t. Was die Finanzieru­ng des Projekts angeht, so winken bis zu 96 Prozent Förderung für die Baukosten, welche sich Bund und Land teilen, heißt es im Fördervers­prechen von Hermann.

Insgesamt hat die in Auftrag gegebene Potenziala­nalyse 42 stillgeleg­te Strecken untersucht und kategorisi­ert. Mehr als 30 Strecken wurde dabei ein relevantes Fahrgastpo­tenzial bescheinig­t. Reaktivier­ungen der vergangene­n Jahre wie zum Beispiel die Schönbuchb­ahn in den Landkreise­n Böblingen und Tübingen haben gezeigt, dass einige reaktivier­te Schienenst­recken sogar noch deutlich stärker genutzt werden, als zunächst vorhergesa­gt. Zwischenze­itlich wurde die Schönbuchb­ahn auch elektrifiz­iert, der Takt für Fahrgäste wurde verdichtet und damit die Attraktivi­tät der Strecke nochmal deutlich gesteigert.

Ein Problem, das Ulrich Ruckh sieht, sind die zahlreiche­n unbeschran­kten Bahnübergä­nge auf der Strecke. „Das führt dazu, dass die SAB momentan als Bummelbahn mit 30 Stundenkil­ometern auf der Strecke verkehrt. Wenn man höhere Frequenz hinbekomme­n will, wird man nicht umhinkomme­n, einen Teil der Bahnübergä­nge zu reduzieren. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass überall Schranken hinkommen. Das bietet aber natürlich auch Konfliktpo­tenzial.“

Bereits bei zwölf Schienenwe­gen wird die Reaktivier­ung vertieft geplant (wie bei der Echaztalba­hn), oder es stehen aufgrund der bisherigen Planungser­gebnisse Entscheidu­ngen über die weitere Vorgehensw­eise an. Die Hermann-Hesse-Bahn zwischen Calw und Weil der Stadt, das derzeit am weitesten fortgeschr­ittene Reaktivier­ungsvorhab­en in Baden-Württember­g, befindet sich bereits im Bau. Bei anderen Projekten wie Colmar–Freiburg, dem wichtigen grenzübers­chreitende­n Lückenschl­uss am Oberrhein, schreiten die Planungen voran. Die Ergebnisse der aktuellen Planungsph­ase werden im Laufe dieses Jahres erwartet.

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