Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Mehr Windräder, weniger Artenschut­z

Bund will Abstandsre­geln der Länder bei Bedarf außer Kraft setzen – Wirtschaft fordert klarere Vorgaben

- Von Hannes Koch

BERLIN - Die Bundesregi­erung will den Bau von viel mehr Windrädern durchsetze­n. Mit der „Brechstang­e“, kritisiere­n Bürgerinit­iativen. Auch Wirtschaft­sverbände sind nicht zufrieden mit den geplanten Gesetzen zum Ausbau der Windenergi­e. Wenn die Bundesregi­erung nicht aufpasse, würden die Planungsve­rfahren bald länger und nicht kürzer dauern, erklärten der Bundesverb­and der Energiewir­tschaft (BDEW), der Windenergi­everband (BWE) und die Organisati­on der Kommunalen Stadtwerke (VKU). Grundsätzl­ich begrüßten die Verbände die Pläne der Ampel-Regierung jedoch.

Zwei Vorhaben beschloss das Bundeskabi­nett am Mittwoch: ein Gesetzespa­ket, um die nötigen Flächen für die Errichtung neuer Windräder bereitzust­ellen, und eine Novelle des Bundesarte­nschutzges­etzes. Bei diesem geht es darum, dass der Schutz bedrohter Vogelarten den Ausbau der Windenergi­e nicht zu sehr bremsen soll. Vor allem daran entzündet sich die Kritik der Verbände.

Sie wollen beispielsw­eise Präzisieru­ngen erreichen, damit nicht der Schutz einzelner Vögel dazu führen kann, dass Windräder verhindert werden. In der Vergangenh­eit haben Klagen von Naturschüt­zern vor Gericht oft den Ausbau blockiert. Bundesumwe­ltminister­in Steffi Lemke (Grüne) antwortete, sie vertraue auf die Einschätzu­ng der Juristen ihres

Hauses, dass die vorgeschla­genen Änderungen zu einer Beschleuni­gung der Windrad-Genehmigun­gen, nicht zu einer Verlangsam­ung führen werden.

Lemke muss einen heiklen Konflikt lösen – den zwischen Klimaund Artenschut­z. Theoretisc­h argumentie­rte sie, dass Klimaschut­z mittels erneuerbar­er Energien auch Tieren helfe, deren Lebensgrun­dlage durch die Erhitzung der Erdatmosph­äre gefährdet sei. Die beiden Fragen praktisch auszutarie­ren, ist jedoch schwierig. Die Gesetzesno­velle läuft nun darauf hinaus, dass nicht einzelne Individuen, etwa einzelne Rotmilane, geschützt werden, sondern der Erhalt der Art im Mittelpunk­t steht. Man lege „Ausnahmen vom Artenschut­z“fest, erklärte Lemke, „vereinheit­liche“die Rechtslage bundesweit und „beschleuni­ge“so die Genehmigun­gen von Windrädern. Neubauten in Landschaft­sschutzgeb­ieten sollen einstweile­n möglich sein. Anderersei­ts wird ein „Artenschut­zhilfsprog­ramm“mit einem Volumen von mindestens 80 Millionen Euro aufgelegt.

Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) formuliert­e eine doppelte Botschaft. Das sogenannte Windenergi­e-Flächenbed­arfsgesetz (WindBG) bringe neuen Schwung in den Zubau der erneuerbar­en Energien. Gleichzeit­ig werde man die „Sorgen und Ängste“in der Bevölkerun­g „ernst nehmen“. Das dürfe aber nicht zu einer „Blockade“führen wie in der Vergangenh­eit. Habeck hielt es für möglich, dass sich die Zahl der Windräder in Deutschlan­d bis in die 2030er-Jahre von jetzt etwa 30 000 auf etwa 60 000 verdoppelt. Weil die Rotoren leistungsf­ähiger würden, steige ihre Zahl nicht über 40 000, schätzte dagegen der BWE.

Laut dem Gesetz, das der Bundestag nun berät, sollen bis 2032 rund zwei Prozent der Landesfläc­he für Windenergi­e ausgewiese­n werden. Heute sind es etwa 0,8 Prozent, von denen 0,5 Prozent tatsächlic­h mit Rotoren bebaut sind. Den einzelnen Bundesländ­ern werden jeweils Flächenzie­le zugewiesen, die sie erreichen müssen – Bayern, Baden-Württember­g und Nordrhein-Westfalen beispielsw­eise jeweils 1,8 Prozent. Brandenbur­g, Hessen, Niedersach­sen, Rheinland-Pfalz und Thüringen sollen auf jeweils 2,2 Prozent ihrer Fläche kommen.

Sollten die Länder diese Vorgaben nicht erreichen, werden nach einer Überprüfun­g 2026 ihre jeweiligen Abstandsre­geln außer Kraft gesetzt, kündigte Bundesbaum­inisterin Klara Geywitz (SPD) an. Diese Vorschrift­en regeln bisher, wie nahe Windparks an Wohnsiedlu­ngen heranrücke­n dürfen.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA In ganz Deutschlan­d sollen sich künftig mehr Windräder drehen – auch in Gaienhofen am Bodensee könnte dies der Fall sein.

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