Tank oder Teller
Warum die Biosprit-Pläne des Umweltministeriums in Industrie und Landwirtschaft auf Unverständnis stoßen
RAVENSBURG - Was noch vor Kurzem als Hoffnungsträger galt, wird plötzlich verteufelt: Geht es nach dem Willen von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) soll die Förderung von Biokraftstoffen aus Nahrungs- und Futtermitteln abgeschafft werden. Begründet werden die Pläne mit dem Krieg in der Ukraine und der damit verbundenen Lebensmittelknappheit. Sowohl Lemke als auch Agrarminister Cem Özdemir („Es ist nicht nachhaltig, Weizen und Mais in den Tank zu schütten.“) wollen, dass Agrarflächen, auf denen aktuell Pflanzen zur Gewinnung von Biosprit angebaut werden, für die Ernährung von Menschen statt für den Tank genutzt werden.
Erreicht werden soll das über die sogenannte Treibhausgasminderungsquote (THG-Quote). Diese THG-Quote verpflichtet Mineralölkonzerne dazu, den CO2-Ausstoß ihrer Kraftstoffe um einen bestimmten Prozentsatz zu senken. Aktuell liegt die Quote bei sechs Prozent, bis 2030 soll sie auf 25 Prozent steigen. Bis zu 4,4 Prozent dieser THG-Quote konnten Kraftstoffanbieter bislang mit der Beimischung von Biosprit erfüllen – vor allem mit Biodiesel oder Bioethanol, das aus Rapsöl, Zuckerrüben oder Getreide gewonnen wird, zum Teil auch aus Palmöl.
Dieser Anteil soll im Jahr 2023 auf 2,5 Prozent reduziert werden und bis 2030 auf null sinken. Allein mit diesem ersten Schritt hofft das Umweltministerium, knapp zehn Millionen Tonnen Nahrungs- und Futtermittel einzusparen. Damit, so die aufgestellte Rechnung, würde eine Anbaufläche von etwa 1,1 Millionen Hektar für Pflanzen frei, die für die menschliche Ernährung genutzt werden könnte.
In den betroffenen Branchen herrscht angesichts der vom Umweltministerium angestoßenen Tank-oder-Teller-Debatte helle Aufregung. Vor allem der Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB) reagierte angefasst. Er warf dem Umweltministerium „Verdrehungen und längst widerlegte Behauptungen“vor. Die Kritik des VDB bezieht sich vor allem auf die vom Ministerium genannte Fläche. Biokraftstoffe würden in Wahrheit weit weniger Fläche verbrauchen, argumentiert der Verband.
Das liege daran, dass etwa 2021 die THG-Quote nicht voll ausgeschöpft und nur 3,9 Prozent statt der möglichen 4,4 Prozent mit Biosprit erfüllt worden seien. Darüber hinaus entstehe bei der Herstellung eiweißreiches Tierfutter. „Aus 60 Prozent der Rapsernte wird Rapsschrot zur Tierfütterung, lediglich 40 Prozent werden zu Pflanzenöl, aus dem Biodiesel gewonnen werden kann“, argumentiert VDB-Geschäftsführer Elmar Baumann. Diese Mengen dürften aber nach Ansicht des Verbands nicht zur Anbaufläche von Biosprit dazugezählt werden.
Ohnehin sei bei den derzeit hohen Agrarpreisen die Herstellung von Biodiesel von den Produzenten längst zurückgefahren worden. Und für Bioethanol werde zumeist Getreide verwendet, das nicht nahrungsmitteltauglich sei. Die vom Umweltministerium jetzt angedachten Maßnahmen seien daher nichts weiter als „nutzlose Symbolpolitik“. Aufgrund der Marktentwicklungen, die sowieso stattfinden, würden sie den Nahrungsmittelmarkt in keiner Weise entlasten, so Baumann.
Auch bei den Bauern ernten die politischen Entscheidungsträger Kopfschütteln. „Die Landwirte erzeugen Raps, Zuckerrüben, Weizen und weiteres Getreide ja nicht unter dem Vorsatz, daraus wird einmal Biosprit. Es wird produziert für die eigenen Tiere oder eine Mühle, und der Großteil geht über den Landhandel. Dieser hat dann eventuell Verträge mit Bioethanolerzeugern. Raps und Zuckerrüben können aber genauso in den menschlichen Verzehr gehen. In der Regel erzeugen Landwirte die Kultur, die wirtschaftlich ist, zum Betrieb und in die Fruchtfolge passt“, heißt es beim Landesbauernverband Baden-Württemberg.
Für Hubert Werner aus Schemmerberg (Landkreis Biberach) hat die Tank-oder-Teller-Debatte deshalb auch „überhaupt keine Grundlage“. Um hohe Erträge im Pflanzenbau zu erzielen, müsste eine Fruchtfolge eingehalten werden. Und da gehöre Raps als idealer Stickstofflieferant für nachfolgende Kulturen zwingend dazu, sagt der Landwirt, der als einer der Letzten in der Region noch eine Ölmühle betreibt und rund eine Million Liter Rapsöl im Jahr presst. Doch nur 30 Prozent des hierzulande erzeugten Rapsöls wird auch im Nahrungsmittelbereich verwendet. Was passiert mit den Mengen, sollten die Hersteller von Biokraftstoff als Abnehmer fehlen, fragt Werner.
Zumal die Biokraftstoffbranche bereits heute Teil einer zertifizierten Wertschöpfungskette ist. Ein Produktionsstopp hätte damit nicht nur Auswirkungen auf wichtige Lebensund Futtermittel, sondern auch auf die Produktion von nachhaltigem Glycerin für Pharmazie und Kosmetika. Entfallen diese Koppelprodukte, müssen die Branchen Alternativen suchen oder auf fossile Ausgangsstoffe zurückgreifen.
Nadine Dejung-Custance, Pressesprecherin des Mannheimer Bioethanolherstellers Cropenergies AG, macht folgende Rechnung auf: „Aus einer Tonne Futterweizen gewinnen wir zum Beispiel 300 Kilogramm Ethanol, 300 Kilogramm biogenes Kohlenstoffdioxid sowie 400 Kilogramm proteinhaltige Futtermittel. Letztere ersetzen Sojaimporte aus Nord- und Südamerika und sind momentan eine wichtige Alternative zu ausgefallenen Importen wie Sonnenblumenschrot aus der Kriegsregion Ukraine. Bei einer Produktionseinschränkung würde die Abhängigkeit von fossilen Ölimporten ansteigen, der Beitrag zum Klimaschutz sinken und die Versorgungssicherheit
– auch bei Lebensund Futtermitteln – gefährdet werden.“
Vor allem der Beitrag zur Energieversorgungssicherheit und zum Klimaschutz werden Biokraftstoffbranche und Landwirtschaft nicht müde zu betonen. So hätten Bioethanol und Biodiesel als Beimischung zu fossilen Kraftstoffen allein in Deutschland im Jahr 2020 mit rund 4,5 Millionen Tonnen Kraftstoff zur Energieversorgung im Verkehrssektor beigetragen und damit den entsprechenden Importbedarf von Rohöl beziehungsweise fossilen Kraftstoffmengen aus oftmals instabilen Weltregionen sowie autokratischen Ländern reduziert. Zudem habe der Einsatz von Biokraftstoffen jährlich mehr als zehn Millionen Tonnen CO2 reduziert.
Ob diese Argumente in der Ampel-Koalition stechen, dürfte sich schon bald zeigen. Dem Vernehmen nach will das Bundesumweltministerium bereits in der kommenden Woche einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem die Anreize für den Einsatz von Biokraftstoffen im Verkehr sukzessive abgeschafft werden sollen.