Im Kampf mit den inneren Dämonen
Jan Gorkow, Sänger von „Feine Sahne Fischfilet“, hat sein Ringen mit Übergewicht und Fressattacken aufgeschrieben – Missbrauchsvorwürfe beenden die Lesereise frühzeitig
Jan Gorkow, den Freunde Monchi nennen und Rechtsextreme mit dem Schimpfwort „Zecke“diffamieren – betritt die Bühne der Münchner Kammerspiele. Das Publikum – jung, alt – klatscht. Kurz durchatmen, dann singt der „vorpommersche Hoschi“, so nennt er sich selbst, a cappella den Song „Ruhe“. Vor Jahren für eine Freundin geschrieben, passt der Text auch zu seiner Situation: „Nimm dir endlich Zeit. Nimm dich endlich selbst ernst. Wirst hier gar nichts mehr verändern, wenn du das Genießen verlernst.“Etwas ist anders an diesem Tag im Frühsommer als der Sänger mit seinem Buch „Niemals satt“in der bayerischen Landeshauptstadt Station macht auf seiner Lesereise.
Kurz zuvor tauchten im Netz heftige Vorwürfe gegen den Frontmann und Texter der Punkband „Feine Sahne Fischfilet“auf: Wie die Gruppierung „Keiner muss Täter sein“auf der Social-Media-Plattform Instagram berichtete, soll der 34-Jährige „schonungslos, gewalttätig, narzisstisch, hart, maßlos“sein, seine Macht missbraucht und sexuelle Gewalt ausgeübt haben. Konkrete Einzelheiten fehlen, um den Betroffenen, wie es heißt, den größtmöglichen Schutz zu bieten. Monchi wirkt geknickt, ringt vor dem Münchner Publikum um Worte. Er und die Band wüssten zwar nicht, worum es gehe. Aber er sei bereit, sich konkreten Anschuldigungen zu stellen und verantwortungsvoll damit umzugehen.
Den zuvor vereinbarten Interviewtermin lässt er jedoch absagen. Erst damit begründet, dass er seine Stimme für den Münchner Auftritt schonen müsse. Dann, in einem zweiten Gesprächsversuch, mit dem Hinweis auf die aktuelle Situation. Kurz danach kündigt er auf dem Instagram-Kanal von „Feine Sahne Fischfilet“an, nach einer Lesung in Greifswald alle weiteren Lesetermine bis auf Weiteres zu verschieben, um „für alle Beteiligten ein bisschen Druck aus der Situation zu nehmen.“Mittlerweile ist die Lesereise also frühzeitig beendet, im Internet solidarisieren sich Menschen sowohl mit dem Sänger, als auch den anonymen Anklägern. Zwei Mitglieder der Band haben diese mittlerweile verlassen und begründeten ihren Ausstieg auch mit den Anschuldigungen und dem Umgang der Truppe damit.
Diese Episode fehlt natürlich in Monchis literarischem Seelenstriptease „Niemals satt. Über den Hunger aufs Leben und 182 Kilo auf der Waage“. Die 320 Seiten dokumentieren extreme Lebensstationen von Dezember 2019 bis Dezember 2021. Jan Gorkow alias Monchi schreibt sich Kilos und Fresssucht-Frust von der Seele – mit offenem Visier, Butter bei die Fische, im Straßenjargon geschrieben. Seine Gedanken über zerbrochene Klobrillen, SpargeltarzanBadewannen, XXL-Lattenroste, Kalorienzähl-Apps, Intervallfasten und Jo-Jo-Effekt lesen sich rasant und amüsant. Mit 31 Jahren gönnt er sich am Tag fast 7500 Kalorien, bis er mit 182 Kilo und einem Body-Mass-Index von fast 50, wie er sagt, der fetteste Mensch ist, den er kenne. Wie konnte es soweit kommen? Wo ist der Notausgang?
Plakative Fotos illustrieren sein Lebensrausch-Motto: Fastfood-Gelage, bauchfreies Posieren, Stagediving nach dem Sprung von der Bühne. Monchi kennt keine Kompromisse: Kein normaler Hansa-RostockFan, sondern Ultra. Kein Mitglied in der Parteijugend, sondern Antifa. Kein Feierabendbier, sondern ein Besäufnis in 6XL.
Die 51 Kapitel enthalten, in chronologischer Reihenfolge, persönliche Reflexionen und Ängste des Autors,
der schonungslos gegen sich selbst von Abstürzen und Vollräuschen, von Tabus und Intimitäten, von Macken und Widersprüchen erzählt. Monchi beginnt, eigene Gewohnheiten und Gewissheiten zu hinterfragen und begibt sich mit seinem seelischen und körperlichen Ballast auf literarisches Glatteis. Sein Kampf gegen Kilos und Maßlosigkeit, sein unbändiger Lebenshunger beschäftigen ihn in jeder Zeile. Ein persönlicher Brief an die Eltern, deren Antwortschreiben, lassen seine äußere Fassade sukzessive bröckeln.
Bis sein voluminöses Schutzschild in Nullkommanix verschwindet. Nicht, weil es Ernährungsberaterin und Adipositas-Spezialist raten oder es gar gesund und opportun ist, nein, die bittere Realität konfrontiert Monchi mit den Folgen seiner Sucht: Er ist zu schwer, um mit den Kindern seiner Ex-Freundin Trampolin zu springen, Paragliding ist für ihn tabu und das Chopper-Fahrrad eines Freundes bricht unter seiner Last zusammen. Der Sänger reißt sich am Riemen, eine Liste mit zehn Punkten soll ihm beantworten: Warum ist er niemals satt, obwohl er keinen Hunger hat? Mit Intervallfasten, viel Sport und eiserner Disziplin speckt er innerhalb eines Jahres 65 Kilo ab.
Er schafft, wovon viele Deutsche, gerade vor dem Sommer, träumen: Raus mit den Übergrößen, rein ins erhoffte schlanke Lebensglück. Wären da nur nicht die schweren Vorwürfe von Gewalt und Missbrauch.