Wohnungsbau im Südwesten bricht ein
Warum sich der Wohnraummangel 2022 wohl zuspitzt und was dagegen helfen könnte
STUTTGART - Seit Jahren klafft in Baden-Württemberg eine Lücke zwischen neu geschaffenem Wohnraum und tatsächlichem Bedarf. Laut aktuellem Konjunkturbericht des Landesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) wird sich die Diskrepanz in diesem Jahr noch mal massiv steigern. Warum das so ist und wie die Politik gegensteuert im Überblick:
Wie angespannt ist der Wohnungsmarkt im Südwesten?
Vor sieben Jahren hat das PrognosInstitut festgestellt, dass landesweit 88 000 Wohnungen fehlten – nicht nur in Ballungsräumen, sondern auch in wirtschaftsstarken ländlichen Gebieten wie Oberschwaben und Bodensee. Diese „Wohnbaulücke“hat sich laut Rolf Gaßmann, Landeschef des Mieterbundes, inzwischen sogar verdoppelt – trotz des Baubooms der vergangenen Jahre.
Das ist kein rein südwestdeutsches Problem, betont Professor Dieter Rebitzer von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt NürtingenGeislingen am Montag. Er hat den BFW-Konjunkturbericht verfasst. So ist die Zahl der Baugenehmigungen bundesweit seit Jahren gestiegen, 2021 zuletzt auf mehr als 380 000. „Das heißt, der Markt ist noch intakt“, so Rebitzer. Fertiggestellt wurden 2021 aber weniger als 300 000 Wohnungen. Erstmals seit Jahren ist das ein Rückgang. „Das ist ein Zeichen für eine Trendwende im Wohnungsbau“, so Rebitzer. BadenWürttemberg bildet diesen Trend ab: 2021 wurde zwar mit rund 54 600 Baugenehmigungen ein Höchststand erreicht, fertiggestellt wurden aber nur knapp 41 400 Wohnungen – und damit weniger als im Vorjahr und deutlich weniger als die von Prognos als nötig erklärten 65 000 Wohnungen pro Jahr. Laut Mieterbund braucht es zudem 50 000 zusätzlicher Wohnungen für geflüchtete Ukrainer, die im Land bleiben.
Wie sieht es ganz aktuell aus?
Der BFW-Konjunkturbericht zeigt fürs erste Quartal 2022 einen Einbruch. Dazu tragen viele Gründe bei, unter anderem laut Rebitzer: „Alles wird teurer, auch die Finanzierungen.“Die Zinsen für Hypotheken liegen bei etwa 2,5 Prozent und damit so hoch wie zuletzt 2013, die Inflation lag im März bei fast acht Prozent, Fachkräfte fehlen, Baumaterial kostet mehr, Lieferketten sind teils unterbrochen – nicht nur, aber auch wegen Corona-Pandemie und UkraineKrieg. Die Folge ist ein Rückgang der Baugenehmigungen im ersten Quartal um 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. „Schon 2021 zeichnete sich das Ende des Baubooms ab“, sagte BFW-Landesgeschäftsführer Gerald Lipka, „jetzt werden neue Projekte häufig zurückgestellt.“Unkalkulierbare Kostensteigerungen seien für viele Bauherren und private Bauunternehmer untragbar. Er warnt vor einer „Vollbremsung des Wohnungsneubaus“.
Die Bauwirtschaft Baden-Württemberg erklärt den Rückgang zwar vornehmlich damit, dass es im Vorjahreszeitraum ein Plus an Genehmigungen von 33 Prozent gegeben habe. Laut Statistischem Landesamt seien aber die Baupreise für Wohngebäude allein im Februar um 14,3 Prozent gestiegen. „Man muss sich darauf einstellen, dass das Bauen insgesamt teurer und auf einem hohen Preisniveau bleiben wird“, erklärte jüngst Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft im Südwesten.
Was kann die Politik tun?
Lipka hat ein Bündel an Forderungen: Es brauche verfügbare und bezahlbare Grundstücke, entschlackte Bebauungspläne sowie schnelle Genehmigungsprozesse. Kritisch äußert er sich zu Auflagen beim Bauen, denn „jede Vorschrift hat ein Preisschild“. Ähnliche Forderungen erhebt die Bauwirtschaft. Für Infrastruktur wie Wege, Plätze und Schulen sollten laut Lipka Bund, Land und Kommunen aufkommen.
Der Mieterbund fordert mehr Fördergeld vom Land. In diesem Jahr ist das Landeswohnraumprogramm zwar mit 377 Millionen Euro so üppig ausgestattet wie noch nie – in den Vorjahren waren es stets um die 250 Millionen Euro. „Diese Erhöhung war allerdings allein der Verdoppelung der Bundesmittel zu verdanken“, kritisiert Landeschef Gaßmann. Der Landesanteil betrage lediglich rund 116 Millionen Euro – das reiche nicht. Er fordert zudem, das sogenannte Zweckentfremdungsverbot nachzuschärfen, damit Hausbesitzer leer stehende Wohnungen auch vermieten. Dass es solche gibt, und zwar in großer Zahl, sehe man an der Bereitschaft, geflüchteten Ukrainern eine Unterkunft anzubieten.
Die Kommunen hatten zudem lange darüber geklagt, dass das Land Möglichkeiten des Baulandmobilisierungsgesetzes des Bundes nicht nutzt. Erst im April hat Bauministerin Nicole Razavi (CDU) eine Landesverordnung angekündigt, die den Städten und Gemeinden etwa durch ein erweitertes Vorskaufsrecht dabei helfen soll, unbebaute oder brachliegende Grundstücke im Innenbreich zu aktivieren. „Wir haben uns entschieden, diese Rechtsverordnung so schnell wie möglich umzusetzen“, erklärt Razavi. Andere Bundesländer seien hier deutlich weiter, kritisieren Kommunen.
Dem Wunsch des Mieterbunds, die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentum zu erschweren, wie es das Bundesgesetz enbenfalls erlaubt, erteilt Razavi indes eine Absage. Sie argumentiert, dass dies für die Kommunen kein drängendes Problem sei, der Verwaltungsaufwand durch eine Genehmigungspflicht, die damit einherginge, aber sehr hoch.
Mit einem neuen Strategiedialog „Bezahlbares Wohnen und innovatives Bauen“will das Land ab Ende des Monats Potenziale finden, um die Lage zu entspannen. Zum Monatswechsel nimmt eine neue Geschäftsstelle ihre Arbeit auf. Laut einer Sprecherin von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), der das Thema damit zur Chefsache gemacht hat, ist es die einzige externe Geschäftsstelle – Kostenpunkt: eine halbe Million Euro pro Jahr. Die Geschäftsstellen der Strategiedialoge Automobilwirtschaft und Gesundheitsstandort sind bei Landesagenturen angesiedelt, aber mit 800 000 und 1,2 Millionen Euro auch teurer. Ob der Strategiedialog zu mehr Wohnraum führt, bezweifelt Wissenschaftler Rebitzer. Immerhin sei es gut, dass man sich des Themas annimmt. Und dass man mit- statt übereinander spricht, heißt es vom Mieterbund. Das sei allerdings auch schon in der WohnraumAllianz in der vergangenen Legislaturperiode so geschehen.