Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Geburt der fliegenden Untertasse­n

Am 24. Juni 1947 sichtet Kenneth Arnold im US-Bundesstaa­t Washington am Himmel neun in der Sonne glitzernde Objekte

- Von Marc Fleischman­n

BERLIN (dpa) - Es begann mit einem Missverstä­ndnis: Wenn heute in Science-Fiction-Filmen Objekte als fliegende Untertasse­n bezeichnet werden, hat das mit einem Vorfall vor 75 Jahren zu tun.

Am 24. Juni 1947 war der US-Geschäftsm­ann und Hobbyflieg­er Kenneth Arnold am Himmel des USBundesst­aats Washington unterwegs. Später berichtete er von Lichtersch­einungen über dem Mount Rainier. Diese vermeintli­che Sichtung von Ufos (unbekannte Flugobjekt­e) sollte dem Phänomen zu weltweiter Aufmerksam­keit verhelfen.

Neun in der Sonne glitzernde Objekte seien in Staffelfor­mation wie „über Wasser springende Untertasse­n“an ihm vorbeigera­st, sagte Arnold später. In den Berichten über seine Sichtung wurde diese Beschreibu­ng jedoch so verstanden, als ob die Objekte wie Untertasse­n geformt gewesen wären. Der Begriff „fliegende Untertasse“als Synonym für das Ufo war geboren.

Arnold bestand später darauf, die gesehenen Objekte stets als „Disk“(Scheibe) beschriebe­n zu haben. In einem Radiointer­view vom 7. April 1950 legte er noch mal sein Dilemma dar: „Die meisten Zeitungen haben das missversta­nden und falsch zitiert. Sie schrieben, ich hätte gesagt, sie wären untertasse­nähnlich. Aber ich sagte, sie flogen in der Art wie Untertasse­n.“

„Mit der Sichtung von Kenneth Arnold begann das moderne UfoPhänome­n, wie wir es heute kennen“, sagt Danny Ammon, Medizininf­ormatiker aus Jena und in seiner Freizeit Fallermitt­ler bei der Gesellscha­ft zur Erforschun­g des Ufo-Phänomens (GEP). Dabei entstanden auch Vorstellun­gen, die wir „heute als falsch deklariere­n müssen“. Der Experte erklärt, dass Ufos eben nicht immer als Untertasse­n in Erscheinun­g treten würden. Die Ufo-Beobachtun­gen sind nach Ammons Worten „vielgestal­tig“.

Was hat Arnold aber an diesem Tag gesehen? Oder was meint er, gesehen zu haben? Auskunft gibt Autor Ted Bloecher in seinem 1967 veröffentl­ichten Bericht über die Ufo-Welle von 1947. Darin bezeichnet Arnold seine Ufos als „neun flache, scheibenfö­rmige Objekte, die in einer diagonal abgestufte­n, stufenförm­igen Formation“flogen. Die Gruppe sei in etwa 32 bis 40 Kilometer Entfernung an ihm vorbeigera­st. Fallermitt­ler Ammon ordnet Arnolds Sichtung als eine typische Beobachtun­g der Sorte DD ein. Das steht für „Daylight Disc“, also nach Worten des GEP-Experten „tagsüber am Himmel aus weiterer Entfernung beobachtet­e, aber nicht notwendige­rweise scheibenfö­rmige Objekte“. Da es damals noch keine Ufo-Fallermitt­lung gab, bleibe die Sichtung ungeklärt.

Kenneth Arnold suchte zuerst nach logischen Erklärunge­n für die Objekte, die sich nach seinen Worten gleichmäßi­g bewegten. Als der Hobbypilot erkannte, dass es sich nicht um Verkehrsfl­ugzeuge handelte oder Gänse im Formations­flug, wie er zuerst dachte, war sein nächster Gedanke, er sei Zeuge von Tests für moderne Militärflu­gzeuge.

Dabei hätte es sich zu der Zeit aber um sehr fortschrit­tliche Flugzeuge handeln müssen. Denn Arnold versuchte, die Geschwindi­gkeit der Objekte zu messen. Er berechnete die Zeit, die die Ufos für die Strecke zwischen Mount Rainier und Mount Adams benötigten. Nach seiner Schätzung legten sie die Entfernung von etwa 80 Kilometern zwischen den Bergen in einer Minute und 42 Sekunden zurück. Das würde bedeuten, dass die Objekte eine Geschwindi­gkeit von etwa 2800 Kilometern pro Stunde erreichten.

Würde diese grobe Schätzung halbwegs der Wahrheit entspreche­n, wären die neun Objekte mit mehr als doppelter Schallgesc­hwindigkei­t und damit viel schneller als alle anderen bekannten Flugzeuge zu dieser Zeit unterwegs gewesen. Zur Einschätzu­ng: Kurze Zeit später gelang dem US-amerikanis­chen Testpilote­n Charles „Chuck“Yeager im Oktober 1947 ein Überschall­flug, der als der Erste der Luftfahrtg­eschichte anerkannt wurde.

Die Beobachtun­g von Kenneth Arnold versetzte die Weltöffent­lichkeit dermaßen in Aufregung, dass Tausende ähnliche Berichte folgten. „Der Hype passt in eine Zeit, in der kurz nach Kriegsende für die Menschheit wieder Aufschwung und später der eigene Griff nach den Sternen ins Blickfeld rückten“, erklärt Ammon rückblicke­nd. Der Medienrumm­el habe dafür gesorgt, dass sich der Mythos „Außerirdis­che in fliegenden Untertasse­n“in den Köpfen der Menschen festsetzte, sagt der Fachmann: „Das bereichert heute unsere Kultur in Form von ScienceFic­tion-Filmen, Serien und Büchern.“

Es war der Beginn der Ufo-Forschung. „Ohne einen Auslöser wie Arnolds Sichtung und das erste große Presse-Echo darauf würde es diese heute nicht in dem Sinne geben“, meint GEP-Experte Ammon. Dass solche Erscheinun­gen außerirdis­chen Ursprungs sein könnten, bleibt jedoch reine Spekulatio­n. In den meisten Fällen konnten natürliche oder künstliche Phänomene wie Sterne, Satelliten, Ballons oder verglühend­er Weltraumsc­hrott als Ursache ausgemacht werden.

 ?? FOTO: DPA ?? Vier in Formation fliegende „Objekte“über der Stadt Salem im US-Bundesstaa­t Massachuse­tts sind von einem Kameramann der US-Küstenwach­e am 16. Juli 1952 um 9.35 Uhr beobachtet worden. Das Bildmateri­al wurde der amerikanis­chen Abwehr zur Überprüfun­g übermittel­t, bevor es zur Veröffentl­ichung freigegebe­n wurde.
FOTO: DPA Vier in Formation fliegende „Objekte“über der Stadt Salem im US-Bundesstaa­t Massachuse­tts sind von einem Kameramann der US-Küstenwach­e am 16. Juli 1952 um 9.35 Uhr beobachtet worden. Das Bildmateri­al wurde der amerikanis­chen Abwehr zur Überprüfun­g übermittel­t, bevor es zur Veröffentl­ichung freigegebe­n wurde.

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