Gegen Grenzverletzungen im Sport
TSV Erbach legt mit erster Maßnahme vor – TSG Ehingen stimmt sich noch mit Abteilungen ab
EHINGEN - Das Thema Grenzverletzungen im Sport taucht immer wieder auf. Sei es durch die erneute Klage der US-Amerikanischen Turnerinnen gegen ihren ehemaligen Mannschaftsarzt oder das jüngst gefällte Urteil am Stuttgarter Landgericht gegen einen ehemaligen Jugendtrainer des SV Fellbach. Deswegen beschäftigen sich auch die Sportvereine der Region mit dem Thema Missbrauch und wie man diesem präventiv entgegentreten kann. Der TSV Erbach legt nun offiziell mit einer ersten Regel vor.
„In unserem Verein soll es künftig keine Situation mehr geben, in der sich ein Trainer, Übungsleiter oder Betreuer allein mit einem einzelnen Sportler in einem verschlossenen Raum aufhalten darf. Egal, welchen Alters und Geschlechts“, erklärt die Vereinsführung in Absprache mit allen Abteilungen in einer entsprechenden Mitteilung unisono. Dies sei eine erste einfache und sofort umsetzbare Maßnahme. Obwohl es im TSV Erbach keinen ähnlich gelagerten Fall gebe, wie er in diversen Formen immer wieder durch die Medien gehe, gebe es kaum eine TSV-Gremiensitzung, in der diese Thematik nicht zur Sprache komme. Im Zuge der Auseinandersetzung mit diesem Thema hat nun der TSVHauptausschuss einstimmig beschlossen, dass der Verein nicht darauf warten wolle, bis erste Handlungsempfehlungen seitens der Sportverbände beschlossen und kommuniziert werden. „Wir haben über 600 Kinder und Jugendliche im Verein, wenn die Elternschaft das Gefühl hat, dass wir hier nicht richtig mit den Dingen umgehen, verlieren sie das Vertrauen in den TSV und dann haben wir irgendwann ein Nachwuchsproblem“, sagt Wolfgang Fleiner vom TSV Erbach.
Roland Kuch, Vorsitzender der TSG Ehingen, dem ältesten und größten Sportverein im Alb-DonauKreis, findet den Vorstoß aus Erbach gut. „An diesem Thema sind wir schon länger dran, es steht auch auf der Tagesordnung unserer nächsten Vereinsratssitzung. Danach wollen wir damit auch in die Abteilungen gehen.“Bei der TSG habe es, so Kuch, ebenfalls keinen entsprechenden Fall gegeben, allerdings sei das Thema beim Vorstand immer präsent. Wie auch andere Sportvereine, prüfen die TSG Ehingen und der TSV Erbach seit einigen
Jahren die Führungszeugnisse aller, welche im Rahmen der sportlichen Aktivitäten des Vereins Kinder und Jugendliche betreuen oder trainieren. Dasselbe gelte natürlich auch für Mitarbeiter, die bei den Vereinen im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahres ihren Dienst tun.
Der TSV Erbach hatte im Rahmen der Thematik bereits öffentlich zu einer Teilnahme an der vom Landessportverband unterstützten und von der Bergischen Universität Wuppertal sowie der Universität Ulm erstellten anonymen Umfrage mit dem Titel „SicherImSport“aufgerufen. Durch die Umfrage soll eine datengestützte Grundlage für die Schaffung passgenauer Schulungsmaßnahmen seitens der Sportverbände geschaffen werden. Diese Umfrage befindet sich allerdings derzeit noch in der Auswertung. Erste bekannt gewordene Ergebnisse zeigen allerdings, dass sexualisierte Grenzverletzungen, Belästigungen und Gewalt durchaus auch auf der Ebene des Breiten- und Freizeitsports ein Thema sein können.
Eine Regel, wie sie der TSV Erbach erlassen hat, kann sich auch TSG-Chef Roland Kuch vorstellen, der dazu nun auch ganz ergebnisoffen im Vorstand das Gespräch suchen möchte. „Gerade im Breitensport muss es gar nicht sein, selbst in Einzelsportarten, dass sich Trainer und Sportler alleine hinter verschlossenen Türen unterhalten. Die Regel ist gut, weil sie Sportler vor möglichen Übergriffen und Trainer vor falschen Anschuldigungen schützt“, so Kuch. Er könne sich eine entsprechende Verhaltensmaßgabe auch bei der TSG Ehingen vorstellen. Eine hundertprozentige Sicherheit oder Garantie, dass nie etwas passiert, sei dies zwar nicht, allerdings minimiere es die Gelegenheiten für Übergriffe immens.
Die Überwachung der neuen Regel bei TSV Erbach obliegt keiner Einzelperson, sondern dem ganzen Vorstand. Das Thema werde in den Sitzungen regelmäßig besprochen und bei den Abteilungen werde dazu eingeholt, wie die neuen Verhaltensvorgabe umgesetzt werde. „Bisher
haben wir nur positive Reaktionen bekommen, auch auf unsere Mitteilung hinaus in die Öffentlichkeit.“Das Thema sei natürlich eine Marathon-Aufgabe und nicht mit einer einzelnen Regel gelöst, immer wieder müsste hinterfragt und neu angegangen werden.
Da auch Mitglieder des TSV aufgrund der aktuellen Fälle beimVerein nachgefragt hätten, kommuniziere dieser nun öffentlich seinen ersten Schritt. Zudem legt der Verein Wert darauf, dass es ein „Wegducken“vor der Thematik beim TSV Erbach nicht gebe. Auch der geringste Fall von Grenzverletzung, Belästigung und Gewalt müsse offen angesprochen und geklärt werden. TSG-Chef Roland Kuch stellt sich auch bei diesem Argument an die Seite seines Erbacher Kollegen: „Sollte ein TSGMitglied Redebedarf haben, stehen ihm meine und die Türen des kompletten Vorstands immer offen. Bei uns wird es keine Vertuschungen geben.“
Wolfgang Fleiner, der selbst die treibende Kraft hinter der neuen Regelung
war, traf auf viel Zuspruch im Vorstand, dies sei nicht bei allen Vereinen und Verbänden so.
„Es braucht immer jemanden, der das aktiv und mit Nachdruck angeht. Denn es gibt leider in jedem Verein Stimmen, die sagen, dass das vielleicht schlechte Stimmung macht oder die Bevölkerung denkt, dass man etwas vertuscht. Bei uns gab es das glücklicherweise nur vereinzelt“, so Fleiner, der auch nochmal mit Nachdruck erklärt, dass es weder aktuell noch in der Vergangenheit einen entsprechenden Fall beim TSV gab.
Allerdings habe er in seiner Zeit als Geschäftsführer beim Schwäbischen Turnerbund in Stuttgart einen Fall gehabt, bei dem es um Gewalt im Sport ging. Die Erfahrungen von damals hätten ihn in den aktuellen Bestrebungen bestärkt. „Deshalb ist es uns wichtig, dass wir in die Offensive gehen und ständig sensibilisieren. Der Breitensport kann nur dann weiterbestehen, wenn wir das Vertrauen der Bevölkerung haben“, so Fleiner.