Schluss mit schmutzig
Die Wasserqualität von Flüssen wie der Donau ist hoch wie nie, trotzdem steckt der Südwesten Millionen Euro in zusätzliche Klärstufen und ein Professor schwimmt dem Mikroplastik hinterher. Dabei lauert eine viel größere Bedrohung.
ULM - Die Menschen hängen an seinen Lippen, hören ihm zu. Nicht nur im Hörsaal, wo Andreas Fath (57) seine Studenten mit den Geheimnissen der Chemie vertraut macht. Sondern auch in Ulm, wo der „schwimmende Professor“Ende April den staunenden Journalisten Fragen zu seiner neuesten waghalsigen Mission beantwortet. Die Reporter vor ihm wedeln hektisch mit den Mikrofonen. Im Hintergrund die Donau.
Rund 2700 Kilometer wolle er zurücklegen in dem Fluss, erklärt Fath ruhig und konzentriert – schwimmen von der Donauquelle im Schwarzwald bis zur Mündung im Schwarzen Meer. Täglich bis zu acht Stunden, ohne Hilfsmittel. Rund zwei Monate Schwerstarbeit auch für den gut trainierten Leistungsschwimmer Fath, der gesteht, dass es nicht immer Spaß mache, sich schon morgens in den kalten und feuchten Neoprenanzug zu quetschen. Warum sich der 57-Jährige so quält? Er will Aufmerksamkeit wecken für ein ganz bestimmtes Thema – und die ist dem Medienprofi, der bereits ein Buch geschrieben („Rheines Wasser: 1231 Kilometer mit dem Strom“) und über den ein TV-Sender auch schon eine Dokumentation gedreht hat, sicher. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Donauanrainern: in Österreich und auf dem Balkan. Unlängst nahm er auf der Couch im serbischen Frühstücksfernsehen Platz.
Sein Anliegen: ein eher unappetitliches. Es geht ihm um die Verschmutzung von Flüssen durch Mikroplastik, der Donau aktuell im Speziellen. Auch den Rhein durchschwamm er bereits in ähnlicher Sache. Fath warnt und zeichnet bedrohliche Bilder, spricht von einer Plastikflut, die sich in die Flüsse ergieße. Vier Tonnen Mikroplastik seien es beispielsweise, die mit der Donau ins Schwarze Meer gespült würden – täglich. Verursacher sei jeder Einzelne von uns. Es sei „kein Kavaliersdelikt“, seinen Müll – Flaschen, Tüten, Verpackungen – in der Natur zu „entsorgen“, sagt Fath. Denn früher oder später lande das Plastik in den Flüssen und letztlich in den Meeren, zerfalle zu Mikroplastik, mit dem bloßen Auge kaum mehr wahrzunehmen. Und dann, so Fath, gingen die eigentlichen Sorgen erst los.
Sorgen um ihre Flüsse machen sich die Menschen in Mitteleuropa schon eine ganze Weile. Doch wie bei der Atomkraft (zumindest in Deutschland): Es brauchte einen Knall, bis tatsächlich auch auf breiter Front ein Umdenken stattfand. Es war im selben Jahr der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, 1986, als in Basel eine Lagerhalle des damaligen Chemiekonzerns Sandoz brannte. Kontaminiertes Löschwasser floss in den Rhein und verursachte ein massives Fischsterben, das bis nach Mannheim reichte. Es war ein Weckruf: Das „Aktionsprogramm Rhein“wurde auf den Weg gebracht. Und Sandoz baute in der Folge eines der ersten Schutzsysteme der Welt auf.
Doch Uwe Bergdolt macht sich heute keine allzu großen Sorgen mehr über die Flüsse in Baden-Württemberg – zumindest nicht, was deren Verschmutzung angeht. Er leitet das Referat für Fließgewässerökologie bei der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) und sagt: Große Probleme gebe es bei der Wasserqualität heute eigentlich nicht mehr. Woher er dies weiß? Das verraten der LUBW unter anderem 170 Messstellen, an denen alle relevanten Flüsse des Landes regelmäßig beprobt werden.
Bergdolt sagt, er hätte keine gesundheitlichen Bedenken, heute in der Donau zu baden, auch wenn er es vermeiden würde, dabei viel Wasser zu trinken. Denn in den Flüssen tummeln sich noch immer coliforme Keime – also Bakterien aus menschlichen Ausscheidungen. Sie können zu Durchfall führen.
Zu früheren Zeiten jedoch war auch Baden nicht ratsam. Noch vor 50 Jahren seien die Abwässer der Siedlungen viel schlechter gereinigt in die Flüsse geleitet worden. „Der Fluss war damals quasi die Fortsetzung der Kläranlage“, sagt Bergdolt der „Schwäbischen Zeitung“. Folge der vielen organischen Stoffe und Nährstoffe in Donau & Co.: Der Sauerstoffgehalt nahm ab. Hinzu kamen weitere Belastungen – zum Beispiel durch die Landwirtschaft, die Nährstoffe wie Phosphor in ungesunder Menge in die Flüsse beförderte. Doch das Gegensteuern habe gewirkt und das Flusswasser in Baden-Württemberg sei so rein, wenn man so will, wie schon sehr lange nicht mehr. Zu verdanken sei dies vielen unterschiedlichen Maßnahmen; neben der verbesserten Kläranlagentechnik hätten auch neue Regeln in der Landwirtschaft dazu beigetragen – etwa die Vorgabe, Randstreifen zu Gewässern nicht mehr zu düngen oder mit Pflanzenschutzmitteln zu behandeln. Durch gezielten, den so genannten integrierten Pflanzenschutz, bemühen sich viele Bauern ohnehin darum, den Einsatz solcher Mittel zu reduzieren und Gewässer zu schonen. Im Jahr 2000 wurde die EU-Wasserrahmenrichtlinie aufgesetzt.
Aber Wasserqualität ist nicht alles. Deswegen werden Flussverläufe wieder in ihren möglichst ursprünglichen Zustand zurückversetzt und mit Fischtreppen versehen, damit Tier- und Pflanzenarten den Lebensraum vorfinden, den sie brauchen.
Der grün-schwarzen Landesregierung in Baden-Württemberg reicht das aber nicht. Sie treibt seit einigen Jahren eine „Spurenstoff-Strategie“voran, das Land sei diesbezüglich sogar bundesweit „führend“, merkt Uwe Bergdolt an. Auf seiner Kraulmission
durch zehn Länder die Donau hinab ins Schwarze Meer kommt auch Andreas Fath in den Kontakt mit Spurenstoffen, er sammelt sie ein mit einer kleinen Vorrichtung an seinem Fuß. Bei Spurenstoffen, so Bergdolt, handelt es sich um alles, was lediglich in „geringsten Mengen“in den Flüssen vorkomme, jedoch potenziell gefährlich sein könnte. So ganz genau wisse man dies aber nicht.
Als Beispiel für Spurenstoffe nennt Bergdolt Hormone, die in Medikamenten enthalten sind, jedoch von herkömmlichen Kläranlagen nur unzureichend beseitigt werden. Das Problem: Vieles liege im Trüben, etwa die Frage, wie verschiedene Spurenstoffe im Wasser zusammenwirken. Auch diese Frage stehe im Fokus: „Wie wirken hormonelle Stoffe auf Fische?“Die wiederum bei uns Menschen auf den Tellern landen.
Konkrete Gegenmaßnahme des Landes: Kläranlagen mit einer zusätzlichen vierten Reinigungsstufe auszustatten, was nach heutigem Stand effektiv zu sein scheint. Die zusätzliche Stufe soll mindestens 80 Prozent der Spurenstoffe den Garaus machen.
Das Problem: Die zusätzliche Klärstufe (Filtration durch Aktivkohle) ist teuer. Die Stadt Laichingen (Alb-Donau-Kreis) kann ein Lied davon singen. Fünf Millionen Euro kostete der Einbau, das Land übernahm immerhin zwei Millionen Euro.
Die Laichinger Anlage ist eine von heute 21 Kläranlagen mit dieser zusätzlichen Stufe in Baden-Württemberg, 23 befinden sich aktuell im Umbau oder in der Planung dazu – bei 900 Kläranlagen insgesamt im Südwesten. Weil eine flächendeckende Umrüstung schlicht zu teuer wäre, beschränke sich das Land auf die größten, erklärt Uwe Bergdolt und ergänzt, dass dies eine Frage der Effektivität sei: „Damit holen wir pro Euro die meisten Spurenstoffe aus den Flüssen.“Die zusätzlichen Reinigungsstufen dienten vor allem der „Vorsorge“.
Mitte Juni will der „schwimmende Professor“Andreas Fath sein Ziel, das Schwarze Meer, erreicht haben. Auf www.cleandanube.org lassen sich seine Reise und sein aktueller Standort verfolgen. Begleitet wird er von Studenten auf einem Beiboot, die die entnommenen Wasserproben analysieren und für Interessierte entlang der Strecke Umweltbildung anbieten.
Bei seinen Stopps in Ulm sowie in Wien bekam er hochkarätigen Beistand: in Person der jeweiligen Umweltministerin. In Ulm begleitete ihn Thekla Walker (Grüne) sogar für einen Kilometer im Wasser.
Andernorts muss Fath sogar Autogramme schreiben. Die Unterstützung seines Vorhabens entlang der Donau scheint gewaltig – und wirft zugleich die Frage auf, ob er damit nicht Eulen nach Athen trägt. Zumindest in Deutschland und Österreich schwimmt er offene Türen ein, wo funktionierende Pfand- und Klärysteme existieren, den Bürgern ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein attestiert wird. Fath selbst räumt ein: Das Plastik gelange vor allem in anderen Ländern in die Donau. Gemeint haben dürfte er damit in erster Linie Südosteuropa.
Am Ende jedoch egal, das Problem bleibe, so Fath, ein globales – und dadurch betreffe es alle Menschen. Wobei nicht das Mikroplastik als solches das eigentlich Tückische sei. Denn dieses scheidet der Körper wieder aus. Problematisch sei vielmehr der Umstand, dass sich die im Flusswasser vorhandenen Stoffe, die da nicht hineingehören, an den kleinen Plastikpartikeln ablagern. Welche dann von Fischen gefressen und so letztlich wieder vom Menschen aufgenommen werden. Das Mikroplastik fungiert sozusagen als Träger von noch gefährlicheren Stoffen hinein in den Körper. Für Uwe Bergdolt von der Landesanstalt für Umwelt spielt die Verschmutzung der Donau durch Mikroplastik nicht die entscheidende Rolle, zumindest nicht, was den baden-württembergischen Abschnitt angehe. Generell sei dies „kein größeres Problem“, aber zu suchen habe Mikroplastik im Wasser natürlich nichts. Deswegen sei jede Vermeidungsmaßnahme gut. Eine viel größere „Herausforderung“für alle Fließgewässer im Lande, für deren Flora und Fauna, bestehe aus seiner Sicht jedoch im Klimawandel – eine echte Bedrohung für Donau, Rhein und Neckar. Denn die steigenden Temperaturen erwärmen auch die Flüsse. Den Schaden hätten zunächst wieder die Fische, denn viele von ihnen seien auf kältere Temperaturen angewiesen. Für bestimmte Arten, so Bergdolt, dürfte es „problematisch“werden.
Dies bestätigt die Landes-Fischereiforschungsstelle in Langenargen (Bodenseekreis), bei der unlängst ein neues Buch vorgestellt wurde: „Auf schmalem Grad“. Präsentiert wurde
„Der Fluss war quasi die Fortsetzung der Kläranlage.“
Uwe Bergdolt von der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg
das Buch von Peter Hauk (CDU), dem Südwest-Landesminister für den ländlichen Raum, der bei seiner Einleitung eine düstere Prophezeiung machte. Es werde „nicht besser werden“in den kommenden Jahren mit der Erwärmung der Flüsse, „eher schlimmer“.
Hauk nahm Bezug auf die Artenvielfalt in den hiesigen Gewässern, in denen 56 Fischarten heimisch seien – noch. Die steigenden Temperaturen versetzten die Tiere in Stress, bereits heute seien 75 Prozent von ihnen gefährdet. Einige Verlierer des Klimawandels stünden aufseiten der schuppigen Schwimmer bereits fest: unter anderem Bachforelle und Äsche hätten zu kämpfen, so Hauk.
Apropos Kampf: Sorgen rund ums fließende Gewässer in Baden-Württemberg macht sich Uwe Bergdolt nicht nur wegen der Fische. Er hat die Menschen, die Gesellschaft im Blick. Die Sommer würden länger und heißer und trockener. Die Grundwasserpegel sinken. „Der Druck aufs Wasser steigt“, sagt er. Was er befürchtet sind Verteilungskämpfe um den kostbarsten Rohstoff auf diesem Planeten. Auch im Südwesten.