Gelbe Rüben und große Ziele
Bei der Aktion „Hof mit Zukunft“arbeiten Umweltaktivisten einige Tage auf einem Bio-Gemüsehof im Allgäu mit. Die Probleme der Landwirtschaft zeichnen sich in den Gesprächen mit den Bauern ab, die Lösungen nicht.
KISSLEGG - In der Ferne verschwinden die Gipfel der Nagelfluhkette im blauen Dunst. Doch die ganze Konzentration von Lydia Heidemann gilt nicht der Schönheit der Allgäuer Hügellandschaft, sondern den Pflänzchen, die die Karotten auf dem Feld des Gärtnerhofs Oberreute zu überwuchern drohen. Mit einem Messer sticht die 23-Jährige die Gräser aus, sodass nur das Kraut der Gemüsepflanze liegen bleibt. Mehr und mehr überdeckt braune Erde ihre grün lackierten Fingernägel.
„Keine Angst, das Kraut der gelben Rüben richtet sich später wieder auf. Aber das muss ich ja übersetzen, bei euch sagt man ja nicht gelbe Rüben, sondern Karotten“, sagt Roland Palm-Kiefl zu Lydia Heidemann und ihren beiden Mitstreiterinnen. Denn der Bauer, der mit seiner Ehefrau Maria Kiefl den Hof in Kißlegg im Allgäu führt, hat in diesen Tagen drei Umweltaktivistinnen aus Niedersachsen und Hessen zu Gast. Das Ziel: Der Generation von Fridays for Future den Alltag auf Bauernhöfen nahezubringen.
„Es geht darum, dass Menschen, die nicht mit der Landwirtschaft aufgewachsen sind, die Nöte und Herausforderungen von Landwirten kennenlernen“, sagt Maria Kiefl. „Denn es gibt viele Bauern, die grüne Kreuze aufstellen und mit dem Rücken zur Wand stehen, weil sie mit den gesellschaftlichen Forderungen nicht mehr zurande kommen.“Organisiert hat das Projekt namens „Hof mit Zukunft. Aktivismus meets Landwirtschaft“das Bündnis „Wir haben es satt“, zu dem sich konventionell und biologisch arbeitende Bauernhöfe, Lebensmittelverarbeiter sowie Natur- und Tierschützer zusammengeschlossen haben und das von rund 60 zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützt wird. „Die Aktivisten lernen die Realitäten und die Schwierigkeiten eines bäuerlichen Betriebs kennen. Und die Landwirte verstehen besser, warum sich die jungen Menschen für Klimagerechtigkeit engagieren und für eine enkeltaugliche Agrarpolitik kämpfen“, sagt „Wir haben es satt“Sprecher Christian Rollmann der „Schwäbischen Zeitung“.
Das Ziel von „Hof mit Zukunft“ist es, Aktivisten vor allem auf konventionelle Höfe zu schicken, aber die Rückmeldungen dieser Betriebe seien verhalten gewesen, sodass am Ende nur ein Viertel der teilnehmenden Bauernhöfe nicht ökologisch arbeitet. Die Aktivisten konnten sich für das Programm bewerben und kamen nach Angaben Rollmanns vor allem von Fridays for Future, aber auch von der Naturschutzjugend, von BUND Jugend und Greenpeace. Auf 25 Höfen in ganz Deutschland halfen bisher insgesamt 75 Aktivisten.
Bei den Kiefls arbeiten zusammen mit der aus dem Rhein-Main-Gebiet stammenden Lydia Heidemann, die in Gießen Umweltmanagement studiert, Gesa Gerloff aus dem Braunschweiger Land und Jette Kühn aus dem Weserbergland. „Hier auf dem Hof wird die Arbeit zum Leben“, sagt Gesa Gerloff. Die 23-Jährige engagiert sich bei der Organisation Slow Food Youth und studiert in Lübeck medizinische Ernährungswissenschaft. „Ich habe hier genau das bekommen, was ich erwartet habe. Ich sehe, wie der Alltag läuft.“Und der Alltag an dem Nachmittag ist das Unkrautjäten auf dem Gelbe-RübenFeld. Auf schmalen Brettern knien die drei Aktivistinnen zwischen den Reihen und trennen das Möhrenkraut von den „Ackerheilbegleitpflanzen“, wie Bauer Palm-Kiefl schmunzelnd sagt. In seiner Bemerkung spiegelt sich zum einen die Wertschätzung für die Artenvielfalt, aber auch die Mühseligkeit des Jätens. Die Reihen sind lang, die Sonne sticht. „Es ist eine entspannende Arbeit, weil man sich unterhalten kann, aber ich weiß nicht, wie es aussehen würde, wenn ich das jeden Tag machen müsste“, sagt die 20-jährige Jette Kühn, die von der NaturfreundeJugend kommt und zurzeit ein freiwilliges ökologisches Jahr in Hannover absolviert.
Vor dem Jäten haben die Aktivistinnen zusammen mit Maria Kiefl in der Scheune Frühlingszwiebeln für den Markt vorbereitet. „Die braune Haut abziehen und oben die gelben Spitzen abknipsen“, erklärt die aus dem Bayerischen Wald stammende Bäuerin. Die Kiefls bauen auf ihrem Hof rund 50 verschiedene Gemüsearten und 40 Kräutersorten an. Verkauft werden sie im Direktvertrieb auf zwei Wochenmärkten in Kißlegg und Leutkirch und als Abonnement in Form von Gemüsekisten.
Am Mittagstisch diskutieren die Aktivistinnen und die Kiefls über Probleme der Landwirtschaft und mögliche Lösungen – und in der Analyse
der Situation liegen die 69-jährige Maria Kiefl, ihr 68-jähriger Ehemann und die jungen Helferinnen dicht beieinander. „Es braucht eine Veränderung, dass man nachhaltiger wirtschaftet und Lebensmittel wieder mehr wertschätzt“, sagt Gesa Gerloff. „Das System muss sich ändern, damit nicht nur die in die Landwirtschaft gehen, die dafür brennen, das hilft nicht weiter“, fügt Jette Kühn an.
Bei Maria Kiefl klingt die Forderung nach Wertschätzung für die Arbeit und die Produkte der Bauern so: „Verbraucher sind genauso verantwortlich für eine nachhaltige Landwirtschaft wie wir, wir alleine schaffen das nicht“, sagt Kiefl. „Ein Bauernhof ist nicht nur ein wirtschaftlicher Betrieb: Landwirtschaft schafft Kultur, Landwirtschaft schafft Landschaft – und dafür muss sich die gesamte Gesellschaft engagieren.“Und nebenbei räumt die durch jahrelangen Gemüseanbau gestählte Praktikerin mit aus ihrer Sicht unsinnigen Forderungen auf. „Man kann nicht billiges Biogemüse nachhaltig produzieren“, sagt die Bäuerin resolut. „Und: Es gibt kein veganes Gemüse, bei jeder Bodenbearbeitung töten wir Regenwürmer, und nur mit Viehwirtschaft kann man unsere Felder nachhaltig düngen.“
Kunden beteiligen, Verbraucher zur Teilhabe an landwirtschaftlichen Prozessen animieren – oder sie zumindest den Wert der Arbeit erkennen lassen, das Ziel teilen in diesen Tagen beim Jäten und Gemüseputzen junge Aktivisten wie erfahrene Bauern. In der Frage, wie das alles zu erreichen und wie aussichtsreich ein solches Streben ist, sind die Unterschiede jedoch groß. „Die Politik muss mehr wagen, es kann und darf nicht alles am Verbraucher hängen“, sagt Jette Kühn. Gesa Gerloff fordert Regeln für den Handel: „Produkte, die nicht unter bestimmten Mindestbedingungen produziert worden sind, dürfen einfach nicht mehr verkauft werden.“
Roland Palm-Kiefl ist da skeptisch. „Es braucht mehr als Politik, die etwas von oben nach unten runter entscheidet. Man darf die Aufgabe nicht allein den Bauern aufhalsen, und auch die Politik kann nicht alles regeln“, sagt der Agrarbiologe. Beim Kunden müsse die Auffassung entstehen, dass das auch sein Land ist. Das sei entscheidend. „Aber“, sagt er und stützt sich auf seine Radhacke „es sieht einfach extrem aussichtslos aus. Es ist nicht einfach, da die Hoffnung nicht zu verlieren.“
Für Roland Palm-Kiefl und seine Ehefrau funktioniert das Modell, das die beiden für sich gewählt haben, als sie vor 38 Jahren mit dem Gemüseanbau begonnen und 1999 das Gut in Kißlegg gekauft haben. „Unser Betrieb funktioniert, wir haben den Hof aufgebaut und abbezahlt allein durch den Verkauf unserer Produkte“, sagt der Bauer. „Aber das geht nur durch unser Kundennetzwerk, unsere Helfer und Freunde.“Und durch den fast unbändigen Fleiß der Kiefls. „Das ist der schönste Beruf, den es gibt, ich will nicht in einem Landwirtschaftsamt sitzen, da würde ich ja verstauben“, sagt er. „Aber die Arbeit hier ist out, weil die WorkLife-Balance so schlecht ist.“Schon seit einiger Zeit suchen die Kiefls Nachfolger für die Übernahme des Gärtnerhofs.
An eine Hofübernahme denken Lydia Heidemann, Gesa Gerloff und Jette Kühn an diesem Nachmittag im Allgäu noch nicht, auch wenn die drei Aktivistinnen sich eine Zukunft in der Landwirtschaft durchaus vorstellen können. Ihre ganze Konzentration gilt den „Ackerheilbegleitpflanzen“, die den gelben Rüben auf dem Feld den Platz nehmen – irgendwann sollen die Karotten schließlich auch auf den Märkten in Kißlegg und Leutkirch verkauft werden. „Lupft die Rüben nicht an, sonst reißt die Hauptwurzel und die Rüben werden beinig“, erläutert Roland Palm-Kiefl. Und Karotten, die nicht wohlgeformt sind, sondern zwei oder mehr Beine haben, wollen auch die treuen Kunden der Kiefls nicht. Denn sie sind viel schwerer zu putzen.