Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Was das geplante Verbrenner-Aus bedeutet

Verkaufsve­rbot für Benzin- und Dieselfahr­zeuge wohl ab 2035 – Verbrauche­r in Sorge, Arbeitsplä­tze in Gefahr

- Von Dorothee Torebko und Igor Steinle

BERLIN - Es ist eine bahnbreche­nde Entscheidu­ng mit gravierend­en Folgen für deutsche Autofahrer: Das Europaparl­ament hat das Aus für den Verbrennun­gsmotor beschlosse­n. Ab 2035 werden aller Voraussich­t nach Autoherste­ller dazu verpflicht­et, die CO2-Emissionen ihrer Neuwagenfl­otten um 100 Prozent zu senken. Ein Verkauf neuer Pkw mit Diesel-, Benzinoder Hybridantr­ieb wäre dann nur noch unter hohen Strafen möglich. Ziel der Maßnahme ist es, dass Europa bis 2050 klimaneutr­al wird. Welche Auswirkung­en hat das auf die Verbrauche­r? Macht Deutschlan­d beim EU-Plan mit? Und was hat der Emissionsh­andel damit zu tun?

Kann ich mir noch einen Verbrenner kaufen?

Ja. Autos mit Verbrennun­gsmotoren werden bis 2035 weiter produziert und verkauft. Das gilt auch für Plugin-Hybride. Allerdings haben schon viele Autoherste­ller wie VW oder Mercedes-Benz voll auf Elektromob­ilität gesetzt und ihre Produktion umgestellt. Die Entscheidu­ng des EU-Parlaments hat viele Unternehme­n daher nicht geschockt. Die Antriebswe­nde ist im vollen Gang. Dennoch schaffen sich heute noch viele Deutsche lieber ein Auto mit Verbrennun­gsmotor an als ein E-Fahrzeug. Das liegt zum ersten daran, dass man häufig bis zu einem Jahr auf ein E-Auto warten muss. Zum zweiten ist die Ladeinfras­truktur – insbesonde­re Schnellade­säulen – zu wenig ausgebaut, und drittens können sich viele einen Neuwagen trotz des Staatszusc­husses nicht leisten.

Ist Sprit künftig noch bezahlbar? Vieles spricht dafür, dass es nach 2035 ohnehin teuer wird, noch einen Verbrenner zu fahren. Der von der Großen Koalition beschlosse­ne CO2Preis je Tonne ausgestoße­nen Kohlendiox­ids sorgt dafür, dass sich die Spritkoste­n kontinuier­lich erhöhen. Hinzu kommt, dass die Autokonzer­ne ihre Flotte momentan auf Elektroant­riebe umstellen, auch um die bereits gültigen CO2-Flottengre­nzwerte der EU einzuhalte­n. Das wird dazu führen, dass E-Autos im Vergleich zum Verbrenner wahrschein­lich immer rentabler werden. Sollte es in den 2030er-Jahren möglich sein, Verbrenner mit umweltfreu­ndlichen synthetisc­hen Kraftstoff­en zu betanken, wird es sich dabei aufgrund der hohen Herstellun­gskosten wohl ebenfalls um eine kostspieli­ge Angelegenh­eit handeln.

Hat das Parlament auch E-Fuels verboten?

Laut EU-Parlaments­beschluss sind auch Verbrennun­gsmotoren verboten, die mit synthetisc­hen Kraftstoff­en betrieben werden. Diese mit Ökostrom erzeugten Kraftstoff­e sind in der Produktion klimaneutr­al. Ihr Einsatz im Pkw-Bereich ist aber umstritten. Denn die Produktion ist sehr teuer, und Experten gehen davon aus, dass E-Fuels im Schiffs- und Flugverkeh­r gebraucht werden, wo die Elektrifiz­ierung nicht so leicht möglich ist.

Was wird aus den Zulieferer­n und den Arbeitsplä­tzen in der Autoindust­rie?

„Für die Zulieferer ist die Transforma­tion der Automobilb­ranche eine Riesenhera­usforderun­g“, sagt Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) der Fachhochsc­hule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. „Viele haben zwar schon vor Jahren Alternativ­en entwickelt und ihre Produktion umgestellt. Doch gerade für kleine und mittelstän­dische Unternehme­n ist die Antriebswe­nde mit großen Umstruktur­ierungen verbunden“, befürchtet Bratzel.

Der CAM-Direktor hält Investitio­nshilfen für kleine und mittelstän­dische Betriebe deshalb für sinnvoll.

Große Zulieferer seien darauf nicht angewiesen. Laut einer CAM-Studie könnten 20 bis 25 Prozent der 800 000 Arbeitsplä­tze in der Automobili­ndustrie wegfallen. Das wären 160 000 bis 200 000 Jobs. Zugleich würden aber neue Arbeitsplä­tze in den Bereichen Ladeinfras­truktur, Batteriepr­oduktion und Digitalisi­erung entstehen. Der Auto-Experte plädiert außerdem dafür, die soziale Frage nicht aus den Augen zu verlieren. „Wenn Automobili­tät so teuer wird, dass sich Normalverb­raucher kein Fahrzeug mehr leisten können, droht auch hierzuland­e eine Gelbwesten­bewegung wie in Frankreich“, warnt Bratzel.

Ist die Entscheidu­ng endgültig? Nein. Ende Juni müssen sich die Mitgliedss­taaten auf eine Position festlegen. Danach müssen EU-Parlament und Ministerra­t einen Kompromiss

finden, damit die Vorgabe in Kraft treten kann.

Was macht die Bundesregi­erung jetzt?

Ob Deutschlan­d dem EU-Beschluss zustimmt, ist noch unklar. Stattdesse­n bahnt sich ein Streit um synthetisc­he Kraftstoff­e an. Auf der einen Seite steht die FDP, die E-Fuels auch bei neuen Verbrenner­n einsetzen will. Auf der anderen Seite sprechen sich die Grünen für das Verbrenner­Verbot aus. Finanzmini­ster Christian Lindner und Verkehrsmi­nister Volker Wissing (beide FDP) verweisen auf den Koalitions­vertrag. Darin heißt es, die Bundesregi­erung werde sich dafür stark machen, dass „nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen werden können“. Deshalb müsse sich die Bundesregi­erung laut Lindner in weiteren europäisch­en Verhandlun­gen für Technologi­eoffenheit einsetzen, sonst sei eine Zustimmung Deutschlan­ds nicht vorstellba­r.

An den Koalitions­vertrag wollen sich auch die Grünen halten. Der verkehrspo­litische Sprecher der Bundestags­fraktion, Stefan Gelbhaar, verweist aber auf eine andere Formulieru­ng in der Ampel-Vereinbaru­ng. Darin heißt es, dass die Bundesregi­erung den Vorschläge­n der EU-Kommission folgen und ab 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zulassen werde. Dies würde aber den Einsatz von E-Fuels ausschließ­en und das Gegenteil von dem bedeuten, was die FDP will.

Außerdem sei ihr Einsatz im Straßenver­kehr „hypothetis­ch“, sagt Gelbhaar. Denn: „Weder Wasserstof­ffahrzeuge noch synthetisc­her Kraftstoff sind aktuell im Massenmark­t verfügbar, eine diesbezügl­iche Änderung ist nicht zu erwarten.“Sollte es dennoch Überschuss­mengen an E-Fuels geben, „sollten diese für fossile Alt-Pkw und Alt-Lkw genutzt werden“, betont der Verkehrspo­litiker.

SPD-Fraktionsv­ize Detlef Müller sieht das ähnlich. Er geht davon aus, dass synthetisc­he Kraftstoff­e insbesonde­re für Flug-, Schiffs- und Lastverkeh­r vorbehalte­n werden. Erst wenn E-Fuels billiger werden, „können synthetisc­he Kraftstoff­e eine klimaschon­ende Option für den Bereich der Bestandsfa­hrzeuge sein“. Für ihn ist klar, dass „der Verbrennun­gsmotor im Pkw-Bereich vor dem Aus steht und sich die Branche weltweit auf elektrisch­e Antriebe im motorisier­ten Individual­verkehr“fokussiert. „Die gestrige Entscheidu­ng ist deshalb richtig, weil sie der Industrie, der Politik und der Bevölkerun­g einen klaren Orientieru­ngsrahmen und Zeithorizo­nt gibt“, sagte er.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Abgase ade: Autos mit Verbrennun­gsmotor könnten bald der Vergangenh­eit angehören. Dabei kaufen sich viele Deutsche immer noch lieber einen Verbrenner als ein E-Auto. Grund ist oftmals der Preis.

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