Moderne Technik gegen den Mäh-Tod
Ehingens Jäger und Landwirte engagieren sich bei Kitz-Rettung mit Drohnen gegen Tierleid
EHINGEN - Es ist ein früher Donnerstagmorgen unterhalb des Kohlerbergs am südwestlichen Stadtrand von Ehingen. Die Sonne steht zwar schon am blauen, wolkenlosen Himmel und sorgt dafür, dass sich die Luft merklich erwärmt – es wird wohl ein heißer Tag werden. Am Boden hingegen ist das Gras aber noch mit Tau bedeckt und kühl. Jetzt im Frühsommer ragen die Stängel von Knäulgras oder Glatthafer in den Wiesen schon sehr hoch hinaus. Diverse Klee-Arten blitzen mit ihren weißen und roten Blüten aus dem grünen Meer heraus - es ist die Zeit der Frühmahd, in der die Landwirte das erste Mal im Jahr die Futterwiesen mähen, um ihre Tiere, beispielsweise in der Milchwirtschaft, mit hochwertiger Nahrung zu versorgen.
Was für die einen leckeres Futter sein wird, ist für die anderen Deckung und Kinderstube. Für Rehwild und Feldhasen sind die wilden Wiesen am Waldrand das optimale Biotop, um ihren Nachwuchs aufzuziehen. Bei den Feldhasen dauert die Setzzeit, je nach Witterung von Februar bis Oktober. Insgesamt können es im Jahr bis zu vier Würfe mit bis zu fünf Jungen sein. Beim Rehwild werden rund 96 Prozent aller Kitze im Mai oder Juni geboren. Oft gibt es Zwillings- manchmal auch Drillingsgeburten, aber auch einzelne Kitze sind keine Seltenheit.
Auf diese kleinen rotbraunen Jungtiere mit ihren weißen Flecken und Linien haben es Manfred Waldmüller und Paul Baur abgesehen, die gerade mit ihrem grauen Geländewagen am Rand der Wiese halt machen. Schon als beide Aussteigen und die Autotüren klappen springt ein Wildtier ab und sorgt mit seiner Bewegung im hohen Gras für eine deutlich sichtbare Blütenstaubwolke. Eine Gefahr geht heute für die Rehe von den beiden Jägern aber nicht aus.
Baur und Waldmüller sind eines von zwei Teams, die mit den Drohnen der Ehinger Jägervereinigung fliegen. Der Landwirt, der die Wiese bewirtschaftet hat sich gemeldet – er möchte mähen. Damit die kleinen Rehkitze, die von ihren Müttern tagsüber in den Wiesen abgelegt werden und nur zum Säugen besucht werden, keinen furchtbaren Tod sterben oder schlimm verstümmelt werden, fliegen die beiden die Wiese früh morgens mit ihrer Drohne ab. Denn die Kitze verlassen sich in diesem jungen Alter noch voll und ganz auf ihre Tarnung und flüchten selbst vor einem laut tösenden Mähwerk nicht. Das Problem: Dieser Instinkt fällt genau in die Zeit der Frühmahd. Ein Jäger, der einmal ein ausgemähtes Kitz erlösen musste, vergesse diesen schrecklichen Moment nie wieder, darin ist sich das Drohnen-Team einig.
„Morgens, wenn das Gras noch kalt ist, sehen wir mit unserer Wärmebildkamera an der Drohne deutlich, wo die Kitze liegen“, erklärt Manfred Waldmüller. Deshalb müssen die Männer nun auch zügig arbeiten, bevor es zu warm wird. Sie laden Obstkisten, eine Markierungszange und zuletzt die Drohne aus. Die Jägervereinigung Ehingen besitzt aktuell zwei Drohnen, überlegt jedoch schon die Anschaffung einer dritten.
Eine runder, blauer Kunststoffschirm dient als Start- und Landeplatz für das kleine graue Flugobjekt, mit seinen vier Propellern und der frei bewegbaren Kamera. Während Manfred Waldmüller eine große schwarze Kiste mit Akkus holt und eine neuen voll geladenen einsetzt, verbindet Paul Baur das Handgerät, das zur Steuerung dient mit einem USB-Stick, auf dem die Geodaten der Wiese und Wegpunkte gespeichert sind, welche die Drohne später automatisch abfliegen wird.
Viel unterschiedet das Handgerät nicht von den klassischen Fernbedienungen Ferngesteuerter Autos mit denen sicherlich schon jeder einmal in seiner Jugend gespielt hat. Es hat zwei Antennen zwei Joysticks in der Mitte einen Bildschirm, der vielleicht so groß ist, wie zwei durchschnittliche Handys, und ein paar zusätzliche Knöpfe. „Wenn wir die Geodaten bekommen, ist das natürlich optimal, dann kann ich schon am Vorabend alles vorbereiten und wir müssen eigentlich nur noch auf Start drücken“, erklärt Baur. Allerdings sei das nicht immer der Fall. Von Papierausdrucken bis zu Screenshots von Google-Maps, auf denen händisch grob eine Fläche eingezeichnet wird, bekommen sie alles. Deshalb überwiegt oft genug die manuelle Steuerung der Drohne.
Heute sind die Bedingungen aber optimal. Nachdem Paul Bauer die Daten geladen hat, übernimmt Manfred Waldmüller die Steuerung und startet. Nach kurzem Rattern erklingt ein sonores Surren und die Rotoren der Drohne kommen immer schneller in Bewegung, bis das Fluggerät vor den beiden Jägern rund drei Meter hoch in der Luft schwebt und Waldmüller das Flugprogramm startet.
In rund 35 Metern Höhe richtet die Drohne am ersten Wegpunkt ihre Kamera aus und überfliegt langsam die Wiese. Manfred Waldmüller und Paul Baur blicken jetzt angespannt und konzentriert auf den Bildschirm. Während auf der rechten Seite das Realbild der Wiese gezeigt wird, findet sich links das Wärmebild. Und da plötzlich, ein kleiner gelber Punkt inmitten lila-blauer Flächen. Manfred Waldmüller stoppt die Drohne und lässt sie genau darüber schweben. Mit etwas mehr Zoom und niedriger Flughöhe ist klar: Dort liegt ein Kitz.
Ausgerüstet mit Gummihandschuhen, einer Obstkiste und einem großen Büschel Wiesengras macht sich Paul Baur auf den Weg. Ruhig und mit vorsichtigen Schritten bahnt er sich seinen Weg durch das hohe Gras, bis er selbst beinahe direkt unter der Drohne steht. Und obwohl er nicht einmal mehr einen Meter vom Kitz entfernt ist, muss er sich anstrengen das kleine Fellbündel zu entdecken. Ganz vorsichtig, dass ja keine menschliche Witterung an dem Kleinen kleben bleibt, seine Mutter würde es sonst nicht mehr annehmen, nimmt er es mit Handschuhen und viel Grün hoch und setzt es in die Obstkiste, welche dann am Rande der Wiese ihren Platz bekommt. Bevor das Kleine nach der Mahd wieder freigelassen wird, bekommt es noch eine gelbe Ohrmarke. Im Rahmen der Rehkitzrettung bittet der Landesjagdverband die Jäger um ihre Hilfe bei Rehwildmonitoring. Dies ist aber freiwillig.
An diesem Morgen schaffen die beiden Kitzretter zwei Wiesen, bevor die Sonne den Boden zu sehr erwärmt. Manfred Waldmüller und Paul Baur sind zufrieden, auch wenn es heute nur ein Kitz war und keine weiteren kleinen gelben Punkte auf dem Bildschirm aufgetaucht sind. „Jedes gerettete Kitz ist wichtig, deshalb sind unsere Teams so oft wie möglich im Einsatz“, sagt Manfred Waldmüller, während er mit Paul Baur schon die kommenden Einsätze am nächsten Morgen plant.