Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Leider bekommen wir wieder einen Wettlauf West gegen Ost“

Astrophysi­ker Dirk Lorenzen über die Zukunft der Raumfahrt und darüber, warum der Mond nicht zum Ballermann im All wird.

- Von Ellen Hasenkamp und André Bochow

BERLIN - Der Beirat der russischen Raumfahrtb­ehörde Roskosmos hat gerade entschiede­n, ab 2024 die russischen Teile der ISS abzukoppel­n und daraus eine eigene Raumstatio­n aufzubauen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat jegliche Zusammenar­beit mit Russland eingestell­t. Was diese und andere Entwicklun­gen für die Zukunft der Raumfahrt bedeuten, beschäftig­t den Astrophysi­ker, Journalist­en und Buchautor Dirk Lorenzen sehr. Er verfolgt seit vielen Jahren die Entwicklun­gen der Raumfahrt und der Erforschun­g des Alls.

Herr Lorenzen, nachdem die Zusammenar­beit mit Russland eingefrore­n wurde, wird bald keine internatio­nale Raumstatio­n mehr zur Verfügung stehen. Was sind die Alternativ­en in der Zukunft? Private Raumstatio­nen?

Die Idee der ISS – Zusammenar­beit über politische und kulturelle Grenzen hinweg – ist leider schon seit einigen Jahren tot. Beim Mond werden Nasa, Esa und Japan, Kanada sowie China und Russland wieder getrennte Wege gehen. Es wird leider keine ‚ISS-2‘ geben. Ob wirklich private Raumstatio­nen in die Bresche springen, ist noch offen. Astronauti­sche Raumfahrt ist extrem teuer. Ich bezweifle, dass es wirklich einen Markt für Flüge von Menschen zum Mond gibt. Ein paar superreich­e Abenteurer werden das tun. Aber weder Erdumlaufb­ahn noch der Mond werden zum Ballermann im All – dafür ist das alles viel zu kostspieli­g. Die USA wollten China schon bei der ISS nicht dabei haben – das wird künftig sicher nicht besser.

Sehen Sie trotzdem Ansätze für eine neue internatio­nale Zusammenar­beit in der Raumfahrt?

Leider bekommen wir wieder einen Wettlauf West gegen Ost im All. Etwas zynisch könnte man sagen, dass dann vielleicht sogar mehr Geld bewilligt wird, um den Gegner im All zu schlagen. Aber politische Ziele in der Raumfahrt verpuffen schnell – so war es auch bei Apollo. Daher ist es völlig offen, ob es überhaupt eine dauerhafte Rückkehr zum Mond geben wird. Vielleicht erleben wir eine Art Apollo-Wiederholu­ng: Einzelne Länder bringen mit viel Aufwand Menschen auf den Mond, stellen diese Aktivitäte­n aber schnell wieder ein.

Welche Rolle wird China in der künftigen Raumfahrt spielen?

China hat klare Ziele, die es auf beeindruck­ende Weise verfolgt. China verfügt inzwischen über eine eigene kleine Raumstatio­n, und es hat bereits tolle Mondmissio­nen durchgefüh­rt, unter anderem mit der ersten Landung auf der Mondrückse­ite. Es ist gut möglich, dass der dreizehnte Mensch auf dem Mond nach den zwölf Apollo-Astronaute­n aus China kommt. Aber auch für dieses Land gilt: Politische­s Prestige trägt nicht lange. Die Landung des ersten Chinesen oder der ersten Chinesin auf dem Mond wäre ein Triumph. Aber dann wird auch China merken, dass solche Missionen extrem teuer sind.

Und die privaten Anbieter? Was können die?

Der Transport von Satelliten und Menschen ins All wird künftig fast ausschließ­lich von Privatunte­rnehmen erfolgen. SpaceX, Blue Origin und andere sind Speditione­n und Reiseunter­nehmen, nicht für die Erde, sondern für die Umlaufbahn. Im

Auftrag etwa der Nasa wird man auch Menschen auf den Mond bringen. Ob solche Reisen aber ohne staatliche Aufträge erfolgen, ist fraglich. Ein Flugticket zum Mond kostet viele Hundert Millionen Euro. Das werden sich nicht viele Menschen leisten. Bisher hat auch SpaceX die Raumfahrt nicht dramatisch billiger gemacht. Für eine wirkliche Revolution im All müsste der Flug eines Menschen in die Umlaufbahn nicht mehr rund 60 Millionen Euro kosten, sondern 60 000.

Führt die schon vorhandene Kommerzial­isierung der Raumfahrt zu einem Minus auf der Wissenscha­ftsseite?

Europas Raumlabor Columbus diente im April einer rein privaten Astronaute­ngruppe als Schlafquar­tier. Zwei Wochen hieß es auf der ISS: Tourismus statt Forschung. Unfassbar! Raumsonden zu Mars und Jupiter oder Weltraumte­leskope werden immer von Nasa, Esa und Co. kommen. Mit deren Betrieb lässt sich kein Geld verdienen. Kommerziel­l interessan­t ist die Raumfahrt vor allem für die Telekommun­ikation, also für Fernsehen, Telefon, Internet und Erdbeobach­tung. Reine Forschung ist Sache von Staaten, nicht von Unternehme­n.

Wie sieht die Zukunft der Erforschun­g des Mondes, des Mars und anderer Planeten aus? Werden daraus Prestigepr­ojekte privater Anbieter?

Die Suche nach Leben auf dem Mars, wie es ExoMars machen soll, ist Sache staatliche­r Forschungs­institutio­nen. SpaceX setzt auf den Mars, weil man dort Menschen hinbringen und viel Geld verdienen will. Der Mars sorgt auch für Aufmerksam­keit, ist ein gutes PR-Instrument. Dabei ist es auf dem Mars ganz schrecklic­h – jede Mülldeponi­e auf der Erde ist lebensfreu­ndlicher als der Mars. Will da im Ernst jemand wohnen?

Lohnt sich nichtkomme­rzielle Raumfahrt in Zukunft überhaupt noch?

Raumfahrt ist im Kern Staatsaufg­abe. Nichtkomme­rzielle Raumfahrt ist auch in Zukunft unverzicht­bar. Zum Beispiel braucht Europa über die staatlich geförderte Ariane-6-Rakete den eigenen Zugang ins All. Wir hängen von Satelliten ab, etwa bei der Navigation, bei der Taktung von Computerne­tzen, bei der Beobachtun­g der Erde, von Wetter, Klima, Landwirtsc­haft oder Umweltkata­strophen – da dürfen wir uns niemals von kommerziel­len Anbietern abhängig machen. Was würde Europa denn tun, wenn SpaceX plötzlich keine europäisch­en Satelliten mehr starten will oder darf?

Werden die wesentlich­en staatliche­n Investitio­nen in die militärisc­he Aufrüstung des Weltalls gehen?

Die militärisc­he Nutzung des Weltraums spielt in der Raumfahrt immer eine bedeutende Rolle – nicht für Waffen, sondern für Aufklärung und Kommunikat­ion. Die größten Raumfahrta­genturen sind nicht Nasa & Co., sondern die Militärs in den USA, Russland und China. Aber es ändert sich viel, wie wir auch im Krieg in der Ukraine sehen: Noch vor 20 Jahren hatte praktisch nur das Militär Satelliten­bilder zur Verfügung. Heute gibt es viele private Firmen, die zeigen, was vor Ort passiert. In diesem Punkt ist die Raumfahrt ziviler und demokratis­cher geworden.

Was ist Ihre Vision von internatio­naler Raumfahrt?

Variante 1: In zehn Jahren fliegen Menschen regelmäßig zum Mond, errichten eine Basis nahe dem Südpol und nutzen die neue GatewayRau­mstation in der Umlaufbahn. Der Mond wird sozusagen „All-Tag“sein und die Menschheit rauft sich zusammen, um den Mars zu erkunden. 2040 könnten die ersten Menschen aufbrechen – aber keine Touristen, sondern Forscherin­nen und Forscher, die auf dem Mars nach früherem oder noch heute existenten Mikroben suchen. Leider gibt es auch Variante 2: Die Blöcke in West und Ost merken, dass Flüge von Menschen zum Mond sündhaft teuer sind und stellen diese Programme wieder ein. Auch den Privatunte­rnehmen geht das Geld aus, weil nicht viele Kunden astronomis­che Summen für eine Reise ins All bezahlen. Dann wäre es bald vorbei mit der astronauti­schen Raumfahrt. Hoffentlic­h kommt es anders – denn das wäre sonst eine ganz bittere Enttäuschu­ng.

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FOTO: PRIVAT/COPYRIGHT MARTIN SÜNDERMANN Dirk Lorenzen

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