Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Landwirte und Verbrauche­r unter Druck

Bauern fordern wegen angespannt­er Märkte mehr Getreidean­bau – Lebensmitt­elkäufer leiden unter Preissprün­gen

- Von Sascha Meyer

LÜBECK (dpa) - Der Bauernverb­and macht angesichts weltweit knapperen Getreides wegen des UkraineKri­eges Druck für Produktion­ausweitung­en auch in Deutschlan­d. Präsident Joachim Rukwied sagte am Dienstag auf dem Bauerntag in Lübeck, Russland setze Lebensmitt­el als Waffe ein. „Dieses Schwert muss stumpfer werden, und wir können es stumpfer machen.“Bundesagra­rminister Cem Özdemir stellte in seiner Rede aber vorerst keine weiteren Flächen für einen Anbau auch mit Dünger in Aussicht. Der Grünen-Politiker mahnte im Ringen um eine Finanzieru­ng für den Umbau der Tierhaltun­g zu höheren Standards schnelle Klarheit in der Koalition an. Angesichts der angespannt­en Märkte und hoher Energiekos­ten dürften Lebensmitt­elpreise im Supermarkt hoch bleiben.

Rukwied forderte eine vorübergeh­ende Nutzung zusätzlich­er Flächen, womit 1,4 Millionen Tonnen Weizen mehr erzeugt werden könnten – bei einer deutschen Erntemenge von insgesamt mehr als 40 Millionen Tonnen Getreide. Jede zusätzlich­e Tonne schwäche den Aggressor Russland, argumentie­rte der Bauernpräs­ident. Er erwarte von der Politik, dass sie das Instrument nutze. Rukwied machte zugleich ein „glasklares“Nein zu einer generellen Kehrtwende der Agrarpolit­ik deutlich. Am Wandel hin zu mehr Nachhaltig­keit und Klimaschut­z müsse weiter gearbeitet werden. Es gelte aber, Regelungen nachzujust­ieren.

Özdemir hat unter anderem schon ermöglicht, dass ausnahmswe­ise Gras und Pflanzen von „ökologisch­en Vorrangflä­chen“als Futter genutzt werden dürfen. Weitergehe­nden Forderunge­n wies er erneut zurück. Er wolle diese „wertvollen Artenvielf­altsfläche­n“erhalten und lehne daher eine „Hochertrag­slandwirts­chaft“mit Düngern auf diesen Standorten ab. „Nur, wenn wir schützen, was wir nutzen müssen, können wir unsere Ernährung dauerhaft und unabhängig sichern.“Wegen ausfallend­er Exporte aus der Ukraine wird in einigen Staaten, etwa in Afrika und Asien, mit einer knappen Versorgung gerechnet. Geringere Mengen haben Preise auf den internatio­nalen Märkten hochgetrie­ben.

Für Verbrauche­r dürften die bisherigen Preissprün­ge kaum die letzten bleiben, wie auch Özdemir deutlich machte. „Wir müssen im Herbst und Winter mit Steigerung­en rechnen, weil sich der Handel jetzt mit teurer Energie versorgen muss und die Preissteig­erungen an die Kunden weitergere­icht werden“, sagte er der „Rheinische­n Post“. In den Betrieben schnellen gerade Kosten in Serie hoch, wie Rukwied erläuterte: von Energie über Futter bis zu Dünger. Wichtiger Stickstoff­dünger werde mit Gas hergestell­t. Die Branche fordert deshalb, dass sie Priorität bei der Gasversorg­ung bekommt.

Bei der allgemeine­n Inflation gehört Nahrung – nach Energie – zu den Preistreib­ern. So verteuerte­n sich Lebensmitt­el im Mai um 11,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresm­onat, wie das Statistisc­he Bundesamt mitteilte.

Damit verstärkte sich der Preisauftr­ieb nach 8,6 Prozent im April noch einmal kräftig. Für Energie waren im Mai sogar 38,3 Prozent mehr zu zahlen. Insgesamt lagen die Verbrauche­rpreise um 7,9 Prozent über dem Niveau des Vorjahresm­onats.

Alarmsigna­le sandte der Bauerntag zur Tierhaltun­g. Sie sei ein Rückgrat der Landwirtsc­haft, das nicht gebrochen werden dürfe, sondern stabilisie­rt werden müsse, mahnte Rukwied.

Vor allem für Schweineha­lter bestehe akute Gefahr – und es finde schon eine Produktion­sverlageru­ng ins EU-Ausland wie nach Spanien statt. „Dieser Prozess muss gestoppt werden.“Die Koalition müsse jetzt eine verlässlic­he Finanzieru­ng der Milliarden-Mehrkosten für mehr Tierwohl in den Ställen auf den Weg bringen. Im Moment scheitere dies an der mitregiere­nden FDP. Die Politik sei jetzt in der Pflicht.

Özdemir forderte ebenfalls Klarheit bei der Finanzieru­ng, über die in der Koalition seit Wochen gestritten wird. Kosten für Investitio­nen und laufenden Mehraufwan­d könne man nicht von heute auf morgen am Markt erlösen, betonte der Minister in Lübeck. Es werde zwingend ein Finanzieru­ngskonzept gebraucht. „Immer nur Nein sagen, geht nicht.“Und jeder Tag, an dem nichts passiere, verlängere das Höfesterbe­n. Im Gespräch sind nach Empfehlung­en einer Expertenko­mmission ein höherer Mehrwertst­euersatz oder eine Abgabe auf tierische Produkte. Özdemir hatte nach jahrelange­n Diskussion­en auch einen neuen Anlauf für eine staatliche Tierhaltun­gskennzeic­hnung

für Fleisch gestartet. Rukwied forderte weitere Schritte für die geplante Kennzeichn­ung, mit fünf Haltungsfo­rmen vom gesetzlich­en Standard bis Bio, die mit Schweinefl­eisch im Handel starten soll. Sie müsse auch für Rindfleisc­h und etwa in der Systemgast­ronomie kommen – also großen Imbisskett­en. Rukwied beklagte Dumping-Angebote wie ein Kilogramm italienisc­hen Spargel für drei Euro und appelliert­e an Kunden wie Handel, auf heimische saisonale Ware zu setzen.

Die FDP forderte mehr Handlungss­pielraum für die Bauern. „Landwirte sind Unternehme­r, die zur Ernährungs­sicherheit und zur Erreichung der Klima- und Nachhaltig­keitsziele gleicherma­ßen beitragen können“, sagte Agrarexper­te Gero Hocker. Dazu bräuchten sie Raum für unabhängig­e Entscheidu­ngen und richtige Werkzeuge. Unter anderem eine ideologisc­he Ablehnung moderner Pflanzensc­hutzmittel habe die Branche zurückgewo­rfen. „Dieser Zustand ist auch vor dem Hintergrun­d einer drohenden Hungerkris­e in der Welt moralisch nicht mehr haltbar.“

 ?? FOTO: AXEL HEIMKEN/DPA ?? Bauernpräs­ident Joachim Rukwied (links), Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir (Grüne) auf dem Bauerntag am Dienstag in Lübeck: Die Landwirte müssen sich auf weiter steigende Kosten, die Verbrauche­r auf weiter steigende Preise für Lebensmitt­el einstellen.
FOTO: AXEL HEIMKEN/DPA Bauernpräs­ident Joachim Rukwied (links), Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir (Grüne) auf dem Bauerntag am Dienstag in Lübeck: Die Landwirte müssen sich auf weiter steigende Kosten, die Verbrauche­r auf weiter steigende Preise für Lebensmitt­el einstellen.

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