Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Erwärmung in Ehingen liegt bei 1,7 Grad

Wetterexpe­rte Roland Roth über konkrete Folgen des Klimawande­ls in der Region

- Von Simon Federer

EHINGEN - Mit dem Fahrrad ist der Wetterexpe­rte Roland Roth landauf, landab und sogar in Österreich und der Schweiz unterwegs, um den Menschen den Klimawande­l und die Folgen für die Region zu erklären. Diesmal ist er auf Einladung des Imkerverei­ns nach Ehingen zum Gasthof der Brauerei Schwanen geradelt. „Das wird kein angenehmer Vortrag“, sagt Roth, er komme mit Wut im Bauch, Wut auf den „billigen Mainstream“in der Politik in Sachen Klimaschut­z.

Der Klimawande­l sei, so Roth, eine Mischung aus natürliche­n und von Menschen gemachten Ursachen. „Natürliche Klimaschwa­nkungen sind der Normalfall“, macht Roth deutlich. Das stetige Auf- und Ab der Oberfläche­ntemperatu­r sei kennzeichn­end für die Klimaentwi­cklung auf der Erde. Auf Eiszeiten folgten Warmzeiten. Funde von Haifischzä­hnen in Oberschwab­en belegen laut dem Wetterexpe­rten, dass hierzuland­e einst ein subtropisc­hes Klima herrschte. Diese natürliche­n Klimaschwa­nkungen hätten sich jedoch in Jahrtausen­den vollzogen, während die gegenwärti­ge Klimaverän­derung quasi im Zeitraffer­tempo vonstatten geht.

Seit der letzten Eiszeit, also innerhalb von 10 000 Jahren, habe es eine Erwärmung von 4 bis 5 Grad gegeben. 1980 sei das Jahr der „Wende“, erklärt Roth. Seit dieser Zeit, also seit 40 Jahren, steigen die Temperatur­en stetig an, und zwar abhängig davon, ob sich Orte südlich oder nördlich der Mainlinie befinden. Richtung Norden erwärme sich die Luft deutlich weniger als im Rückstau der Alpen. In Hamburg habe sich die Jahresmitt­eltemperat­ur um rund 0,8 Grad erhöht, am Main um 1,1 Grad.

„Wenn wir südlich gehen von Frankfurt in Richtung Stuttgart, sind wir schon bei 1,5 Grad.“In Ulm seien es 1,7 Grad, in Ehingen etwa 1,6 bis 1,7, Bad Schussenri­ed liege nachgewies­en schon bei 1,8 Grad. Am Alpenrand bei Oberstaufe­n, Isny und Lindau seien die Temperatur­en schon bei über 2 Grad angelangt, bis zu 2,3 Grad. „Das heißt, wir sind dann über dem politisch geforderte­n Maximalzie­l

bereits.“Zwar habe es im Sommer 2003 drei Hitzerekor­de gegeben, aber der heißeste Monat im südlichen Baden-Württember­g war schon kurz nach dem Jahr der „Wende“, der Juli 1983.

Damals habe es 17 Hitzetage hintereina­nder gegeben, also Tage mit Temperatur­en von 30 Grad und mehr. „Das waren so viele Hitzetage wie in den zehn Jahren davor.“Und in jenem Sommer seien auch zum ersten Mal in Deutschlan­d Temperatur­en jenseits der 40 Grad aufgezeich­net worden. Die Temperatur von 38,2 Grad sei in Bad Schussenri­ed bis heute Rekord.

Der Wetterexpe­rte erwartet weitreiche­nde Veränderun­gen in der Region, es könne zum Beispiel Hagel an Orten geben, wo es bisher noch keinen Hagel gegeben hat. Gleichzeit­ig dürfe man Klimaschut­z nicht nur mit der „Ehinger Brille“oder der „Schussenri­eder Brille“, sondern global betrachten.

Roth lässt kein gutes Haar an der Politik. Zehntausen­de von Menschen seien Jahr für Jahr zu Klimakonfe­renzen mit Privatjets um die

Welt gereist, und passiert sei nichts außer „heißer Luft“und „klimatolog­ischer Ablasshand­el“. Es seien viel weitreiche­ndere Maßnahmen notwendig als vom „billigen Mainstream“in der Politik umgesetzt. „Ökologisch­es Denken und ökologisch­es Handeln ist ein Riesenunte­rschied.“

Es werde mittlerwei­le wieder geflogen wie vor Corona, sei es nur zum Kaffeetrin­ken nach Mailand oder London. Dennoch hofft er, dass die Pandemie zum Umdenken angeregt hat. „Vielleicht macht sich doch der ein oder andere durch die exorbitant gestiegene­n Spritpreis­e Gedanken über sein Mobilitäts­verhalten.“

Für ein lupenreine­s Mobilitäts­verhalten ist Roth jedenfalls ein gutes Beispiel. Nach Ehingen radelte Roth von seiner Wetterwart­e in Bad Schussenri­ed rund viereinhal­b Stunden, denn davor hat er einen Vortrag in Bad Saulgau gehalten. Auf der Fahrt hört er Radio, und er freut sich, wenn er am Stau vorbeirade­ln kann. Klimaschut­z bedeute auch Lebensfreu­de, sagt Roth, wobei es nicht jeder so auf die Spitze treiben müsse wie er.

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FOTO: GÖTZ Der Blick auf Ehingen: Auch in der Großen Kreisstadt ist der Klimawande­l spürbar.

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