„Leider bekommen wir wieder einen Wettlauf West gegen Ost“
Astrophysiker Dirk Lorenzen über die Zukunft der Raumfahrt und darüber, warum der Mond nicht zum Ballermann im All wird.
BERLIN - Der Beirat der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos hat gerade entschieden, ab 2024 die russischen Teile der ISS abzukoppeln und daraus eine eigene Raumstation aufzubauen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat jegliche Zusammenarbeit mit Russland eingestellt. Was diese und andere Entwicklungen für die Zukunft der Raumfahrt bedeuten, beschäftigt den Astrophysiker, Journalisten und Buchautor Dirk Lorenzen sehr. Er verfolgt seit vielen Jahren die Entwicklungen der Raumfahrt und der Erforschung des Alls.
Herr Lorenzen, nachdem die Zusammenarbeit mit Russland eingefroren wurde, wird bald keine internationale Raumstation mehr zur Verfügung stehen. Was sind die Alternativen in der Zukunft? Private Raumstationen?
Die Idee der ISS – Zusammenarbeit über politische und kulturelle Grenzen hinweg – ist leider schon seit einigen Jahren tot. Beim Mond werden Nasa, Esa und Japan, Kanada sowie China und Russland wieder getrennte Wege gehen. Es wird leider keine ‚ISS-2‘ geben. Ob wirklich private Raumstationen in die Bresche springen, ist noch offen. Astronautische Raumfahrt ist extrem teuer. Ich bezweifle, dass es wirklich einen Markt für Flüge von Menschen zum Mond gibt. Ein paar superreiche Abenteurer werden das tun. Aber weder Erdumlaufbahn noch der Mond werden zum Ballermann im All – dafür ist das alles viel zu kostspielig. Die USA wollten China schon bei der ISS nicht dabei haben – das wird künftig sicher nicht besser.
Sehen Sie trotzdem Ansätze für eine neue internationale Zusammenarbeit in der Raumfahrt?
Leider bekommen wir wieder einen Wettlauf West gegen Ost im All. Etwas zynisch könnte man sagen, dass dann vielleicht sogar mehr Geld bewilligt wird, um den Gegner im All zu schlagen. Aber politische Ziele in der Raumfahrt verpuffen schnell – so war es auch bei Apollo. Daher ist es völlig offen, ob es überhaupt eine dauerhafte Rückkehr zum Mond geben wird. Vielleicht erleben wir eine Art Apollo-Wiederholung: Einzelne Länder bringen mit viel Aufwand Menschen auf den Mond, stellen diese Aktivitäten aber schnell wieder ein.
Welche Rolle wird China in der künftigen Raumfahrt spielen?
China hat klare Ziele, die es auf beeindruckende Weise verfolgt. China verfügt inzwischen über eine eigene kleine Raumstation, und es hat bereits tolle Mondmissionen durchgeführt, unter anderem mit der ersten Landung auf der Mondrückseite. Es ist gut möglich, dass der dreizehnte Mensch auf dem Mond nach den zwölf Apollo-Astronauten aus China kommt. Aber auch für dieses Land gilt: Politisches Prestige trägt nicht lange. Die Landung des ersten Chinesen oder der ersten Chinesin auf dem Mond wäre ein Triumph. Aber dann wird auch China merken, dass solche Missionen extrem teuer sind.
Und die privaten Anbieter? Was können die?
Der Transport von Satelliten und Menschen ins All wird künftig fast ausschließlich von Privatunternehmen erfolgen. SpaceX, Blue Origin und andere sind Speditionen und Reiseunternehmen, nicht für die Erde, sondern für die Umlaufbahn. Im
Auftrag etwa der Nasa wird man auch Menschen auf den Mond bringen. Ob solche Reisen aber ohne staatliche Aufträge erfolgen, ist fraglich. Ein Flugticket zum Mond kostet viele Hundert Millionen Euro. Das werden sich nicht viele Menschen leisten. Bisher hat auch SpaceX die Raumfahrt nicht dramatisch billiger gemacht. Für eine wirkliche Revolution im All müsste der Flug eines Menschen in die Umlaufbahn nicht mehr rund 60 Millionen Euro kosten, sondern 60 000.
Führt die schon vorhandene Kommerzialisierung der Raumfahrt zu einem Minus auf der Wissenschaftsseite?
Europas Raumlabor Columbus diente im April einer rein privaten Astronautengruppe als Schlafquartier. Zwei Wochen hieß es auf der ISS: Tourismus statt Forschung. Unfassbar! Raumsonden zu Mars und Jupiter oder Weltraumteleskope werden immer von Nasa, Esa und Co. kommen. Mit deren Betrieb lässt sich kein Geld verdienen. Kommerziell interessant ist die Raumfahrt vor allem für die Telekommunikation, also für Fernsehen, Telefon, Internet und Erdbeobachtung. Reine Forschung ist Sache von Staaten, nicht von Unternehmen.
Wie sieht die Zukunft der Erforschung des Mondes, des Mars und anderer Planeten aus? Werden daraus Prestigeprojekte privater Anbieter?
Die Suche nach Leben auf dem Mars, wie es ExoMars machen soll, ist Sache staatlicher Forschungsinstitutionen. SpaceX setzt auf den Mars, weil man dort Menschen hinbringen und viel Geld verdienen will. Der Mars sorgt auch für Aufmerksamkeit, ist ein gutes PR-Instrument. Dabei ist es auf dem Mars ganz schrecklich – jede Mülldeponie auf der Erde ist lebensfreundlicher als der Mars. Will da im Ernst jemand wohnen?
Lohnt sich nichtkommerzielle Raumfahrt in Zukunft überhaupt noch?
Raumfahrt ist im Kern Staatsaufgabe. Nichtkommerzielle Raumfahrt ist auch in Zukunft unverzichtbar. Zum Beispiel braucht Europa über die staatlich geförderte Ariane-6-Rakete den eigenen Zugang ins All. Wir hängen von Satelliten ab, etwa bei der Navigation, bei der Taktung von Computernetzen, bei der Beobachtung der Erde, von Wetter, Klima, Landwirtschaft oder Umweltkatastrophen – da dürfen wir uns niemals von kommerziellen Anbietern abhängig machen. Was würde Europa denn tun, wenn SpaceX plötzlich keine europäischen Satelliten mehr starten will oder darf?
Werden die wesentlichen staatlichen Investitionen in die militärische Aufrüstung des Weltalls gehen?
Die militärische Nutzung des Weltraums spielt in der Raumfahrt immer eine bedeutende Rolle – nicht für Waffen, sondern für Aufklärung und Kommunikation. Die größten Raumfahrtagenturen sind nicht Nasa & Co., sondern die Militärs in den USA, Russland und China. Aber es ändert sich viel, wie wir auch im Krieg in der Ukraine sehen: Noch vor 20 Jahren hatte praktisch nur das Militär Satellitenbilder zur Verfügung. Heute gibt es viele private Firmen, die zeigen, was vor Ort passiert. In diesem Punkt ist die Raumfahrt ziviler und demokratischer geworden.
Was ist Ihre Vision von internationaler Raumfahrt?
Variante 1: In zehn Jahren fliegen Menschen regelmäßig zum Mond, errichten eine Basis nahe dem Südpol und nutzen die neue GatewayRaumstation in der Umlaufbahn. Der Mond wird sozusagen „All-Tag“sein und die Menschheit rauft sich zusammen, um den Mars zu erkunden. 2040 könnten die ersten Menschen aufbrechen – aber keine Touristen, sondern Forscherinnen und Forscher, die auf dem Mars nach früherem oder noch heute existenten Mikroben suchen. Leider gibt es auch Variante 2: Die Blöcke in West und Ost merken, dass Flüge von Menschen zum Mond sündhaft teuer sind und stellen diese Programme wieder ein. Auch den Privatunternehmen geht das Geld aus, weil nicht viele Kunden astronomische Summen für eine Reise ins All bezahlen. Dann wäre es bald vorbei mit der astronautischen Raumfahrt. Hoffentlich kommt es anders – denn das wäre sonst eine ganz bittere Enttäuschung.